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Wissensexplosion versus Nichtwissen

Von Alexandra Grass

Wissen

Mit Unterstützung der Grundlagenwissenschaft tun sich in der Krebstherapie neue Wege auf, die aber erst teilweise verstanden werden.


Wien. Das Wissen rund um die Erkrankung Krebs vermehrt sich explosionsartig. Der Anteil der Grundlagenforschung an dieser Entwicklung ist von besonderer Bedeutung. Und in kaum einem anderen Feld der Medizin ist die Grundlagenforschung so umfangreich und weit am Patienten dran, wie bei den Krebserkrankungen. Die Molekularbiologie bestimmt die Charakteristika eines Tumors und ist damit die Basis für Therapieentscheidungen.

"Alle Anstrengungen gehen auch dahin, dass wir die Krankheit zu verstehen beginnen", betonte Christoph Zielinski, Koordinator des Wiener Comprehensive Cancer Center von MedUni Wien und AKH, am Dienstag vor Journalisten. Und dennoch stehen die Wissenschafter und Mediziner heute "vor Wirkmechanismen, die wir selbst manchmal nicht begreifen können", erklärte Gabriele Kornek, ärztliche Direktorin des Wiener AKH und Präsidentin der Initiative "Leben mit Krebs".

Dass ein Arzt alles weiß, ist mittlerweile auch nicht mehr möglich. Krebs ist zu einer interdisziplinären Angelegenheit geworden. Heute beraten Onkologen Strahlentherapeuten, Chirurgen, Grundlagenwissenschafter und andere Experten Therapievarianten im Rahmen von sogenannten Tumorboards in den großen Kliniken des Landes. Dies verdeutlicht die Komplexität des Themas.

Auch ist es die Molekularbiologie, die aus einer Krebsart heute aufgrund unterschiedlicher Charakteristika viele verschiedene macht. Beim Brustkrebs spricht man mittlerweile von zehn unterschiedlichen Erkrankungen. Sitzt ein Speiseröhrenkrebs im oberen Bereich, ähnelt er in seiner Biologie einem HNO-Karzinom. Ist er im unteren Bereich angesiedelt, ist er eher mit einem Magenkrebs vergleichbar. Und so gibt es immer wieder Untergruppen, die sich neu herauskristallisieren.

Von großen Fortschritten berichtete Manuela Schmidinger, Programmdirektorin für den Bereich Nierenzellkarzinome am AKH. Urologische Tumore seien heute wesentlich besser behandelbar als noch vor wenigen Jahren. In Abhängigkeit von der Art sei ein Langzeitüberleben auch in fortgeschrittenen Stadien möglich, die früher in kürzester Zeit zum Tod geführt haben.

Erhöhter Informationsbedarf

Selbst bei Patienten mit fortgeschrittenem Blasenkrebs, die für eine herkömmliche Chemotherapie nicht mehr in Frage kamen, konnte die durchschnittliche Überlebenszeit mit einem Immuntherapeutikum noch von sonst 6,9 auf 15,9 Monate erhöht werden. Beim Nierenzellkarzinom gelang in den vergangenen Jahren mit zielgerichteter und immunologisch wirksamer Therapie eine Erhöhung der durchschnittlichen Überlebenszeit von 13 auf gar 75 Monate. Hierbei liegt Österreich weltweit im Spitzenfeld. "Viele Herausforderungen warten noch", betonte Kornek. Eine liegt in der Kommunikation mit dem Patienten. "Vor 20 Jahren war die Onkologie leicht und schnell erklärt." Ebenso die Therapie und die Nebenwirkungen. Das hat sich aufgrund der Entwicklungen völlig geändert. Die Therapien und deren Nebenwirkungen sind ganz andere geworden. Dadurch bestehe ein wesentlich erhöhter Informationsbedarf.

Die Initiative "Leben mit Krebs" wird dieser Notwendigkeit mit einem jährlich stattfindenden Krebstag gerecht. Heuer findet dieser am 14. Februar im Wiener Rathaus statt. Dabei wird es auch eine eigene Informationsveranstaltung für niedergelassene Ärzte geben, um sich im Dschungel der neuen Erkenntnisse zurechtfinden zu können.

Derzeit befinden sich rund 6000 Medikamente für onkologische Patienten in Entwicklung, betonte Zielinski. Das bedeutet einen enormen Bedarf an entsprechender klinischer Forschung.

Dabei darf auch die Kostenfrage nicht außer Acht gelassen werden. Beim Dickdarmkrebs haben sich die Ausgaben aufgrund der neuen Therapievarianten auf das 500-Fache erhöht. Eine Melanomerkrankung kostet im ersten Jahr 200.000 Euro, betonte Kornek. Die Medikamente in der Pipeline könnten aber dazu beitragen, dass die Ausgaben sinken. Je mehr Produkte auf den Markt kommen, umso besser steht es um die Verhandlungsbasis mit den Pharmafirmen. Die Kosten für Chemotherapien haben sich in den letzten Jahren schon aufgrund der Entwicklung von Generika - also wirkungsgleichen Nachahmepräparaten - um ein Vielfaches reduziert.