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Ein anderes, künstliches Ich

Von Eva Stanzl

Wissen

Zeit für Verantwortung: Die Ars Electronica in Linz thematisiert den Umgang der Gesellschaft mit Künstlicher Intelligenz.


Linz. Samantha könnte um die 25 sein. Die blonden Haare und die Schuhe trägt sie offen, die weiße Sportkleidung sitzt knapp. Ihre Haut ist Made in China. Das Gemisch aus Silikon und einem thermoplastischen Elastomere ist, wie der Name schon sagt elastisch, erstaunlich menschenähnlich und reagiert auf Berührungen.

"Hallo, Samantha!", begrüßt ihr Erfinder, der spanische Ingenieur und Künstler Sergi Santos, die Puppe. "Hallo, ich bin da", meldet sich ihre weiche Stimme. "Sei sexy", ermuntert er sie und berührt sie am Bauch, am Po, am Busen. Die Puppe antwortet mit sinnlichen Stöhnlauten. "Sie hatte heute schon vier Orgasmen - da reagiert sie schneller", erklärt Santos der durchaus verblüfften Gruppe, die sich um ihn gebildet hat, und kommt sogleich zum Punkt: "Samantha hat vier Modi: schlaf, wach, normal, zärtlich und hart. Die Penetration fühlt sich fast echt an, aber im Unterschied zum Sex mit meiner Frau kann ich mit der Puppe nicht kuscheln. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass die meisten Menschen weniger Sex haben, als sie gerne hätten, sind Sexroboter wie Samantha durchaus eine Alternative - da sollte man nicht zu falsche Scham drum herum haben."

Mit Tabus aufräumen

Mit Tabus versucht die seit Donnerstag laufende Ausstellung "Artificial Intimacy" in der Postcity bei der Ars Electronica in Linz aufzuräumen, um neue, offene Überlegungen zur Sexualität an deren Stelle zu setzen. Es gelingt. In Videos berichten Künstler durchaus glaubwürdig von Fällen, in denen Sex-Puppen Einsamkeit lindern, und wie Roboter sexuellem Notstand abhelfen können. Das Kunstwerk "Kissinger" regt hingegen in seiner Absurdität zum Lachen an: Es kann Fernbeziehungen erleichtern, indem man einen Aufsatz am Smartphone küsst. Der Lippendruck wird gemessen und über das Telefon an den Vermissten am anderen Ende übertragen.

Wie steht es weiter um die Wechselwirkung zwischen Technologie und Mensch? Unter dem Titel "AI - Das andere Ich" widmet sich die Ars Electronica bis 11. September der Künstlichen Intelligenz und ihrer Auswirkungen auf unser Weltbild. Das 1979 gegründete Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft ist heuer mit mehr als 500 Veranstaltungen besonders umfangreich. Hauptspielplatz sind das ehemalige Postverteilzentrum am Bahnhof Postcity, das OK-Centrum und das Ars Electronica Center. "Ein Nachdenken, wie wir mit den von uns geschaffenen Maschinen umgehen", will Festival-Direktorin Christine Schöpf anregen.

Früher setzte der Mensch Maschinen als Werkzeuge ein. Sie stellten Einzelteile aufs Fließband, verschweißten Produkte, wuschen Wäsche und Geschirr und mähten den Rasen - Knopf an, Knopf aus, und das war’s. Heute ist Technologie fast so etwas wie ein WG-Mitglied: Ob Smartphone, Laptop, Auto, Kamera, Drohne oder Bankomat - Maschinen gehören zum Alltag wie noch nie. Über das Internet verbinden sie uns auch miteinander. Besonders diese soziale Komponente der Technologie ist eine Herausforderung. Da der Mensch in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, etwas zu schaffen, das zumindest annähernd auf eine Art intelligent ist wie er, nennen die Ars-Veranstalter die Künstliche Intelligenz das "andere Ich".

"Uns geht es in erster Linie nicht um die technisch-wissenschaftlichen Herausforderungen, sondern um eine Auseinandersetzung mit uns selbst. Wir haben die wunderbare Gelegenheit, über grundlegende Fragen nachzudenken", betont Gerfried Stocker, Direktor der Ars Electronica, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Was wollen wir, dass die Maschinen für uns tun? Was nützt, was schadet uns? Wer ist verantwortlich dafür, wie neue Technologien eingesetzt werden - Regierungen, Wissenschafter oder Internetriesen? "Diese Fragen werden nicht verschwinden. Die Gesellschaft und jeder Einzelne muss seine Verantwortung wahrnehmen und das Recht einfordern, an der Gestaltung der Zukunft teilzunehmen", so Stocker. Hier gäbe es derzeit ein Vakuum: "Wir dürfen die Gestaltung nicht Konzernen überlassen, die wie jüngst beim Diesel-Skandal bewiesen haben, welche Interessen sie verfolgen."

"Archive Dreaming" heißt eine Rauminstallation von Refik Anadol, die dieses aktuelle Gestaltungsvakuum spürbar macht. An Spiegelwänden toben Bilder. Je nach Stellenwert werden sie wie in einer Wordcloud größer oder kleiner. Das Ganze soll Maschinenlernen illustrieren, doch es gibt keine Möglichkeit für Betrachter, zu erfahren, welche Bilder sie sehen. Ein bisschen übermächtig wirken die Fotos - so ähnlich wie die Dominanz der Technik mit ihren Vernetzungen, die kaum mehr jemand zu durchschauen vermag. In diesem Vakuum entstehen keine Fakten, sondern diffuse Gefühle, wie die Angst vor Kontrollverlust oder übermäßiger Enthusiasmus.

Liebe ohne Gegenliebe?

"Unser Problem ist, dass wir leicht hineinzulegen sind, wir werden durch einfache Dinge verleitet", sagt Stocker. Wenn etwas zwei Kreise und einem Strich hat, sehen wir ein Gesicht. Wenn sich der Motor einer Maschine auf einer bestimmten Frequenz bewegt, sehen wir ein Zittern, das wir mit Furcht und Leid verbinden. "Wir sehen Signale und bevor wir es merken, sind wir in einer emotionalen Beziehung mit einer Maschine, die diese nicht erwidern kann", sagt der Festivaldirektor: "Diesen Illusionen müssen wir mit Kompetenz und Transparenz entgegenwirken."

Katsuki Nogami hat genau das vor. "Ich mag kein Design. Design kontrolliert, dient dem Verkauf, verhüllt die Botschaft und macht Raum für falsche Gefühle", sagt der in Tokyo lebende Künstler bei einem Rundgang durch die Ausstellung "CyberArts" mit Prämierten des diesjährigen Prix Ars Electronica im OK Center. Nogamis Arbeit verdeutlicht, wie er den gesellschaftlichen Umgang mit Robotern verstanden wissen will, wenn es darum geht, wer letztlich Meister des Universums sein wird.

"Rekion Voice" wirkt wie eine faszinierende Post-Apokalypse. Kernstücke sind robotische Schaltkreise, die in einem dunklen Raum im Halbkreis aufgereiht und in Ketten gelegt, in Käfige gesperrt und in sonstigen Konstruktionen aus Altmetall gefangen sind. Das Ganze macht einen Heidenkrach, denn es gibt kein Entrinnen: Jede Geste und jedes Wort eines jeden Besuchers versetzt über eine Infrarotkamera die Schaltkreise in Bewegung und Töne. "Wir befehlen den Robotern, was sie zu tun haben, sie sind unsere Sklaven", erklärt Nogami.

Um Grundprinzipien des gesellschaftlichen Umgangs in der digitalen Welt ging es denn auch in der Eröffnungsdiskussion mit dem Titel "Wie Kulturen Technologien formen" Donnerstagnachmittag. Freilich mag stimmen, dass asiatische Länder generell offener für Roboter sind als europäische. "Österreich ist allerdings bei der Digitalisierung ein verschlafenes Land", warnt Stocker. "Es hat lange es gedauert, bis die Debatte über Informatik und Programmieren in den Schulen Platz gegriffen hat. Und auch das, was jetzt gemacht wird, reicht an die enormen Dimensionen, in denen programmierte Systeme unser Leben bestimmen, keineswegs heran."

Um zu verstehen, wie eine Maschine lernt, müsste jedes Kind in der Schule lernen, zu programmieren und zu verstehen, was das bedeutet. Denn nur digitale und ethische Kompetenz ermögliche es einer Gesellschaft, in einem laufenden, mündig geführten Diskurs stets einen neuen gesellschaftlichen Konsens auch im Digitalzeitalter zu finden.