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Ethik der Erbgut-Mechaniker

Von Eva Stanzl

Wissen

Neue Möglichkeiten der Gentechnik stellen zentrale moralische Annahmen in Frage.


Wien. Können sie Schmerz empfinden? Stammzellenforscher Jürgen Knoblich hört diese Frage oft. Der stellevertretende Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie (Imba) in Wien züchtet "Mini-Organe in der Petrischale", wie er eine diesbezügliche Publikation betitelte - im Fachbegriff Organoide und genauer gesagt Organoide des Gehirns.

Dabei entwickeln sich Nervenzellen durch Selbstorganisation zu Gehirnstrukturen und funktionieren ebenso. Schmerz kennen sie jedoch keinen. "Davon sind wir weit entfernt", erklärt Knoblich: "Unsere Organoide wachsen nur bis zu einem gewissen Punkt. Sie sind kleiner als das, was üblicherweise bei Gehirntumoren entfernt wird. Für Schmerzempfinden benötigt man zudem Bewusstsein", betonte der Stammzellenforscher und Veranstalter des ersten Bioethik-Symposions des Imba am Mittwoch im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Ob 14-tägige, befruchtete Embryonen bereits ein Bewusstsein haben? Diese Zeitspanne ist selbst in bioethisch liberalen Ländern die Obergrenze für die Forschung an Embryonen außerhalb des Mutterleibs, die aus der künstlichen Befruchtung übrig bleiben und nicht der Fortpflanzung dienen. Ab dem Alter von 14 Tagen hat ein Embryo also so etwas wie das Potenzial, ein Mensch zu werden und Menschenrechte zu genießen. Forscher um den Harvard-Genetiker George Church haben bereits Körperzellen zu embryonalen Stammzellen zurückprogrammiert und diese zu einem Embryo-artigen Körperchen weiterentwickelt. "Synthetische menschliche Einheiten mit embryonalen Eigenschaften" werden sie genannt.

Jenseits des reinen Experiments ist das therapeutische Ansinnen, Teile von Organen und anderen Körperteilen im Labor so weit heranwachsen zu lassen, dass sie als Ersatzgewebe für Menschen dienen könnten. Ein weiteres Einsatzgebiet wären medizinische Tests mit eigenem Körpergewebe. Ob ganze Organe heranwachsen, muss sich weisen. Schon heute müssen sich Forscher jedoch Gedanken machen, wie sie es mit der Ethik halten, so Knoblich: Techniken mit ungeahnten Möglichkeiten rufen Bioethiker auf den Plan.

Die Genschere Crispr/Cas9 etwa ermöglicht gezielte Eingriffe in die Keimbahn und somit Veränderungen des Erbguts, das Eltern an ihre Nachkommen weitergeben. In erster Linie sollen Erbkrankheiten, die zu schwerster Behinderung oder zum Tod führen, aus der Erfolge gestrichen werden. In Österreich sind Eingriffe in die Keimbahn verboten. Doch in anderen Ländern werden bereits Versuche gemacht. Chinesische Forscher berichteten jüngst über Genkorrekturen an lebensfähigen Embryonen. Die US-Akademie der Wissenschaften wiederum hat in einem offenen Brief empfohlen, die Gentechnik für medizinische Versuche mit Keimbahntherapien zu öffnen.

Bioethik der Zukunft

"Wir werden rasch eine Akzeptanz dieser Techniken sehen, wenn sie sich in bestimmten Fällen als nützlich erweisen. Daher müssen wir über die Vorteile und Nachteile von Eingriffen in die Keimbahn nachdenken", betonte die Vorsitzende der Österreichischen Bioethik-Kommission, Christiane Druml, in ihrem Eröffnungsvortrag zum Symposion. Tut Europa das nicht, könnte es Wettbewerbsnachteile erleiden mit weniger Arbeitsplätzen in der Spitzenmedizin. Es geht um ein Mitmachen in den Wissenschaften.

Jedoch ist es praktisch unmöglich, sich die Auswirkungen genetischer Veränderungen am Menschen für die Gesellschaft adäquat vorzustellen. Elf Wissenschafter der deutschen Akademie Leopoldina äußern in einem Positionspapier "spezifische Bedenken" gegen Genschere und Forschung an Embryonen und Keimbahnzellen, lehnen all diese jedoch "nicht grundsätzlich ab". Allerdings sollten Eingriffe zur genetischen Verbesserung des Menschen verboten sein.

Jürgen Knoblich hält Keimbahn-Eingriffe "für unnotwendig, wie viele führende Stammzellen-Forscher". Erbkrankheiten könnten bereits bei der künstlichen Befruchtung ausgeschaltet werden, indem über Präimplantationsdiagnostik festgestellt würde, welche Embryonen krank sind, und diese nicht in den Mutterleib einsetze. "Intelligentere Menschen schaffen kann man nicht, es gibt kein Gen für Intelligenz. Der Mensch ist an sich optimiert", merkt er an.

Die neuen Möglichkeiten sind noch lange nicht Routine. Doch sie stellen zentrale Annahmen zum Menschsein bereits in Frage.