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Klimawandel beeinflusst Hochwasser

Von Alexandra Grass und Eva Stanzl

Wissen

Groß angelegte Studie weist direkten Einfluss des Klimawandels auf die jährlichen Überflutungen in Europa nach.


Wien. Starkregen, Hagel, Schlammlawinen und von oben nichts als Wasser: Auch für heute, Freitag, rechnen die Meteorologen mit kräftigen Regengüssen in manchen Teilen Österreichs.

Schon vergangenes Wochenende waren Feuerwehren nach Unwettern im Dauereinsatz: Murenabgänge gab in der Steiermark, Salzburg, Kärnten und Tirol. In Graz stieg der Flusspegel so weit an, dass die Murpromenade gesperrt werden musste. Auch in Deutschland und Italien sorgen starke Regenfälle, reißende Flüsse, zerstörte Häuser und haufenweise Schlamm für Schlagzeilen. Und spätestens seit den historischen Hochwasser-Katastrophen von 2009, 2010 und 2013 festigt sich der Eindruck, dass auch hierzulande extremer Starkregen immer häufiger auftritt.

Tatsächlich sind weltweit mehr Menschen von über die Ufer tretenden Flüssen betroffen, als von allen anderen natürlichen Gefahren. Statistiker sprechen von einem jährlichen Durchschnittsverlust von rund 88 Milliarden Euro und rechnen damit, dass derartige Ereignisse aufgrund des Klimawandels immer häufiger auftreten. Bisher war jedoch nicht nachgewiesen, dass der Klimawandel mehr Überflutungen verursacht, sie verstärkt oder jahreszeitlich verschiebt. Eine groß angelegte Studie unter Federführung von Wiener Wissenschaftern belegt nun erstmals den direkten Zusammenhang von Klimawandel und Hochwasser.

Fluten früher oder später

Die von der Technischen Universität (TU) Wien geleitete Studie zeigt, dass sich der Zeitpunkt dieser Ereignisse in Europa dramatisch verschiebt, berichten die Forscher im Fachblatt "Science". Für das Projekt haben mehr als 100 Institutionen weltweit Daten von 4262 hydrometrischen Stationen aus 38 europäischen Ländern aus den Jahren 1960 bis 2010 ausgewertet.

Tritt ein Fluss mit ungewohnter Heftigkeit über die Ufer, dann gilt das als Einzelereignis. Für die Wissenschaft ist es kein Beweis für einen Zusammenhang mit dem Klimawandel. Daher hätten vorherige Studien immer wieder zu verwirrenden Resultaten geführt, erklärt Günter Blöschl vom Institut für Wasserbau und Ingenieurhydrologie TU Wien. Nun konnte erstmals nachgewiesen werden, worüber bisher nur spekuliert wurde. Im Gegensatz zu früheren Studien, die sich auf Stärke und Häufigkeiten von Hochwassern konzentrierten, ging das Team der Frage des Einflusses des Klimawandels auf die europäischen Flüsse auf eine andere Art und Weise nach: Die Forscher suchten nach Verschiebungen des Auftretens solcher Ereignisse im Jahresverlauf auf möglichst breiter Basis. Dabei zeigte sich, dass sich die Fälle von Hochwasser in Europa in dieser Zeitspanne deutlich verschoben haben, heißt es in der Publikation.

Schneeschmelze und Luftdruck

Zum Hintergrund: Überflutungen sind nicht nur durch starken Regen bedingt, sondern ebenso durch vorliegende Bodenfeuchtigkeit, Schneeschmelze und andere Faktoren. Sie werden auch von veränderter Landnutzung - etwa Abholzung, Flussregulierungen, Versiegelung von Flächen oder intensive Landwirtschaft - ausgelöst. Daher sei es "grundsätzlich schwierig", die Effekte des Klimas isoliert zu betrachten, betont Blöschl. Um ihnen dennoch noch auf die Spur zu kommen, sah er sich mit seinem Team genau an, zu welcher Jahreszeit die Ereignisse in den unterschiedlichen Regionen Europas auftreten. "Der Zeitpunkt des Hochwassers gibt nämlich Aufschluss über seine Ursache."

Die Analyse förderte folgende Verschiebungen zu Tage: "Im Nordosten Europas, in Schweden, Finnland und im Baltikum kommen starke Überflutungen heute um einen Monat früher als in den 1960er und 70er Jahren vor. Damals traten sie durchschnittlich im April auf, heute im März", erklärte Blöschl. Die Verschiebung liege daran, dass der Schnee heute früher schmilzt als zu Beginn des Untersuchungszeitraums. Für den Alpenraum zeigte die Analysen dagegen keine so starken Veränderungen. Anders als in England und Norddeutschland, wo Fluten im Schnitt um rund zwei Wochen später auftreten. "Der Klimawandel ändert den Luftdruckgradienten, das führt dort zu später auftretenden Winterstürmen", sagt der Studienleiter.

An den Atlantikküsten Westeuropas wiederum führe der Klimawandel dazu, dass früher im Jahr das Maximum an Bodenfeuchte erreicht sei. In Teilen der Mittelmeerküste hätte dagegen die Meereserwärmung zur Folge, dass Hochwasserereignisse immer später auftreten.

Anhaltender Trend

Seit jeher tritt Hochwasser regional zu unterschiedlichen Zeiten auf. So ist etwa in Nordwesteuropa, in England und im Mittelmeerraum eher im Winter Hochwasser-Saison, weil dort dann die Verdunstung niedrig ist und Niederschläge heftig ausfallen können. In Österreich und dem Rest Mitteleuropas sind Hochwasser dagegen vor allem nach starken Regenfällen nach Sommer-Stürmen häufig - wie sich auch an den aktuellen Überflutungen von Tirol bis in die Steiermark ablesen lässt. In Nordosteuropa wiederum ist die Schneeschmelze im Frühling der Hauptfaktor für das Auftreten von Überflutungen.

"Der Zeitpunkt von Fluten ist also stark vom vorherrschenden Klima abhängig und damit ein deutlich aussagekräftigerer Indikator für den Nachweis von Auswirkungen des Klimawandels als deren Stärke", betont Blöschl. Angesichts des anhaltenden Trends in Richtung höherer Temperaturen könne man davon ausgehen, dass sich dieser Prozess fortsetzen wird. Mit den neuen Erkenntnissen wollen die Wissenschafter mathematische Modelle schaffen, die bessere Vorhersagen ermöglichen sollen.