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Die Uhr sitzt in den Genen

Von Judith Belfkih

Wissen

Der Medizin-Nobelpreis 2017 geht an drei US-Forscher - sie haben die Mechanismen der biologischen Uhr entschlüsselt.


Stockholm. Herzfrequenz und Blutdruck sind abends am höchsten, die Körpertemperatur am frühen Morgen am niedrigsten und Hautzellen erneuern sich am schnellsten um Mitternacht. Dass die innere Uhr längst nicht nur den Schlafrhythmus regelt und daher bei Fernreisen oder Schichtarbeit gehörig aus dem Takt kommen kann, ist länger bekannt. Dass der biologische Taktgeber des menschlichen Tagesablaufs - wie generell jede Form von Leben - mit der Rotation der Erde und damit dem 24-Stunden-Rhythmus zusammenhängt, ist auch erwiesen. Seit einiger Zeit versuchen Mediziner, bei der medikamentösen Therapie von Patienten die Mechanismen dieser biologischen Uhr mit zu berücksichtigen - in den entsprechend jungen Fachgebieten der Chronopharmakologie und der Chronotherapie - und mit erstaunlichen Ergebnissen. Wie die Mechanismen der inneren Uhr jedoch genau funktionieren, das gab den Forschern lange Zeit Rätsel auf.

Den US-Forschern Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young ist es gelungen, die zirkadianen Rhythmen von Zellen und Lebewesen aufzuklären. Dafür werden sie mit dem Medizin-Nobelpreis 2017 ausgezeichnet, wie der Sekretär des Karolinska Instituts in Stockholm bekannt gab. Der Preis ist mit neun Millionen Schwedischen Kronen dotiert - etwa 940.000 Euro.

Der Model-Organimus, mit dem die Wissenschafter dabei arbeiteten, ist die Drosophila-melanogaster-Fliege ("Taufliege"). In deren Genom konnten sie ein Gen isolieren, das den normalen täglichen Biorhythmus kontrolliert, womit sie wesentliche Mechanismen entschlüsselt haben, die zur Regulation des Funktionierens von Organismen - Einzeller, mehrzellige Lebewesen, Pflanzen, Tiere und beim Menschen - notwendig sind. Die diesjährigen Nobelpreis-Laureaten - Hall ist an der Universität von Maine, Rosbash arbeitet an der Brandeis University in Waltham/USA, Young forscht an der Rockefeller University in New York - isolierten bei der Drosophila-Fliege zunächst ein Gen, das ihren zirkadianen Rhythmus kontrolliert. Es handelt sich dabei um das "Period"-Gen, das für das Protein PER kodiert. In der Nacht sammelt sich das PER-Eiweiß in Zellen an, am Tag wird es abgebaut. "In der Folge identifizierten sie zusätzliche Proteine als Bestandteile dieser Maschinerie und klärten damit die Mechanismen auf, welche das sich selbst erhaltende Uhrwerk in Zellen bestimmen", hieß es in der Erläuterung des Nobelpreis-Komitees.

Zirkadiane Rhythmen dominieren viele Funktionen der Physiologie von Organismen: Verhalten, Hormonproduktion, Schlaf, Körpertemperatur und Stoffwechsel. Das reicht von der Verdauung über Aufmerksamkeit bis hin zum klassischen "Jet-Lag", bei dem sich die innere Uhr des Menschen nicht schnell genug an andere Zeitzonen anpassen kann.

Die selbstregulierende Uhr

Hall und Rosbash hatten gezeigt, dass sich das PER-Protein im Zellkern während der Nacht ansammelt. 1994 kam schließlich Young zu seiner Entdeckung des zweiten Uhrwerk-Gens - "timeless". Das dadurch kodierte Protein TIM erlaubt durch Bindung an PER den Zutritt zum Zellkern. Dadurch kann PER seine Funktion ausüben. Hinzu kam schließlich noch das - ebenfalls von Young identifizierte - "doubletime"-Gen. Es ist für die Produktion des DBT-Eiweißes verantwortlich und verzögert die Akkumulierung von PER im Zellkern. "Das zeigte, wie diese Oszillation genauer an den 24-Stunden-Zyklus adjustiert wird", so das Nobelpreiskomitee.

Als "lange überfällig" bezeichneten Neurobiologin Kristin Tessmar-Raible von den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien und MedUni Wien sowie Gerhard Klösch (Universitätsklinik für Neurologie) die Nobelpreiszuerkennung an die drei US-Forscher. Sie hätten fundamentale Mechanismen von Organismen aufgeklärt. Die Entdeckung der genetischen Grundlage der inneren Uhr sei für alle tierischen Organismen inklusive dem Menschen von zentraler Bedeutung, sagten die Wissenschafter. "Ich habe gehofft, dass die Wissenschafter den Preis noch bekommen", so die Forscherin, die sich seit Jahren beispielsweise mit den inneren Uhren maritimer Borstenwürmer (Platynereis dumerilii) auseinandersetzt. Was die Forscher bei ihren Arbeiten an den Fruchtfliegen herausfanden, sei nicht weniger als der über alle Tiere hinweg gültige "Grundmechanismus".

Schlafforscher Klösch hofft, dass durch die Auszeichnung in Zukunft Medizin und molekulare Chronobiologie näher zusammenrücken. Ursprünglich ging man davon aus, dass diese Mechanismen vor allem für das Verhalten von Bedeutung sind, "mittlerweile stellt sich heraus, dass etwa auch die Leber ihre eigene Uhr hat". Dem zufolge komme man auch immer mehr dahinter, wie etwa Medikamente, die zu verschiedenen Zeitpunkten am Tag gegeben werden, unterschiedlich wirken. Tessmar-Raible: "Da ist so viel daran gekoppelt, was für den Menschen extrem relevant ist."

Jede Zelle ein Impulsgeber

Wichtige Vorarbeiten für den Durchbruch von Hall, Rosbash und Young in den 1980er und 1990er Jahren wurden schon in den 1970er Jahren geleistet. Die bereits verstorbenen US-Biologen Ron Konopka und Seymour Benzer fanden damals heraus, dass bestimmte mutierte Fruchtfliegen große Tag-Nacht-Rhythmusstörungen zeigen. Davor dachte kaum jemand daran, dass es eine genetische Basis dafür geben könnte. Vielmehr wurde davon ausgegangen, dass das der Schlaf-und Wachrhythmus von neuronalen Netzwerken gesteuert wird, so die Wissenschafterin.

Die drei nun ausgezeichneten Forscher konnten im Rahmen ihrer bahnbrechenden Untersuchungen sozusagen den Finger auf jene Gene legen, die die innere Uhr ticken lassen. Durch ihre Forschungen hätte man erstmals erkannt, dass jede Zelle Zeitimpulse produzieren und empfangen könne, betont Klösch die universelle Bedeutung der Erkenntnisse zum Funktionieren der inneren Uhr von Zellen und Organismen.