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Pharmariese Boehringer dreht in Wien auf

Von Eva Stanzl

Wissen

Medikamenten-Parallelhandel führt zu Knappheit, warnt Zentraleuropa-Chef.


Wien. Deutschlands zweitgrößter Pharmakonzern Boehringer Ingelheim erweitert seine Zentrale für Mittel- und Osteuropa in Wien-Hetzendorf um eine Produktionsstätte. Ab 2020 sollen am Standort für Krebsforschung auch Wirkstoffe aus Zellkulturen hergestellt, in Spritzen abgefüllt und vertrieben werden. Biopharmazeutische Medikamente heißt die Arzneien-Gattung, die auf der Basis von genveränderten Zellen hergestellt wird und in der Therapie von Krebs, Diabetes oder Multiple Sklerose weniger Nebenwirkungen auslösen soll als chemisch hergestellte Mittel. 500 Arbeitsplätze sollen entstehen, sagte Philipp von Lattorff, Generaldirektor des Regional Center Vienna, zur "Wiener Zeitung" beim Spatenstich am Mittwoch.

"Wiener Zeitung": Ihr neues Produktionsgebäude ist die derzeit größte Einzelinvestition in Wien. Wie viel lassen Sie sich das kosten und was versprechen Sie sich davon?Philipp von Lattorff: Die Investitionen für die Produktionsanlage liegen bei 500 Millionen Euro. Hinzu kommt Infrastruktur, wie etwa ein neues Logistikzentrum und eine Energiezentrale - die Gesamtkosten machen somit 700 Millionen Euro aus. Es ist die größte Einzelinvestition in der Geschichte von Boehringer Ingelheim und die größte in der Stadt Wien seit dem Bau der Opel-Werke durch General Motors 1979.

Ab wann wollen Sie Geld damit verdienen?

Das Gebäude wird in zwei bis drei Jahren fertiggestellt sein. Danach müssen wir die Prozesse genehmigen lassen, somit wird es 2020 oder 2021 werden, bis das erste Medikament in Produktion geht - amortisieren wird es sich freilich erst später.

2017 soll vor allem die Integration des neuen Tiergesundheitsgeschäfts, das Sie in einem milliardenschweren Tauschgeschäft vom Pharmakonzern Sanofi erworben hatten, zum Wachstum beitragen. Wie passen die Wiener Aktivitäten in dieses Portfolio?

Humanpharma macht mit Diabetes, Krebs, COPD und Herz-Kreislauf 90 Prozent unseres Geschäfts aus. Hinzu kommen rezeptfreie Produkte und Tiergesundheit für alle Gattungen. Auf der einen Seite arbeiten wir mit Krankenkassen und auf der anderen mit dem Privatmarkt zusammen - somit stehen wir auf zwei soliden Beinen. Die dritte Schiene ist die biopharmazeutische Produktion. Hier sind wir bereits Marktführer mit Produktionsstätten im schwäbischen Biberach und in Wien. Doch diese Kapazitäten reichen nicht für den Markt. Künftig wollen wir hier mit neuen Methoden biopharmazeutische Medikamente für uns und andere Pharmafirmen erzeugen, und zwar in einem Verhältnis 50:50.

Warum gerade in Wien?

Wir haben auch Singapur in Betracht gezogen, weil es gute Unterstützungen für Neuansiedelungen gibt. Jedoch hätten wir dort alles auf die grüne Wiese bauen müssen und das hätte Zeit gekostet. In Biberach wiederum stehen zwei große Anlagen zur Herstellung von Wirkstoffen aus Zellkulturen und es ist ein Risiko, alles an einem Ort zu haben. Daher war Wien auch eine strategische Entscheidung. Ein großer Faktor waren Stadt und Bund: Alle Verfahrensgenehmigungen kamen in guter Zeit. In Österreich haben wir außerdem im Unterschied zu Ländern mit günstigeren Lohnnebenkosten langfristig stabile Rahmenbedingungen und Gesetze, an die man sich halten kann.

Sind Sie zufrieden mit den Förderungen in Österreich?

Absolut ja, speziell wenn wir sie mit der deutschen Förderlandschaft vergleichen - dort gibt es keine Anreize wie in Österreich. Schon 2014 wurde die Forschungsprämie von 10 auf 12 Prozent angehoben und nun steht im Regierungsprogramm, dass sie 2018 weiter auf 14 Prozent steigen soll. Bei einem Investitionsvolumen von 200 Millionen Euro ist das interessant. Auch ein Beschäftigungsbonus, der die Lohnnebenkosten für zusätzliche Mitarbeiter um die Hälfte senkt, wurde in Aussicht gestellt. Ganz wichtig wird es sein, dass das nun alles umgesetzt wird.

In Deutschland gibt es Berichte über einen Parallelhandel mit Medikamenten, der zu einer Versorgungsknappheit führt. Ist das auch in Österreich ein Problem?

Das ist ein Riesenproblem und im Zusammenhang mit der nun beschlossenen Preis-Deckelung (für die Aufnahme von Arzneien in den Erstattungskodex der Kassen hat der EU-Durchschnittspreis zu gelten, Anm.) wird es umso brisanter: Händler kaufen bei uns Medikamente auf und verkaufen sie in hochpreisige Länder.

Dürfen sie das?

Aus Wien beliefern wir 33 Länder entsprechend ihrer Patientenzahl. Wenn aber der Großhandel oder die Apotheken etwas anderes damit machen als von uns angedacht, können wir nichts tun, denn das ist der freie Handel in der EU für Firmen mit Großhandelslizenz. Sie kaufen die Ware in Tschechien, nehmen den tschechischen Beipacktext raus, geben den deutschen hinein und verkaufen sie an die Apotheken in Deutschland. Dadurch entstehen dort Überkapazitäten, während in anderen Ländern die Patienten von Apotheke zu Apotheke rasen und Medikamente suchen, die nicht mehr erhältlich sind. Dann rufen sie an und sind stinksauer, wir aber können nicht reagieren, weil unsere Produktionskapazitäten strikt geplant sind.

Was kann die Politik dagegen tun?

In der Slowakei dürfen nur die Markeninhaber Medikamente verkaufen. Österreich könnte diesem Beispiel folgen, aber bisher stoße ich nicht auf Gehör.

Zur Person

Philipp von Lattorff,

geb. 1966 in Graz, begann 1993 bei Boehringer Ingelheim und leitet seit 2013 das Regional Center Vienna. Er trägt die Verantwortung für 33 Länder in Mittel- und Osteuropa. 2016 beschäftigte das Pharmaunternehmen in Österreich 1629 Mitarbeiter, die Erlöse aus verschreibungspflichtigen Medikamenten, rezeptfreien Produkten und Tiergesundheit wuchsen um 8,1 Prozent auf 851,5 Millionen Euro. Weltweit erzielte Boehringer Ingelheim 2016 einen Umsatz von 15,9 Milliarden Euro.