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Jobverlust stiehlt Kinderwunsch

Von Eva Stanzl

Wissen

Unsicherheit am Arbeitsplatz und Kündigung lassen Paare die Familienplanung verschieben.


Wien/Berkeley. Arbeiten als Freiberufler zu flexiblen Arbeitszeiten und mit wechselnder Auftraglage, Mobbing im Job und Sparmaßnahmen in Unternehmen: Seit den 1980er Jahren ist Job-Unsicherheit ein Teil des Lebens. Welche Folgen hat sie für die Gesellschaft, konkret: Wie beeinflusst sie die Familienplanung? Negativ, sagt das Bauchgefühl. Es liegt richtig. Die sinkenden Geburtenraten sind das Ergebnis einer Reihe von Hürden, die sich zwischen einen Kinderwunsch und dessen Umsetzung schieben. Unsicherheit am Arbeitsplatz ist eines dieser Hindernisse.

Wer die Angst hat, seinen Job zu verlieren, oder meint, in seiner Position nicht sicher im Sattel zu sitzen, schiebt signifikant häufiger den Kinderwunsch auf oder bläst das Kinderkriegen überhaupt ab. Zu diesem Ergebnis kommt die österreichische Demografin Doris Hanappi in einer Studie, die sie und ihr Team anhand von Daten aus dem Schweizer Haushaltspanel (SHP) durchgeführt haben.

Laut den Forschern trägt dieser Umstand unter anderem zu den aktuell niedrigen Geburtenraten bei. Die Studie gibt auch eine Vorahnung darauf, wie sich die Zukunft des Arbeitsmarktes im Rahmen von "Industrie 4.0" auf die Menschen auswirken könnte. Immer mehr Unternehmen rüsten (von Regierungen gefördert) ihren Workflow um. Künftig sollen Roboter in immer mehr Bereichen die Arbeit von Menschen verrichten, während Arbeitnehmern aus Fleisch und Blut ein zunehmendes Ausmaß an Flexibilität abverlangt werden wird - mit womöglich desaströsen Folgen für die Zahl der Neugeborenen.

Doris Hanappi, die im Rahmen eines Apart-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an der der University of California in Berkeley tätig ist, widmete sich zusammen mit Kollegen der Universität Lausanne dem Zusammenhang zwischen der Arbeitsplatzsicherheit und der Familienplanung. Analysiert wurden die Angaben von 1634 Personen im Alter zwischen 22 und 45 Jahren bei Frauen und bis 55 Jahren bei Männern, die in stabilen Paarbeziehungen standen. Das SHP kombinierte die Haushaltsdaten mit Informationen über demografische Ereignisse, Kinderwunsch und Indikatoren zur beruflichen Tätigkeit.

Das Ergebnis: Wenn die Angst um den Arbeitsplatz steigt, neigen gut ausgebildete Frauen wie Männer mit konkretem Kinderwunsch dazu, diesen entweder zu verschieben oder gänzlich aufzugeben.

Wenn höher gebildete Frauen ihre Jobsicherheit allerdings wieder zurückgewinnen, also die Angst um den Arbeitsplatz wieder verschwindet, können zwei Effekte eintreten: Die einen entwickeln signifikant häufiger einen Kinderwunsch - die anderen geben diesen häufiger auf. Für dieses scheinbare Paradoxon liefern die Forschenden eine logische Erklärung: Einerseits steigert eine höhere Arbeitsplatzsicherheit die Ressourcen, um Kinder in die Welt zu setzen. Andererseits steigt das Engagement, damit der Job nicht erneut in Gefahr geraten kann. Frauen, die ihren Posten halten, wollen beweisen, dass sie ihr Geld wert sind.

Einfluss auf die Lebensplanung

Die Furcht, auf einmal ohne Job da zu stehen, sitzt offenbar noch etwas tiefer als der Kinderwunsch selbst. Selbst wenn der männliche Partner einen sicheren Arbeitsplatz hat, verwirklichen von Job-Unsicherheit betroffene Frauen ihren Kinderwunsch nicht unbedingt. "Das lässt darauf schließen, dass die Verwirklichung des Kinderwunsches vor allem von der Arbeitsplatzsituation der Frauen abhängt - also Karriereeinbruch und Gehaltseinbußen und Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren", betonen die Studienautoren.

Untermauert werden die Erkenntnisse von einer früheren Studie der Universität Linz, die den negativen Einfluss einer Kündigung auf die Familienplanung belegt. Gut ausgebildete Frauen tendieren demnach dazu, ihren Kinderwunsch nach einer Kündigung nicht zu realisieren. Die von Rudolf Winter-Ebmer vom Institut für Volkswirtschaftslehre durchgeführte Studie zeigt einen signifikanten Einfluss von Arbeitsplatzverlust auf die Geburtenzahl, die je nach Statistik um fünf bis zehn Prozent zurückgeht.

Bei Personen mit niedriger oder geringer Bildung ist die Situation etwas anders. Bei ihnen steigt die Wahrscheinlichkeit, ihren Kinderwunsch aufzugeben, nicht mit der persönlichen Arbeitsplatzunsicherheit, sondern mit einer Verschlechterung der allgemeinen wirtschaftlichen Situation.