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Vernetzt auf dem Weg ins Chaos

Von Eva Stanzl

Wissen
Datennetzwerke ermöglichen die Verletzung der Grundrechte.
© Fotolia/vege

Die Digitalisierung gefährdet die Grundrechte und damit die Demokratie, warnt die deutsche IT-Expertin Yvonne Hofstetter.


Wien. Wird künftig künstliche Intelligenz die Wirtschaft und den Alltag dominieren und die Menschen irgendwann sogar verdrängen? Die deutsche Komplexitätsforscherin Yvonne Hofstetter sieht deutliche Anzeichen für derartige Entwicklungen. Schon heute speichert Big Data unser Verhalten und analysieren künstliche Intelligenzen unsere Absichten. Yvonne Hofstetter ist eine Kritikerin des Internets. In ihrem neuen Buch "Das Ende der Demokratie" warnt sie eindringlich vor den Konsequenzen der Digitalisierung für die Freiheit und das Zusammenleben auf Erden.

"Wiener Zeitung": Könnten intelligente Maschinen irgendwann
Politik machen?

Yvonne Hofstetter: In einer Demokratie beauftragt die Bevölkerung über die Wahlen Berufspolitiker damit, die Gesellschaft über Gesetze zu gestalten. Seit 2007 erstmals Smartphones auf den Markt kamen, gestalten jedoch zunehmend andere Kräfte die Gesellschaft - die Technologiegiganten. Sie haben kein Parlament, es gibt keine Debatte und keine Gesetzgebung. Sondern diese Form der Gestaltung passiert einfach. Konzerne greifen massiv in unser Leben ein und die Ideologie, die dahintersteht, ist Geld zu verdienen. Das ist eng verbunden mit dem Kapitalismus: Die Digitalisierung ist eine menschliche Kulturleistung, verbunden mit dem Griff nach Geld und Macht.

Was sind die Folgen für demokratisch gewählte Institutionen?

Die demokratischen Institutionen stehen daneben und versuchen, hinterher Maßnahmen zu setzen. Besonders im US-Wahlkampf war auffällig, wie extrem die Digitalisierung in die demokratische Meinungsbildung eingreift: Fake News und Bots steuerten die Volksmeinung zugunsten von Donald Trump. Etwa die Hälfte des Informationsaustausches im Internet wird von Maschinen erzeugt. Somit kommunizieren wir nicht mehr mit Menschen, sondern mit Algorithmen, die in die politische Meinungsbildung eingreifen. Alles, was wir früher als Meinungsbildung bezeichnet haben, erodiert, und das Schlimmste ist, dass die User es so wollen.

Woran erkennen Sie das?

Ich bin Mitinitiatorin einer Digitalcharta, die Mitte Dezember im Europäischen Parlament in Brüssel vorgestellt wurde. Auf der Grundlage dieses Entwurfs soll diskutiert werden, wie wir Rahmenbedingungen schaffen können, um die Grundrechte in der digitalen Zeit zu stärken, zumal digitale Geschäftsmodelle Verstöße gegen diese Basis der Demokratie beinhalten. Die Reaktionen auf unsere Grundrechtscharta bestehen allerdings zu 80 Prozent aus Hasskommentaren. Man schreibt da etwa, was uns denn quasi einfallen würde, so einen Gesetzesentwurf vorzulegen, und dass man ja nicht darum gebeten habe, dass die Grundrechte geschützt würden. Die Menschen haben nämlich Angst, dass man ihnen das Spielzeug, den netten Lifestyle und die Hyperkommunikation wegnimmt. Aber wir wollen niemandem etwas wegnehmen, sondern es unter anderen Rahmenbedingen gewähren. Etwa muss ich sicher sein können, dass meine Daten geschützt sind, denn sie verraten alles über mein Leben. Wenn sie offen sind, gebe ich anderen Macht über mein Leben.

Wer zu Hause vor dem Computer sitzt, hat aber nicht unbedingt das Gefühl, seine Grundrechte würden gerade verletzt. Welche sind die schlimmsten Vergehen?

Am stärksten diskutieren wir die Verletzung der Privatsphäre und den technologischen Rassismus. Im Internet werden wir ja permanent bewertet, welchen Charakter wir haben, welche Süchte, welche Sexualität. Es wird eingegriffen in die soziale und sexuelle Souveränität bis zum Äußersten und wir merken das nicht einmal. Algorithmen arbeiten ja auch nur mit Statistiken, daher kann man in die falsche Gruppe geraten, und dann wird man diskriminiert. Weiters sind die justiziellen Rechte angegriffen, weil man ja nicht weiß, wen man klagen kann, und es niemanden gibt, der dafür zuständig ist, sich der ganzen Sache anzunehmen. Wo kein Richter, da kein Kläger und kein Staatsanwalt. Dem sind wir ausgesetzt, ohne dass wir uns wehren können. Darüber hinaus versuchen Algorithmen sogar, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen, indem sie ihre Daten-Spuren im Netz auswerten. Viele Leute sagen mir, Frau Hofstetter sind Sie doch mal nicht so solidarisch, das ist doch meine Privatsache, aber da muss ich sagen: Nein, Hoheitsträger haben eine Pflicht, die Grundrechte der Menschen zu schützen.

Können wir angesichts dieser Manipulationsversuche noch unseren freien Willen ausüben? Oder fällt es uns gar nicht auf, dass wir manipuliert werden, weil die digitalisierte Welt viel zu komplex ist?

Mit der zunehmenden Vernetzung wird die Gesellschaft komplexer: Immer mehr Teilchen sind mit einander vernetzt, interagieren und geben Feedback. Plötzlich gibt es viel mehr Kommunikation und viel mehr Feedback-Abhängigkeiten: So ist es heute im Internet, das wir nun auch noch zum Internet der Dinge vernetzen, sodass auch die Dinge des Alltags über künstliche Intelligenz gesteuert werden. In der Komplexitätsforschung gibt es das Phänomen, dynamisch-komplexe Systeme an den Rand des Abgrunds zu treiben, also ins Chaos, das keine Stabilität mehr hat. Das Ergebnis ist ein nicht vorhersehbares Verhalten, das man nicht mehr durch Gesetze regeln kann, denn wer ein Gesetz erlässt, muss sich dessen Wirkung sicher sein. Doch je komplexer eine Sache ist, desto eher verpufft diese schärfste Waffe der Demokratie. Das Kausalitätsprinzip ist damit aufgehoben und man kann sich auf nichts mehr verlassen.

Yvonne Hofstetter, geboren 1966 in Frankfurt, ist Geschäftsführerin der Teramark Technologies und Komplexitätsforscherin. Das Unternehmen ist auf die intelligente Auswertung großer Datenmengen spezialisiert. Ihr neues Buch, "Das Ende der Demokratie", ist im C. Bertelsmann Verlag erschienen.