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Das Herz ist das Maß der Gefühle

Von Eva Stanzl

Wissen

Kein Organ reagiert so stark auf psychische Belastungen wie das lebenserhaltende Herz.


Wien. Da war es wieder, das Trommeln im Herzen. Wie kleine Finger schlug es von innen gegen die Brust: bummbummbummbummm. "Ich habe Herzrhythmus-Störungen", lautete die Klage an den Arzt. "Mir schlägt das Herz urplötzlich bis zum Hals - wenn ich über die Straße gehe, irgendwo sitze, arbeite. Und dann ist es gleich wieder weg." Der Internist machte die üblichen Tests, legte sogar ein 24-Stunden-EKG an. Aber nichts. "Stehen sie unter Stress, haben Sie emotionale Probleme?", fragte er schließlich. Tatsächlich war der Untersuchung eine Trennung vorangegangen und dieser ein schleichendes Ende. Wenige Wochen später verschwanden die trommelnden inneren Finger wieder, ganz wie von selbst.

Wem der Verlust eines geliebten Menschen besonders nahegeht, dem kann das aufs Herz schlagen. Die Belastung kann sogar so groß werden, dass gesunde Herzen von einem Moment auf den anderen versagen. Denn das Herz ist Quelle für Freud’ und Leid’: Schon bei den Alten Ägyptern galt der lebenserhaltende Muskel als Sitz von Gefühl und Verstand. Heute bestätigt das Forschungsgebiet der Psychokardiologie: Psychische Krankheit kann chronische Herzleiden auslösen. Und umgekehrt. Aber wie?

Steuerzentralen im Gehirn

"Eine Trennung von einem geliebten Partner kann sich auf das Herz zunächst wie eine kurzfristige Belastung auswirken", erklärt Hilka Gunold vom Herzzentrum der Universität Leipzig. "Die Steuerzentralen im Gehirn schicken Botschaften des emotionalen Leidens an den Sympathikus im Hirnstamm, der mit einer Leistungssteigerung des vegetativen Nervensystems antwortet." Unabhängig von der gedanklichen Steuerung bewirkt der Sympathikus also, dass der Blutdruck und die Herzfrequenz ansteigen und das Herz Extra-Schläge macht. Die Störungen sind eine Reaktion auf die Gefühle, ganz ähnlich wie wenn umgekehrt beim Anblick des Geliebten Freude aufkommt und das Herz höherschlägt.

Wenn aus einem emotionalen Tiefpunkt jedoch ein anhaltendes Tief wird - etwa durch Verweilen in einer destruktiven Partnerschaft oder durch den Verlust noch weiterer Menschen -, dann kann das krank machen. "Ähnlich wie Bluthochdruck oder Adipositas, kann auch der psychische Zustand chronische Herzerkrankungen auslösen oder deren Verlauf verschlechtern", betont Gunold.

Die besondere Beziehung von Hirn und Herz ist sogar klinisch belegt. Jüngstes Ergebnis: Wenn Menschen mit Erkrankungen der koronaren Herzgefäße an Depressionen leiden, haben sie ein doppelt so hohes Todesrisiko wie psychisch gesunde Patienten. Das berichteten US-Forscher des Intermountain-Gesundheitszentrums in Salt Lake City im renommierten "European Heart Journal". Depressionen zählen demnach zu den gefährlichsten Einflussfaktoren. "Weder Alter, noch Infarkte, noch Diabetes, Bluthochdruck oder Nierenversagen führen bei Herzpatienten so häufig zum Tod wie die Depression", schreibt Studienleiterin Heidi May in einer Aussendung. Ihre Untersuchung stützt sich auf Angiografien von insgesamt 24.138 Herz-Patienten im Laufe von zehn Jahren. Als Nächstes wollen die Forscher die Wechselwirkung untersuchen. Denn nicht nur seelisches Leid kann der Gesundheit schaden, sondern der Körper steuert auch umgekehrt die Gefühle.

Wie läuft das ab? "Unser Stress-System ist auf akute Anforderungen, jedoch nicht auf Dauerstress ausgerichtet", erläutert Karl-Heinz Ladwig vom Institut für Epidemiologie und Menatale Gesundheit des Helmholtz Zentrums in München. Dauerstress greift den Körper an, und darin vor allem das Herz. Beteiligt sind insgesamt drei Systeme, die auf höchst komplizierte Weise zusammenwirken.

"Beim sympathischen (also vegetativen, Anm.) Nervensystem lässt sich eine verringerte Herzfrequenz-Variabilität messen. Das heißt, dass das Herz auf Veränderungen nicht mehr dynamisch reagieren kann, bildlich könnte man sagen, es erstarrt", sagt Ladwig. Im hormonellen System wiederum ist das Stresshormon Cortisol der zentrale Spieler, der die Nebennieren aktiviert. Wird die Nebenniere jedoch pausenlos angesteuert, verliert Cortisol seine Fähigkeit, wieder herunterzufahren. Das hat zur Folge, dass der Köper mehr davon produzieren muss, um die gleiche Wirkung zu erzeugen - mit toxischer Wirkung in den Zellen.

Auch das Immunsystem springt auf den Plan. Um mit Viren, Bakterien oder Schmutz fertig zu werden, lässt es Entzündungsprozesse ablaufen. Allerdings ist es ihm egal, ob die Überforderung durch Keime oder mentalem Stress erzeugt wird - in jedem Fall stellt es Entzündungsparameter bereit, was letztlich die Herzkranzgefäße schädigt und etwa einer Arteriosklerose den letzten Kick gibt, um aufzubrechen und einen Infarkt zu entwickeln.

Nur der Para-Smypathikus kann zu Hilfe eilen, um die Entzündungsparameter zu senken. Er ist im vegetativen Nervensystem für Entspannung zuständig. Meditation hat somit eine belegte therapeutische Funktion.

Freilich kann einem auch etwas auf die Nieren gehen. Es kann einem eine Laus über die Leber laufen oder es können Grippesymptome besonders bei Überforderung auftreten. "Das Herz ist jedoch besonders stark durch hormonelle, Prozesse beeinflusst und hat eine singuläre Stellung bei psychischen Ursachen", hebt Ladwig hervor.

Wissenschafter gingen diesem Zusammenhang erstmals in den 1980er Jahren systematisch nach. Sie erforschten den "Phänotyp A", der für hyperaktive, bei geringen Reizen schnell in Rage geratende Männer stand, die einen Herzinfarkt erlitten und davor über Erschöpfungszustände geklagt hatten. "Man dachte, dass die Psyche genau diesen Typus in den Herzinfarkt treibt", erklärt Ladwig.

Dass Typ-A-Menschen sich nach dem Infarkt relativ gut erholten, offenbar weil sie ein dickes Fell hatten und mit der Situation zurechtkamen. Anders als Depressive, die leiser, aber konstanter leiden. Weitere Studien belegten ihren starken Effekt auf die Herzgesundheit, bei dem eine Art Kettenreaktion am Werk zu sein scheint. "Eine langfristige psychische Belastung kann bereits in der Kindheit ihre Grundlagen haben und Betroffene derart beeinflussen, dass sie alles als Stresssituation empfinden und wie unter Hochspannung durch ihr Leben gehen", erklärt Gunold.

Emotion macht Stress

Aus der Epigenetik ist bekannt, dass vor allem Menschen, die in den besonders prägenden ersten zwei Lebensjahren zu wenig körperliche Zuneigung erfahren haben - also zu wenig gekuschelt wurden, wie es der Wiener Hormonexperte Johannes Huber ausdrückt -, weniger stressresistent und somit anfälliger für Herzerkrankungen sind.

Ladwig und seine Kollegen haben wiederum untersucht, in welchem Verhältnis die Depression zu anderen Risikofaktoren wie Rauchen, hohen Cholesterinen, Fettleibigkeit oder Bluthochdruck steht und dazu die Daten von 3428 männlichen Patienten zwischen 45 bis 74 Jahren über zehn Jahre beobachtet. "Das Risiko für eine tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankung in Folge einer Depression ist fast ebenso hoch wie bei hohen Cholesterinwerten, Bluthochdruck oder Fettleibigkeit", sagt er.

Emotion macht Stress. Das Gebrochene-Herz-Syndrom ist eine seltene, akute und oft schwerwiegende Funktionsstörung des Herzmuskels meist unmittelbar nach einer außerordentlichen emotionalen oder körperlichen Belastung. Auch bei scheinbar gesunden Herzen schnürt sich der Herzmuskel vorübergehend selbst ab und verursacht Symptome wie bei Herzinfarkt. "Menschen können sogar an einer ganz heftigen Gefühlsaufwallung sterben und man kann sich sogar durch extremes Glücksempfinden zu Tode freuen", sagt Ladwig: "Glücklicherweise kommt das aber nur sehr selten vor."