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Kann denn Liebe Zufall sein?

Von Eva Stanzl

Wissen
Gewonnen!, könnte meinen, wer sich verliebt. Unvorhergesehen ist daran nur die Begegnung.
© fotolia/piai

Ein Zufall tritt ein. Danach trifft man eine Wahl - auch in der Liebe. Alles Gute zum Valentinstag!


Maria arbeitete als Chemikerin im Institut für Lebensmitteluntersuchung der Stadt Salzburg. Dort putzte täglich der gleiche Mann den Boden. Sie kam schon immer leicht mit Menschen ins Gespräch und eines Tages plauderte sie auch mit ihm. "Sagen Sie, kann das ein Lebensinhalt sein, hier zu putzen?", fragte Maria. - "Ich bin Matrose. Aber ob ich den Schiffsboden putze oder diesen, ist egal. Mit dem Geld, das ich hier verdiene, will ich die Ausbildung zum Offizier der deutschen Handelsmarine machen." Sie war erstaunt ob seines klaren Ziels. Mit so viel Antwort hatte sie nicht gerechnet. "Wie viel kostet das?", wollte sie wissen. Er nannte einen Betrag und fügte hinzu: "Aber man muss es in Hamburg machen." Maria überlegte. Sie war sicher, er würde ihr den Betrag zurückgeben, und borgte ihm das Geld. Die beiden blieben in Kontakt, verliebten sich, heirateten, bekamen Kinder.

Ist Liebe Zufall? Für Marias Eltern ja. Sie erwischte die Nachricht vom Seemann kalt. Der Familientradition entsprechend hätten sie sich jemanden aus der Kulturbranche für ihre Tochter gewünscht. Mit der Tradition hatte Maria allerdings bereits durch die Wahl ihres Studiums gebrochen. Und weil sie das hatte, konnte sie dem jungen Mann begegnen, für den wiederum ihre Großzügigkeit ein Geschenk des Himmels war. Dass alle Faktoren zusammentrafen, war Zufall, die Chance zu ergreifen jedoch bewusste Entscheidung. Das Leben bietet Gelegenheiten, die wir gestalten oder lassen können.

"Zufall ist alles, was wir uns nicht ausrechnen können"

"Zufall ist alles, was wir uns nicht ausrechnen können", sagt der Physiker Florian Aigner, der dem Begriff in seinem neuen Buch "Der Zufall, das Universum und du" nachgeht. Das klingt offensichtlich, der mathematische Hintergrund ist aber nicht trivial. Aigner stellt sich gegen den französischen Mathematiker Pierre-Simon Laplace, der die Vorstellung hatte, es müsste unter Kenntnis sämtlicher Naturgesetze und Initialbedingungen wie Lage, Position und Geschwindigkeit aller im Kosmos vorhandenen physikalischen Teilchen möglich sein, jeden Zustand zu berechnen.

Der Autor verdeutlicht es anhand von Kugeln auf einem Billardtisch: Wohin sie rollen, hängt vom Stoß mit dem Queue und dem Billardspieler ab, von der Gravitation und dem Elektromagnetismus, die beide eine prinzipiell unendliche Reichweite haben, und vom Chaos, das sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann. "Der Billardtisch mit vielen Kugeln, die der Stoß durcheinanderwirbelt, ist wie eine Lottoziehung - er ist eine chaotische Zufallsmaschine", erklärt Aigner. Denn alle Objekte rund um den Tisch üben eine winzige Gravitationskraft auf die Kugeln aus, die ihre Bahnen stört. Ein Mensch, der an den Tisch herantritt, ändert das System, ebenso wie jede Kugel, die mit einer anderen zusammenstößt. Wer ausrechnen will, wohin die Kugel rollt, müsste in der Sekunde alle Rechengrößen kennen. "Niemand kann das so vorausberechnen", sagt Aigner.

Nur weil wir den Zufall nicht berechnen können, sind wir ihm aber nicht ausgeliefert. Zumindest nicht immer. Billardspieler können lernen, die Kugel treffsicher anzupeilen, und die winzige Schwerkraft eines Menschen, der sich dem Tisch nähert, wegen Irrelevanz vergessen.

Auch in der Liebe können wir die Ursachen so arrangieren, dass die gewünschten Wirkungen eintreten. Wer einen neuen Partner sucht, kann einem Sportklub beitreten, an Diskussionsforen teilnehmen, einen Tangokurs machen, abends ausgehen oder sonstigen Interessen nachgehen, um seinen Bekanntenkreis zu erweitern, und damit den Raum schaffen für neue Liebe.

Nehmen wir Barbara, die einen neuen Job suchte und deren Beziehung zu Bernhard zu einem Stillstand gekommen war. Sie nannte es Stillstand des ewigen Redens, weil sich nur noch in den Gesprächen viel tat. Und als sie so über ihre Berufswünsche sprachen, kam Bernhard auf die Idee, dass er Barbara einen Bekannten vorstellen könnte, der in ihrem Wunschberuf arbeitete. Die beiden trafen sich, aber anstatt über ihre Karriere zu reden, verliebten sie sich. Niemand hatte damit gerechnet - aber Bernhard hatte den Raum geöffnet, in dem sie sich kennenlernen konnten. Wäre Barbaras neuer Partner auf offener Straße an ihr vorbeispaziert, hätte sie ihn vermutlich nicht einmal gesehen.

Wer das Pferd von der anderen Seite aufzäumt, spart Zeit

"Dass zwei Menschen sich in der U-Bahn oder auf der Straße aus heiterem Himmel begegnen, ist die Ausnahme", sagt Caroline Erb, Psychologin bei Parship.at. Internet-Partnerschaftsagenturen leben vom Arrangieren der Ursachen. Wer sich registriert, will verhindern, dass ihnen der Zufall sein Unbill auftischt. Der Weg führt über einen Test von 74 Fragen mit insgesamt 400 Antwortmöglichkeiten, die ein Algorithmus auf 32 Persönlichkeitsmerkmale herunterrechnet. Das Programm hat Regeln, nach denen es zwei Menschen einander vorschlägt. "Von den Persönlichkeitsmerkmalen sollten etwa Nähebedürfnis und Einfühlsamkeit ähnlich gelagert sein, denn wenn der eine Partner ständig zusammensein will, der andere aber seine Freiheit braucht, ist Konflikt vorprogrammiert. Der Durchsetzungswille sollte dagegen eher gegensätzlich sein", sagt Erb. Bevor der Algorithmus online ging, wurde er von Psychologen an 80.000 Personen getestet. Seine Erfolgsquote liegt bei 38 Prozent.

Dass der Rest mehrere Anläufe machen muss, um die oder den Richtigen zu treffen, stört die Psychologin nicht. "Kein Computer kann wissen, ob die Chemie stimmt und zwei Menschen Gefühle füreinander entwickeln. Der Algorithmus kann nur die Chancen berechnen", erklärt sie. Doch wenn die Chemie stimmt, kommen Online-Paare flott zu Ergebnissen. "Viele machen schnell Nägel mit Köpfen, ziehen zusammen und heiraten", sagt Erb. Keine Jahre des mühseligen Zusammenfindens: Wer in der Liebe das Pferd von der anderen Seite aufzäumt und nur passende Menschen trifft, erspart sich das Chaos der Zufallslotterie.

Grundsätzlich ist der Mensch für den Zufall ja nicht geschaffen. Das Gehirn arbeite wie eine "Assoziationsmaschine", die nach Ursachen sucht. "Ganz allgemein bringt sie eine Repräsentation der Wirklichkeit hervor, die mehr Sinn ergibt, als vorhanden ist", schreibt Daniel Kahnemann in seinem Buch "Schnelles Denken, langsames Denken". Aus der Sicht der Evolution ist das sogar höchst sinnvoll: Eine Situation richtig einschätzen, die Gründe verstehen und mögliche Konsequenzen abschätzen zu können, ist nicht nur für Jäger und Sammler überlebensnotwendig. Daraus aber abzuleiten, dass alles einen Grund haben muss und man diese Gründe sogar erkennen kann, wenn man sich nur genügend bemüht, scheint jedoch in die Irre zu führen: "Unsere Neigung zu kausalem Denken macht uns anfällig für gravierende Fehler bei der Beurteilung von Zufallsereignissen", schreibt Kahnemann.

Wenn in einer Klinik 83 Buben zur Welt kommen, muss das 84. nicht unbedingt ein Mädchen sein, auch nicht das 85. Jede Samenzelle hat eine andere genetische Ausstattung, daher können zwei Menschen unterschiedliche Kinder zeugen, je nachdem welches Spermium als Erstes in die Eizelle eindringt. Doch wir können selbst unausgesprochene Situationen spüren und erfassen und unglückliche Zufälle damit verhindern. Oder Gute ansteuern, die dann ihre Wirkung entfalten.

"Es gibt immer zwei Möglichkeiten"

Peter wuchs nach dem Krieg zuerst im zwölften Wiener Gemeindebezirk auf, seine Mutter hatte einen Stand auf dem Meidlinger Markt. Ihm waren die Heuchler zuwider, die zuerst "Heil Hitler" gebrüllt hatten und nun leugneten, ihn je gewählt zu haben, er wollte weg. Vor dem Markt fuhr ein Mietauto vor. Ein neuseeländisches Ehepaar stieg aus und erkundigte sich nach der nächsten Werkstatt. Peter fuhr mit ihnen hin und bot in seinem Schulenglisch an, ihnen Wien zu zeigen. Sie revanchierten sich mit einer Einladung und einem Schiffsticket erster Klasse ans andere Ende der Welt. Peter ergriff die Chance seines Lebens, ging nach in Wellington, um zu studieren, und war dort überglücklich. Nach zwei Jahren wollte er in den Sommerferien jedoch seine Mutter und Freunde besuchen. Angekommen im winterlichen Wien, nahmen ihn die Freunde auf einen Ball mit. Dort tanzte er mit Christine und statt nach Wellington zurückzukehren, blieb er in Wien.

"Es gibt immer zwei Möglichkeiten", sagt der polnische Jude Samuel Jakobowsky zum Oberst in Franz Werfels gleichnamiger Komödie über zwei ungleiche Personen, denen die Flucht vor den Nazis gelingt. Ein Zufall tritt ein. Danach trifft man eine Wahl.

Der Zufall, das Universumund Du

Florian Aigner zu Erkenntnissen der Naturwissenschaften über den Zufall; Brandstätter, 22,90 Euro

Schnelles Denken, langsames Denken

Daniel Kahnemann über Entscheidungen und Illusionen des kausalen Denkens zu erfassen;

Pantheon, 600 Seiten, 17,50 Euro

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