Zum Hauptinhalt springen

Medizin für den Einzelnen

Von Alexandra Grass

Wissen
Der Blick in die DNA ermöglicht Medizinern, immer neue und individuell abgestimmte Wege zu gehen.
© Fotolia/natali_mis

Ärzte diagnostizieren und therapieren heute präziser denn je.


Wien. "HER2/neu-positiver Brustkrebs": Wer noch vor 15 Jahren diese Diagnose erhielt, hatte besonders schlechte Karten, was das Überleben anbelangt. Seither hat sich das Blatt gewendet: Der Arzt "gratuliert" gewissermaßen, weil es sich dabei um die wohl am besten therapierbare Tumorart der Brust handelt. So überspitzt formulierte Michael Gnant, Chef der Chirurgischen Uniklinik der Medizinuni Wien, zuletzt in einer vom Pharmakonzern Roche veranstalteten Expertenrunde den Fortschritt in der Präzisionsmedizin.

Neu ist diese Entwicklung hin zur Medizin für den Einzelnen jedoch nicht, sondern sie habe bereits 1901 mit der Entdeckung der Blutgruppen durch Karl Landsteiner begonnen, betonte der Onkologe Hellmut Samonigg, Rektor der Medizinischen Universität Graz. Seitdem habe sich viel getan. Mit molekularbiologischen Methoden würden Krankheiten besser denn je erkannt. Auch die Biologie, die Prognose und das Ansprechen der Therapie könnten bei einer ganzen Reihe von Tumorarten gut skizziert werden.

Schaden abwenden

"Wenn wir bis 2050 in der Frühdiagnostik besser sind, werden wir durch Blutabnahme schon bei jungen Menschen bestimmen können, für welche Krankheiten eine Prädisposition vorliegt", so Gnant: "Bricht die Krankheit aus, werden wir rasch zur Gesamtdiagnose kommen und im Expertenteam ein individualisiertes Therapiekonzept erstellen. Wir werden sicherstellen, dass wahrscheinlich 80 bis 90 Prozent der Patienten gesund werden", zeichnete er ein wohl nicht ganz unrealistisches Zukunftsszenario. Doch er schränkt auch ein: Gesund müsse nicht bedeuten, dass der Krebs besiegt sei, sondern nur, dass Betroffene damit leben können.

Die Präzisionsmedizin bedeutet nicht nur, dass Patienten höhere Chancen erhalten, sondern sie ermöglicht auch, von Menschen Schaden abzuwenden, so Samonigg. Vielen Betroffenen würden damit unsinnige Therapien erspart bleiben und damit auch unnötige, belastende Nebenwirkungen.

Die Entwicklung bringt naturgemäß einen explosionsartigen Anstieg von Wissen und Daten mit sich. Nun gehe es darum, diesen extremen Fortschritt und das stetig wachsende Wissen zeitnah an den Patienten - aber auch in die Ärzteausbildung - zu bringen. Dabei sei auch wichtig, "transparent, fair und realistisch zu sagen, wo wir auf diesem Weg sind", ohne mediale Hypes zu produzieren, betonte Gnant.

Gerade in Österreich sei es notwendig, die Menschen davon zu überzeugen, dass Innovationen notwendig und positiv für den Einzelnen sein könnten. Werden in Wien Menschen auf der Straße befragt, ob sie glauben, von der Forschung zu profitieren, antworten 80 Prozent mit Nein - in Stockholm hingegen sagen 80 Prozent Ja. Diese Diskrepanz zeige, dass noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten ist. Denn die Fortschritte können sich sehen lassen: "Heute werden acht von zehn Frauen mit Brustkrebs geheilt. Die zwei anderen haben nicht mehr eine Lebenserwartung von nur zwei, sondern von sechs, sieben oder gar zehn Jahren", betonte der Chirurg. Und: "Beim Melanom wurde ein tatsächlicher Durchbruch erzielt. Da wurde mit der Immuntherapie etwas erreicht, was vor zehn Jahren nur ein Desaster war."

Die immer präziser erkennbaren, vielen unterschiedlichen molekularen Muster von Krankheiten führen aber auch zu einer Kleinteiligkeit. So gibt es immer mehr Untergruppen einer Krebsart und auch diese gliedern sich in Unter-Untergruppen. Für die Forschung wird dies zur Herausforderung, in der klinischen Routine könnte dies aber zu einer noch besseren Treffsicherheit führen.

www.medizinfuermich.at