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Was wir tun, wenn wir nichts tun

Von Eva Stanzl

Wissen
© fotolia/fizkes

Das Gehirn hat immer einen Plan: Selbst wenn wir tagträumen, arbeitet es auf Hochtouren.


Wien. Ob wir laufen, rechnen, zeichnen, Auto fahren, eine Entscheidung treffen oder eine Sprache lernen: Alles, was wir Menschen tun, aktiviert die dafür zuständigen Gehirnregionen. Bei Bewegung arbeitet der motorische Kortex. Beim Betrachten von Bildern ist die Sehrinde aktiv. Nur, wenn wir nichts tun, passiert... nichts. Oder doch?

Die britische Universität Cambridge wollte es genauer wissen und hat erforscht, womit das Denkorgan beschäftigt ist, wenn wir scheinbar nichts tun. Etwa beim Tagträumen, beim Gedanken schweifen lassen. Selbst dann versucht das Denkorgan andauernd, die Umwelt richtig einzuschätzen, berichten die Forschenden im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences": Was wie Untätigkeit aussieht, ist in Wirklichkeit ein Uhrwerk an Nervenzellen mit perfekt geschmierten Rädchen.

Zum Hintergrund: Das Ruhezustandsnetzwerk ist eine Gruppe von Gehirnregionen, die beim Nichtstun aktiv werden und beim Lösen von Aufgaben deaktiviert werden. Es wird mit Tagträumerei, Zukunftsplanung und Kreativität in Verbindung gebracht. Funktionsstörungen in dieser Region sollen mit der Alzheimer-Krankheit, Schizophrenie und dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom zu tun haben. Vatansever und seine Kollegen konnten nachweisen, dass das Ruhezustandsnetzwerk eine wichtige Rolle spielt, wenn wir lernen, Routine-Aufgaben "wie im Schlaf" durchführen - oder in anderen Worten: wenn wir eine Tätigkeit ohne viel darüber nachzudenken im Autopilot-Modus durchführen.

Mit der bildgebenden funktionalen Magnetresonanz-Tomografie maßen die Forscher Veränderungen im Sauerstoffgehalt in den Gehirnen von 28 Testpersonen als Maßstab für die neuronale Aktivität. Im Experiment mussten die Probanden Spielkarten einander nach Wert, Symbol und Farbe zuordnen. Es galt, einer Zielkarte die ähnlichste Partner-Karte zuzuordnen und die Regeln für Ähnlichkeit selbst zu entschlüsseln. Als die Personen versuchten, die Regeln zu durchschauen, sprang das (dafür zuständige) Netzwerk für fokussierte Aufmerksamkeit auf den Plan. Brachten sie die Regel zur Anwendung, wurde das Ruhezustandsnetzwerk aktiv.

Das Überraschende: Gleichzeitig arbeitete das Erinnerungszentrum im Hippocampus. Je aktiver es war, desto flotter ordneten die Freiwilligen die Karten richtig zu - ein reges Erinnerungsvermögen machte die Anwendung der Regel zum Kinderspiel. "Anstatt zu warten, was passiert, schätzen wir unsere Umwelt ständig ein und versuchen, vorherzusagen was sich tun könnte", betont Vatansever in einer Aussendung zur Studie: "Die Ergebnisse legen nahe, dass der Autopilot-Modus dafür zuständig ist. Er hilft uns, schnelle Entscheidungen zu treffen, wenn wir die Regeln kennen."

Wer täglich den gleichen Weg zur Arbeit nimmt, lässt sich vom inneren Autopiloten steuern. Die Orientierung kostet wenig Energie, das Ruhezustandsnetzwerk schaltet sich ein. "Dann können wir tagträumen, was wir am Abend essen wollen", schreibt Emmanuel Stamatakis von der Universät Cambridge: "Das Ruheszustandsnetzwerk ermöglicht dies." Nobelpreisträger Daniel Kahnemann hatte seinem Buch "Schnelles Denken, langsames Denken" postuliert, dass zwei Gehirn-Systeme Entscheidungen treffen: ein rationales, das die Situation berechnet, und ein schnelles, intuitives. Das Ruhezustandsnetzwerk könnte die Brücke zwischen beiden sein.