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Gleich, gleicher, am gleichsten

Von Alexandra Grass und Eva Stanzl

Wissen

Seit Marie Curies Erfolgen haben Forscherinnen viel erreicht, die volle Gleichberechtigung im Job aber nicht.


Wien. Wissenschaft ist Knochenarbeit. Davon wusste schon Marie Curie ein Lied zu singen. Während ihr Schwiegervater ihre Töchter hütete, schuftete die wohl berühmteste Physikerin der Geschichte gemeinsam mit ihrem Mann in einem heruntergekommenen Hinterhofschuppen in der Pariser Rue Lhomond. "Wir lebten wie in einem Traum, von der einen, einzigen Sache erfüllt", schrieb Marie Curie, deren Geburtstag sich am 7. November zum 150. Mal jährte, damals. Das Ergebnis der intensiven Forschungen des Ehepaares ist heute ein wichtiger Bestandteil der Medizin - die Radioaktivität.

Curies Schaffen wurde im Jahr 1903 mit dem Nobelpreis bedacht. Das Komitee hatte allerdings zunächst andere Vorstellungen von der Preisvergabe. Lediglich Maries Ehemann Pierre und der französische Physiker Antoine Henri Becquerel sollten die hohe schwedische Auszeichnung erhalten. Erst als Pierre darauf pochte, lenkte das Nobel-Komitee ein und ehrte auch die in Warschau als Maria Salomea Sklodowska geborene Marie - eine Rebellin ihrer Zeit.

Was sich seither für Wissenschafterinnen in einer Männerdomäne verändert hat, mag ein Kontrast verdeutlichen: In seiner Antrittsrede als Rektor der geburtshilflich-gynäkologischen Klinik in Wien strich Joseph Späth 1872 hervor, dass "jedem Wesen eine Mission in der Schöpfung" zufalle. Anders als der Mann sei die Frau von Hormonen abhängig, ihrer Bestimmung könne sie im Hörsaal nicht nachkommen.

Kritische Masse durch Quoten

Erst 1897 wurden Frauen zum Studium an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien zugelassen. Es folgten 1900 die Medizinische, 1919 die Rechts- und Staatswissenschaftliche, 1928 die Evangelisch-theologische und zuletzt 1945 die Katholisch-theologische Fakultät. "Heute studieren allein im Fach Medizin mehr Frauen als Männer", sagt Michaela Fritz, Vizerektorin für Forschung und Innovation an der Medizinuni Wien. Die Wissenschaft sei keine Männerdomäne mehr, sondern auch eine der Frauen.

Das "auch" ist ausschlaggebend. Denn Gleichberechtigung gilt nicht auf allen Ebenen und auch nicht in jedem Forschungsfeld. Während die Akademie der Bildenden Künste von drei Frauen geführt wird, die sich zu Gleichbehandlung und Frauenförderung bekennen, geht die Spitze der Technischen Universität Wien rein zahlenmäßig zugunsten der Männer aus. TU-Dekanstellen sind sogar durchwegs männlich besetzt.

Die Medizinuni Wien hat eine Quote, wonach Lektorate und das Rektorat zur Hälfte von Frauen besetzt sein müssen. Für Professuren gibt es diese Quote aber nicht - auf diese Ebene wurden nur zu 23 Prozent Frauen bestellt. "Beim Hochschulzugang sehen wir dagegen keinen Unterschied. Frauen schließen zudem mit besseren Noten ab. Auch in Drittmittel-Positionen (diese sind zeitlich befristet, Anm.) sind mehr Frauen beschäftigt. Aber darüber hinaus wird die Luft dünn", sagt Österreichs Wissenschafterin des Jahres Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gender-Medizin und Vorsitzende des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen ihrer Hochschule. Bei Assistenz-, Laufbahn-, Oberarzt-, Primararzt-Stellen würden die Frauen weniger, je höher die Position in der Hierarchie.

Vereinbarkeit auch heute Thema

"Bei gleicher Qualifikation werden Frauen bevorzugt", heißt es in akademischen Stellenausschreibungen. Trotzdem kommen nach wie vor mehr Männer zum Zug. "Solange die Frauen in der Minderheit sind, sind sie im akademischen Umfeld im Hintertreffen. Sie müssen aus der Außenseiterposition heraus und mehr werden. Damit die kritische Masse 50:50 erreicht wird, benötigen wir Quoten", betont die Gender-Medizinerin: "Denn immer, wenn wir Quoten haben, werden plötzlich qualifizierte Frauen für Jobs gefunden."

Nicht alle Frauen in der Forschung streben steile Karrieren an, wenn sie die Vereinbarkeit mit der Familie nicht sehen und sich für Letztere entscheiden. "Ich selbst hatte Unterstützung durch meine Eltern und meinen Mann, die mich entlastet haben. Natürlich ist alles mit Abstrichen verbunden, aber wenn man niemanden hat und Kinderbetreuung zukaufen muss, wird es wirklich schwierig", sagt Kautzky-Willer. So wie bei Marie Curie lassen sich auch heute Wissenschaft und Kinder nur mit dem Rückhalt seitens der eigenen Familie vereinbaren.

"Wie stellen Sie sich einen Job mit Reisetätigkeit vor, Sie haben doch ein Kind?", wurde Sabine Ladstätter, Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI), im Bewerbungsgespräch für ihre Position gefragt. Es sei ein steiniger Weg, sich zu behaupten - auch heute noch. Frauen würden gerne in der zweiten Reihe gesehen, "wo sie fleißig arbeiten und sehr viel weiterbringen. Aber die erste Reihe müssen wir uns erkämpfen." Doch nicht alle sind Kämpfernaturen. Mit Sorge betrachtet Ladstätter die Tatsache, "dass sich junge Wissenschafterinnen sehr oft wieder begnügen", etwa mit Teilzeitjobs. Frauen, die in die Teilzeit gedrängt werden oder zwei Jahre in Karenz verbringen, würden es zumeist nicht schaffen, in der Forschung in höhere Positionen zu gelangen.

Warum gingen bisher nur 17 von insgesamt 587 wissenschaftlichen Nobelpreisen an Frauen? "Intelligent und schlau sind viele Menschen. Erfolgreich machen aber auch Mentoren und Netzwerke, die Frauen nicht immer haben", sagt Michaela Fritz. Auch für den Nobelpreis seien die beruflichen Netzwerke relevant. Und die Fähigkeit, mit seiner Arbeit eine Öffentlichkeit zu erreichen. "Gute Rahmenbedingungen ebnen den Weg nach oben. Doch um für einen Nobelpreis in Frage zu kommen, muss man von einer ganzen Reihe von Leuten vorgeschlagen werden. Und dazu muss man bekannt sein", erklärt die Vizerektorin.

Netzwerkpflege ist für das Weiterkommen von höchster Relevanz. Doch "dieser Wissenschaftsaktionismus, bei dem Vorträge und Vernetzungen nur am Abend stattfinden", bringe Forscherinnen in eine missliche Lage, betont Ladstätter: Fernbleiben ist Benachteiligung. "Umso wichtiger ist es, dass wir die Stimme erheben: Familie geht uns etwas an in der Wissenschaft." Das System umzukrempeln, sei Sisyphos-Arbeit, doch es ließe sich vieles auch selbst umsetzen. Am ÖAI sind Vorträge nachmittags angesetzt. Besprechungen finden vormittags statt, "damit auch die Teilzeitkräfte keinen Informationsnachteil haben".

Sexuelle Belästigung

Frauen müssen sich besser vermarkten, heißt es immer wieder. Sie stehen nicht im Rampenlicht, setzen sich weniger in Szene, sind selbstkritischer als ihre Kollegen. "Wenn eine Frau zwei von vier Kriterien in einer Stellenausschreibung nicht erfüllt, bewirbt sie sich nicht. Männer melden sich dagegen, wenn sogar alle Kriterien nicht passen", beschreibt Fritz eine Rollenverteilung, die über Jahrtausende geübt wurde.

Sich zu exponieren kann auch bedrohlich sein. Auch in sexueller Hinsicht. "Sexuelle Belästigung ist überall ein Thema, wo Menschen zusammenarbeiten. Bei uns wurde bisher nichts gemeldet, aber vielleicht tun es manche aus Scham nicht. Es muss klar aufgezeigt werden, dass Übergriffe unzulässig sind", so Kautzky-Willer.

"Ich habe das als Studentin massiv erlebt", sagt Ladstätter. Eine Anzeige ihrerseits und ein daraufhin erfolgter Aufschrei weiterer Studentinnen habe schließlich dazu geführt, dass der Professor aus dem Arbeitsumfeld der jungen Wissenschafterinnen entfernt wurde. Die Uni Wien habe damals "vorbildlich reagiert", berichtet Ladstätter heute, gut 20 Jahre später. An ihrem eigenen Institut würden diese Dinge beim Namen genannt. "Ich finde aber auch, dass die jüngeren Männer ein viel größeres Bewusstsein an den Tag legen", zeichnet die ÖAI-Direktorin ein positives Bild.