Zum Hauptinhalt springen

Mit Lichtstrahlen ins Gehirn schauen

Von Eva Stanzl

Wissen
Mit Licht werden die Impulse von Nervenzellen kontrolliert.
© Medizinische Universität Innsbruck

Neurophysiologe Gero Miesenböck erläutert die Möglichkeiten der Optogenetik.


Die Optogenetik nützt Licht, um die Impulse von Nervenzellen zu kontrollieren. Damit lassen sich hochkomplexe Schaltkreise und Prozesse, wie Gedanken oder Gefühle, im Gehirn erkunden. Der österreichische Neurophysiologe Gero Miesenböck, der bei den Technologiegesprächen in Alpbach referierte, ist Pionier des Faches. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erläutert er die Möglichkeiten.

"Wiener Zeitung": Die Optogenetik gilt als vielversprechendes Forschungsfeld. Was wird gemacht?

Gero Miesenböck: Optogenetik ist eine Methode, um definierte Zelltypen, vor allem Nervenzellen im Gehirn, mit Licht zu steuern. Unsere Gehirne reagieren auf elektrische Signale. Die Information wird in Strömen in den Zellen kodiert und wir können Spannungsänderungen durch lichtempfindliche Proteine erzeugen.

Woher nehmen Sie diese lichtempfindlichen Proteine?

Wir haben sie in unseren Augen. Wenn wir Gene, die für diese Licht-Eiweiße kodieren, in andere Nervenzellen transportieren, lassen sich mit dem Lichtstrahl künstliche Erregungsmuster direkt ins Gehirn schreiben.

Wozu wird das benötigt?

Erstens können Neurogenetiker damit herausfinden, welche Aktivitätsmuster unserem Geistesleben zugrunde liegen. Indem wir ein Erregungsmuster im Gehirn herstellen, können wir Sinneswahrnehmungen, motorische Abläufe, Emotionen, Empfindungen, Gedächtnisvorgänge, Erinnerungen, Wahrnehmungen und Handlungsabläufe künstlich erzeugen. Zweitens interessieren wir uns für Entscheidungsfindung. Denn je schwieriger eine Entscheidung ist, desto länger denken selbst Fruchtfliegen darüber nach.

Was geht in ihnen vor?

Eine Antwort, der wir auf der Spur sind, ist, dass das Gehirn etwas Ähnliches macht wie ein Ingenieur, der ein ungünstiges Rausch-Signal hat, das er über längere Zeit mittelt.

Sie schauen Fliegen beim Denken zu. Was leiten Sie daraus ab?

Uns interessieren Vorgänge im Gehirn, die sich über Zeiträume erstrecken, also länger sind als ein Nervenimpuls. Wir haben eine Fliegen-Mutante entdeckt, die entscheidungsschwach ist. Die Entscheidungsschwäche ist an ein Gen gekoppelt, von dem die Fliege eine und der Mensch zwei Kopien besitzt. Defekte in zwei Versionen beim Menschen haben mit Problemen bei Sprache, Feinmotorik und allgemeiner Intelligenz zu tun. Uns interessiert, wie das mechanistisch funktioniert.

Was haben Sie noch über unser Geistesleben herausgefunden?

Wir haben an Fruchtfliegen entdeckt, dass bestimmte Zellen den Schlaf-Wachrhythmus steuern. Durch Anregung mancher Zellen kann man sie sofort in den Schlaf versetzen, durch Anregung anderer kann man sie wecken. Wir kommen einem großen biologischen Mysterium, nämlich der Rolle des Schlafs, auf die Spur. Die Arbeit ist noch nicht publiziert, aber es hat etwas mit dem Stoffwechsel zu tun. Es scheint, dass sich die Nervenzellen ausrasten müssen so wie Muskeln, die stark beansprucht werden, und dass der Schlaf das möglich macht.

Weiters haben wir an Fliegen gezeigt, dass männliche und weibliche Gehirne ähnlich konstruiert sind. Und zwar so ähnlich, dass man männliches Balzverhalten in Weibchen auslösen kann. Es gibt somit eine latente Bisexualität im Gehirn. Das hat wahrscheinlich entwicklungsbiologische Gründe, weil es schwer ist, die Entwicklung des Gehirns genetisch zu programmieren. Müsste es die Natur für beide Geschlechter unterschiedlich machen, wäre es noch komplizierter. Also ist das Gehirn zunächst unisex und legt erst gegen Ende seiner Entwicklung ein paar kritische Schalter auf männlich oder weiblich um. Die Genetik kann diese Schalter umgehen: Männchen können sich wie Weibchen verhalten und umgekehrt.

Wie komplex ist das Liebesleben von Fruchtfliegen?

Normalerweise strecken Männchen einen Flügel aus und vibrieren hin zum Weibchen. Wir konnten dieses Lied auch im Weibchen anregen, obwohl sie normalerweise nie spontan singen, da eine bestimmte Art von Zellen in ihren Gehirnen unterentwickelt ist. Der untergeordnete Schaltkreis, der die Flügelbewegungen auslöst, ist jedoch angelegt. Wenn wir die Kommandozelle im Gehirn umgehen und den Schalkreis ansteuern, vibrieren auch Weibchen.

Ist das beim Menschen denkbar?

Im Prinzip ja. Signale, die entweder von Natur her fehlen oder beschädigt wurden, könnte man ersetzen. Eine Anwendung heißt aber, Nervenzellen genetisch so zu verändern, dass sie lichtempfindliche Proteine erzeugen. Das wäre eine erschwerte Form der Gentherapie, denn es ginge nicht darum, ein Gen zu reparieren, sondern ein Fremdes einzusetzen, was mit technischen und ethischen Hürden verbunden ist. Auch die Appetitregulierung, die wir immer besser verstehen - etwa kann man Mäuse durch optogenetische Manipulation von Nervenzellen im Hypothalamus fress- oder magersüchtig machen -, ist nicht medizinische Praxis. Zur direkten Anwendung wird Optogenetik aber bei Erkrankungen des Auges kommen, weil die Lichtzufuhr leicht reguliert werden kann. Bei Netzhautdegenerationen könnten andere Zellen in der Netzhaut lichtempfindlich gemacht werden. Abgesehen davon könnte ein besseres Verständnis der Zellen zu verbesserten konventionelleren Therapien führen.

 wiki commons

Gero Miesenböck geboren am 15. Juli 1965 in Braunau am Inn, gilt als Pionier des Forschungsgebiets der Optogenetik. Der Neurophysiologe ist Gründungsdirektor des Centre for Neural Circuits and Behaviour der Universität Oxford. Bei den Technologiegesprächen in Alpbach referierte er über sein bahnbrechendes Fach.