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Männer haben weniger Spermien

Von Eva Stanzl

Wissen

Zahlreiche Samenzellen steigern die Fruchtbarkeit - westliche Männer erzeugen um die Hälfte weniger.


Jerusalem/Wien. Würde man es sportlich betrachten, wären männliche Samen wohl so etwas wie winzige Marathonläufer. Pro Samenerguss, der bis zu sechs Milliliter Volumen hat, wetteifern bis zu 900.000 Spermien um ein einziges Ei. Allerdings sind sie immer weniger zahlreich und immer weniger sportlich. "Bei einem von sechs Paaren kommt es trotz regelmäßigem Sex zu keiner Schwangerschaft und das liegt immer öfter am Mann", sagt der Wiener Reproduktionsmediziner Wilfried Feichtinger. Sein Befund in Zahlen: "Von etwa 6000 Paaren pro Jahr, die sich in Österreich über die Krankenkasse gegen Sterilität behandeln lassen, sind fast 4000 Fälle auf männliche Indikationen zurückzuführen."

Nun wird die Praxis-Statistik von der Wissenschaft untermauert. "Männer haben definitiv immer weniger Spermien", betont Studienleiter Hagai Levine, Vorstand des Instituts für Gesundheit und Umwelt an der Hebrew University in Jerusalem. In der ersten je durchgeführten, groß angelegten Meta-Analyse zur Spermienanzahl haben er und seine Kollegen 7500 Studien zum Thema durchforstet. Der schockierende Befund: Zwischen 1973 und 2011 ist die Spermienzahl pro Milliliter Samenflüssigkeit bei Männern aus westlichen Ländern um mehr als die Hälfte (52,4 Prozent) gesunken. Bei der Gesamtzahl der Spermien pro Samenerguss betrage der Rückgang sogar 59,3 Prozent, berichten die Forscher im Fachblatt "Human Reproduction Update".

Um ein objektives Bild zu erhalten, schlossen die Wissenschafter Studien aus, die bei zeugungsunfähigen oder chronisch erkrankten Männern durchgeführt worden waren. Am Ende werteten sie 244 Spermienzählungen aus 185 Studien an 43.000 Männern im Detail aus. Zudem gliederten sie die Teilnehmer in Regionen mit westlichem Lebensstil (Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland) und die übrige Welt (Asien, Afrika und Südamerika). Aus diesen Teilen der Erde stammten aber nur 28 Prozent der Zählungen.

"Angesichts der Bedeutung der Samenzellen für die männliche Fruchtbarkeit und die menschliche Gesundheit ist unsere Studie alarmierend", betont Levine in einem Video zu der Publikation: "Noch dazu ist noch lange nicht Schluss: Als wir die Studien auf die letzten zehn Jahre beschränkten, sahen wir den Abwärtstrend fortgesetzt."

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Zahl der Samenzellen pro Milliliter Ejakulat ein wichtiges Maß für die Fertilität beim Mann. Die Grenze zur Unfruchtbarkeit hat sie daher von 60 Millionen pro Milliliter Ejakulat in den 1950er Jahren auf heute 20 Millionen pro Milliliter heruntergesetzt. Zudem könnte Unfruchtbarkeit nur die Spitze des Eisbergs sein. Neuen Forschungsergebnissen zufolge könne die Spermienzahl nämlich auch im Zusammenhang mit der Erkrankungshäufigkeit und der Sterbewahrscheinlichkeit aussagekräftig sein, warnen die Forscher. Bedenklich sei auch der Trend zu einer Zunahme von Hodentumoren.

"Diese eindeutige Studie zeigt erstmals, dass der Rückgang stark und anhaltend ist", erklärt Ko-Autorin Shanna Swan von der Icahn School of Medicine in New York im Gespräch mit der "Deutschen Presse Agentur". Stefan Schlatt vom Universitätsklinikum Münster, der nicht an der Studie beteiligt war, sieht es nicht ganz so dramatisch. Die Spermienanzahl sei zwar maßgeblich bei der Beurteilung der Zeugungsfähigkeit. Jedoch spielen auch Beweglichkeit und Wohlgeformtheit eine Rolle, die in der Studie nicht betrachtet wurden, sagt Schlatt ebenda. Der Mediziner sieht einen wichtigen Grund abnehmender Zeugungsfähigkeit darin, dass Männer bei der Familiengründung immer älter würden.

Alltagschemikalien im Westen

Der Rückgang der Spermienzahl wird mit Umwelt- und Lebenstilfaktoren in Verbindung gebracht. Wissenschafter der Universität Haifa konnten etwa nachweisen, dass die elektromagnetische Strahlung von Mobiltelefonen die männliche Fruchtbarkeit schädigt. Auch der Einfluss von Chemikalien während der Schwangerschaft, eine Pestizid-verseuchte Umgebung im Erwachsenenalter, Rauchen, Stress und Fettleibigkeit gelten als Einflussfaktoren.

Alarmiert sind die Forscher durch die Tatsache, dass sich der Trend nur im Westen belegen lässt. "Das legt nahe, dass schädliche Chemikalien in unseren Alltagsprodukten schuld sind", sagt Levine: "Unsere Studie ist ein Weckruf für Forscher und Gesundheitsbehörden, den Ursachen für diesen anhaltenden Rückgang auf den Grund zu gehen.