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"Lernen, wie der Mensch zu denken"

Von Eva Stanzl

Wissen

Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie. Doch sie entwickelt sich langsamer als gedacht.


Sie spielen meisterhaft Poker, arbeiten rund um die Uhr, ohne zu ermüden, und recherchieren blitzartig im Internet: Künstliche Intelligenz (KI) gilt als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts und als treibende Kraft der Digitalisierung. Doch wie realistisch ist es, dass Roboter tatsächlich so gut werden wie Menschen? Der Kognitionsforscher und KI-Experte Tarek Besold ist der Ansicht, dass zu wahrer Intelligenz viel mehr als ein gutes Programm gehört. Beim kommende Woche startenden Forum Alpbach hält er ein Seminar, dessen Teilnehmer erfahren können, wie weit Algorithmen, Roboter & Co. tatsächlich sind. Komplette Handlungsanweisungen für sie überfordern nämlich sogar die klügsten Köpfe.

"Wiener Zeitung": US-Forscher wollen neugierige Computer programmieren, Google-Informatiker eine künstliche Intelligenz mit Fantasie erschaffen. Alles Übertreibung oder realistische Perspektiven?

Tarek Besold: Begriffe wie "Neugier" oder "Vorstellungskraft" sind ganz bewusst gemachtes Marketing. Wenn man Googles Publikation dazu liest, kann dieses System ein paar Zeitschritte in einer Situation vorausplanen - also eine Aktion auswählen, mit einer gewissen Sicherheit vorhersagen, was sie auslösen wird und was die Folgeaktionen sein könnten. Viele Systeme haben diesen kleinen Planungshorizont noch nicht. Ihn jedoch als sprühende Fantasie zu bezeichnen, ist ein konzeptueller Scherz. Natürlich ist es ansprechender, statt "zeitlich begrenzte Voraussicht in einem deterministischen Kontext" "Imagination" zu sagen. Google, IBM oder Facebook machen zwar sehr gute Grundlagenforschung, jedoch muss ein großer Coup auch die Marke nach außen tragen.

Forscher wie Hersteller kündigen Roboter für praktisch alles an: als Freunde, Gesundheitsmonitor, Arbeiter, Pfleger, Haushälter oder Sexualpartner. Setzt sich hier auch die Marketing-Abteilung durch?

Den Gedanken, zum Schöpfer zu werden, gab es schon im alten Ägypten. Menschen sind sehr schnell bereit, allen Objekten, die menschenähnlich aussehen menschliche Attribute zuzuschreiben - nicht umsonst sind Roboter mit süßen kleinen Körpern und großen Augen Lieblingsspielkinder der popkulturellen Fantasie. Dennoch tun sich die Roboter schwer bei Tätigkeiten, die über das Heben von Autotüren in Fabrikshallen hinausgehen. An der Uni Bremen untersuchen wir, wie gut Roboter Alltagstätigkeiten vollbringen. Beim Einräumen von Geschirrspülern müssen wir uns dabei auf normierte Porzellanteller beschränken, weil ein Roboter mit Kreisarm einen Plastikteller verbiegen würde und die ganze Schleife durcheinander käme.

Also doch keine Haushaltsroboter?

In etwa zehn Jahren wird der Roboter erkennen können, dass es verschiedene Teller gibt. Ob er dann auch weiß, wie viel Druck er ausüben kann, um ihn aufzuheben, ist offen. Denn es gibt Situationen, die so minutiös unterschiedlich sind, dass man sie nicht im Spezifischen vorprogrammieren kann. Wir Menschen wissen, welche Eigenschaften welches Material hat. Ein Roboter hat dieses Allgemeinwissen nicht.

Können die KI-Systeme denn keine Materialkenntnisse erlernen?

Von einem Roboter, der sich in der Alltagswelt bewegt, sind wir ganz weit entfernt. Ähnlich wie beim selbstfahrenden Auto könnten wir zwar sehr viele Daten sammeln und mit der Zeit eine gute Plastikteller-Theorie entwickeln. Aber damit haben wir noch keine Gabeln, Messer oder Tassen - das ist ja die Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Hollywood-inspirierten Fantasien.

Was sagt der Kognitionsforscher: Wie versteht der Mensch die Welt, wie tut es die Maschine?

Der qualitative Unterschied zwischen Menschen und Maschinen scheint so zu sein, dass künstliche Systeme sehr gut statistische Regelmäßigkeiten aus großen Datenmengen finden können, während Menschen aus wenigen Beispielen blitzartig generelle Eigenschaften abstrahieren und Ausnahmen mit einberechnen können. Algorithmen fangen somit im Detail an und versuchen, sich Äquivalenz-Klassen zu schaffen. Dabei generalisieren sie nicht, sondern finden ausreichend viele Fälle, die im Erscheinungsbild ähnlich sind. Menschen haben hingegen ein generell-situatives Verständnis, das sie auch beschreiben können, während Maschinen aus auf Ähnlichkeit beruhenden Beispielen lernen und Situationen in der Regel nicht beschreiben können.

Und wie gut können Computer tatsächlich Auto fahren?

Weil immer mehr Rechenpower auf kleinem Raum untergebracht werden kann, werden mit ausreichend vielen Daten wahrscheinlich in zehn Jahren selbstfahrende Autos unterwegs sein. Eine der Hauptaufgaben der Hersteller ist es, ganz viele Fahrer- und Fahrzeugdaten zu sammeln, um alle möglichen relevanten Situationen abzubilden und statistisch zu lösen. Diese Fahrzeuge werden dann zwar nicht wissen, wie man Auto fährt. Aber sie werden statistisch alle relevanten Fälle abdecken - und am Ende vielleicht andere, aber zahlenmäßig weniger Unfälle produzieren als Menschen.

Bereits im Gang ist die Automatisierung der Arbeit. Welche Bereiche sind als Nächstes betroffen?

Neben Routinetätigkeiten in Fabriken sind auch scheinbar komplexere Arbeiten betroffen - vom Zusammenfassen von Texten über Story-Generierung für Computerspiele bis zum Drehbuchschreiben von Telenovelas. Denn was braucht man für eine Soap Opera? Helden, Antagonisten, Protagonisten, alle fünf Folgen ein Liebesdrama und alle zehn Folgen einen Tod: Solche Sachen sind automatisierbar. Schwierig sind hingegen Übersetzungen, denn die Übersetzer müssen verstehen, was jemand anderer erzeugt hat, und es äquivalent in einer anderen Sprache und Ausdrucksweise wiedergeben. Allerdings machen Statistiken aus "Eulen nach Athen tragen" noch nicht "carrying coals to Newcastle".

Trotz methodischer Engpässe gilt KI als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Welche Art der Renaissance erleben wir?

Seit ihrer Erfindung Mitte der 1950er Jahre wurde die künstliche Intelligenz mehrmals gehypt und totgesagt. Im Moment ist sie in der öffentlichen Wahrnehmung wieder ganz oben, weil seit den 1980er Jahren vorhandene Technologien aufgrund von leistungsfähigeren Computern eine Blüte erleben. Ähnlich wie in der Renaissance unterhält man sich darüber, was der Mensch eigentlich ist und was es heißt, zu schöpfen. Es gibt ein Wiederauferstehen von Technologien aufgrund des Fortschritts von Rechenleistung auf sehr kleinem Raum.

Wird künstliche Intelligenz ebenso umwälzend sein wie die Renaissance?

Ich sehe das Potenzial dazu, aber entscheiden wird es sich in den nächsten fünf Jahren. Derzeit sind wir noch am Anfang - es kann aber auch sein, dass Leonardo einen unglücklichen Schritt macht und vom Gerüst fällt, und dann war es das. Die erste Euphorie, die Tiefes Lernen (selbstlernende Algorithmen, Anm.) auslöste, haben wir überwunden, nun beginnt die Konsolidierungsphase. Wenn wir neue Ansätze entwickeln können, wie wir Robotern noch mehr Fähigkeiten geben können, kann die Umwälzung massiv werden. Derzeit aber funktioniert Tiefes Lernen so, dass der Computer aus dem Detail anhand von vielen Daten Wissen gewinnt. Nur wenn er lernt, wie die Menschen qualitativ zu abstrahieren und zu generalisieren, dann geht die Entwicklungskurve weiter steil nach oben.

Wenn nicht, dann werden wir weiterhin hervorragende Bild-Klassifikatoren, Fabriksarbeiter und Terminplaner haben und alles wird spezialisierter und verlässlicher werden. Aber dabei wird es dann auch bleiben. Dann wird es keinen Quantensprung geben in dieser Technologie.