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Rein genetisch könnten wir ewig leben

Von Eva Stanzl

Wissen

Forscher streiten über die maximale Lebenszeit: Statistiker sehen eine Obergrenze, während Genetiker vom Gegenteil ausgehen.


Wien. Jeanne Calment überlebte ihre Tochter und ihren Enkel um viele Jahre. Im Alter von 122 Jahren starb sie eines natürlichen Todes. Die Französin galt als der älteste Mensch, der je gelebt hat. Doch wer vermeint, dass ihm die moderne Medizin vielleicht gar ein noch längeres Leben bescheren könnte, irrt, berichten US-Forscher. Aus demografischen Statistiken schließen sie, dass die Lebenszeit eine natürliche Obergrenze hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch älter als 125 Jahre wird, sei extrem gering.

Seit dem 19. Jahrhundert ist die Lebenserwartung in den meisten Ländern der Welt kontinuierlich gestiegen. Menschen, die um 1900 etwa in Frankreich geboren wurden, wurden im Durchschnitt nur 45 Jahre alt. Im Jahr 2000 geborene Kinder werden hingegen ein durchschnittliches Alter von 75 Jahren erreichen. Die zusätzlichen 30 Jahre führen Experten vor allem auf den medizinischen und technologischen Fortschritt der vergangenen 100 Jahre zurück, der die Säuglings- und Kindersterblichkeit eingedämmt hat und heute die Überlebensrate im höheren Alter steigen lässt. Auch das maximale Alter zum Zeitpunkt des Todes ist erheblich angestiegen.

Der Genetiker Jan Vijg und seine Kollegen vom Albert Einstein College of Medicine in New York haben Geburts- und Sterbedaten aus 38 Ländern der Human Mortality Database analysiert. Erwartungsgemäß wird der Anteil der Menschen über 70 Jahre pro Jahrgang von Jahr zu Jahr größer - allerdings nur bis zu einer gewissen Jahreszahl in der Statistik. Ab Ende des 20. Jahrhunderts steigt der Anteil von über 100-Jährigen nur marginal.

Weiters analysierten die Wissenschafter Daten zum maximalen Lebensalter in Frankreich, Japan, Großbritannien und den USA. Auch es ist seit den 1990er Jahren kaum nach oben geklettert. "Demografen und Biologen haben argumentiert, es gebe keinen Grund anzunehmen, dass der Anstieg der maximalen Lebenspanne demnächst endet", erläutert Studienleiter Vijg in "Nature". "Aber unsere Daten sprechen dafür, dass das bereits geschehen ist." Aus weiteren Berechnungen schlossen die Forscher, dass ein Alter von 125 Jahren die Obergrenze sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeine Person auf der Welt älter würde, liege bei weniger als 1 zu 10.000. Jeanne Calment mit ihren 122 Jahren sei ein statistischer Ausreißer.

Die Ergebnisse liefern Zündstoff für Diskussionen. Die Publikation nutze Daten selektiv und ziehe einseitige Schlüsse, kommentiert James Vaupel vom Max Planck Institut für demografische Forschung in Rostock. Seiner Ansicht nach gibt es keine Hinweise auf eine natürliche Obergrenze der Lebenslänge. "Vor 100 Jahren nahm man an, dass die durchschnittliche Lebenserwartung niemals 65 Jahre überschreiten werde. Es zeigte sich das Gegenteil", betont er.

Stress repariert Zellen

"Es gibt kein genetisches Programm im Sinne der Evolution, das unsere Lebenserwartung vorgeben würde. Dass wir nur 125 Jahre alt werden können, ist nirgends in den Genen festgeschrieben, rein genetisch hat das Leben kein Limit", sagt Helena Schmidt, Professorin für Altersforschung am Institut für Molekularbiologie der Medizinuniversität Graz zur "Wiener Zeitung". "Der Mensch könnte mehr als 125 Jahre leben, wenn er den Prozess des Alterns verlangsamen könnte. Die aktuelle Studie zeigt also nur, was eintreten wird, wenn ihm das nicht besser als jetzt gelingt."

Bei Menschen verdoppelt sich die Anzahl der Todesfälle bezogen auf die Gesamtbevölkerung ab dem 40. Lebensjahr alle 8,6 Jahre. "Diese Verdoppelungsrate ist konstant wahrscheinlich, seit es Menschen gibt. Dennoch hat sich die Alterungskurve verschoben, weil wir gesünder sind, wenn wir zu altern beginnen", erklärt Schmidt.

Der Tod ist die Grenze. Doch der Mensch tut sein Bestes, um diese Grenze hinauszuschieben. Hygienestandards, bessere medizinische Versorgung, gesündere Ernährung und steigender Wohlstand ermöglichen ihm ein längeres Leben als vor 100, 70 oder auch 50 Jahren. Fügt er den sozialen Verbesserungen auch einen gesunden Lebensstil hinzu, etwa indem er weniger Kalorien zu sich nimmt oder regelmäßig Sport betreibt, lebt er noch länger. Kaloriensenkung und Sport bedeuten Stress für den Körper, der die Reparaturmechanismen der Zellen aktiviert. Das Gleichgewicht zwischen Schädigungen und Reparaturen entscheidet, wie schnell wir altern. "Wenn genau so viele neue Zellen entstehen wie beschädigte sterben, altern wir kaum", sagt Schmidt. Die Altersforscherin vermutet, dass es einen gemeinsamen Mechanismus gibt, der beim Laufen, bei Fitness oder Kalorienverzicht aktiviert wird. "Könnten wir ihn gezielt ansteuern, gäbe es vielleicht keine alterbedingen Erkrankungen mehr", sagt sie. Im Tierversuch hat das bereits geklappt: So waren Mäuse bei einem kalorienreduzierten Speiseplan weniger krebsanfällig.

Pille für ewige Jugend

Michael Rae von der kalifornischen Sens Research Foundation für Anti Aging ist sogar der Ansicht, dass der medizinische Fortschritt und ein Ernährungsplan von nur 1900 Kalorien am Tag es ermöglichen könnten, die Alterung zu stoppen oder vielleicht sogar rückgängig zu machen. Dann würden wir irgend wann wieder jünger werden, berichtet der britische "Economist". Was wie das Credo einer Sekte klingt, hält die Pharmaindustrie für gar nicht so weit her geholt. Sie erforscht, wie nicht verschiedene Altersdefekte, sondern die Alterung an sich therapiert werden kann. Medikamente könnten die metabolischen Pfade steuern, die für die Zellreparatur zuständig sind.

Am Albert Einstein College für Medizin will man testen, ob ein bereits existierendes Mittel gegen Diabetes Typ 2 namens Metformin Krankheiten und vielleicht sogar den Tod hinauszögern kann. Immerhin ist es leichter, täglich eine Jugend-Tablette zu schlucken, als Diät zu halten. Und vielleicht funktionieren die Pillen sogar noch besser.