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Der Sektkorken des Vulkans

Von Roland Knauer und Eva Stanzl

Wissen
Auf der Flucht: Tausende Menschen werden derzeit aus der unmittelbaren Umgebung des rauchenden Agung evakuiert, darunter auch diese Schulkinder. Mehrere tausend Urlauber aus aller Welt hängen auf Bali fest. reuters/Nyimas Laula

Der Agung-Berg auf der Urlaubsinsel Bali spuckt Dampf und Asche, ein Ausbruch ist laut Experten wahrscheinlich.


Gewaltige Wolken türmen sich seit dem Wochenende über dem 3142 Meter hohen Agung-Berg auf der indonesischen Urlaubsinsel Bali. Obwohl Regenzeit ist, steckt hinter den Karfiol-artigen Wolkentürmen über dem Gipfel nicht die tropische Wetterküche, sondern Kräfte, die aus den Tiefen der Erde nach oben drängen.

Aus Angst vor einem Vulkan-Ausbruch halten die indonesischen Behörden den Flughafen der Ferieninsel derzeit geschlossen. Am Dienstag haben sie das Flugverbot um einen weiteren Tag verlängert. Der Wind treibt Asche auf die Start- und Landebahn, zudem kann sie die Triebwerke der Flugzeuge schädigen. Wenn ein Flugzeug durch eine Aschewolke fliegt, können sie ausfallen. Mehr als 400 Flüge wurden bisher gestrichen. Tausende Urlauber hängen auf Bali fest, darunter auch 550 Touristen aus Österreich.

Der Agung ist ein Vulkan, dessen gewaltiger Ausbruch zwischen Mai 1963 und Jänner 1964 mehr als 1000 Menschen das Leben kostete. 54 Jahre später rührt sich der Riese wieder - jedoch so weit erheblich schwächer: Während die dunklen Wolken damals mehr als 15 Kilometer hoch über dem Krater standen, waren es am 27. November 3400 Meter. Sicherheitshalber evakuieren die Behörden dennoch die etwa 100.000 Menschen, die in der unmittelbaren Umgebung leben. Die mehr als 6000 deutschsprachigen Urlauber sind nicht betroffen, weil sie ihre Ferien außer Gefahr nahe der Küste verbringen.

Auch die Vorgänge im Vulkan beginnen tief unter dem Meeresboden. Dort schiebt sich eine gigantische Platte, auf der Australien und Teile von Neuseeland liegen, auf die Platte mit Asien zu. Da die Bewegung in etwa so langsam vor sich geht, wie Menschen die Nägel wachsen, merkt Indonesien zumeist nichts davon.

Heiße Springfluten

Wo beide Massen kollidieren, taucht die australische Platte unter die asiatische ab. Das passiert seit etlichen Jahrmillionen, sodass Teile der Australienplatte inzwischen mehrere 100 Kilometer tief in das Erdinnere eingedrungen sind. "Bereits in Tiefen von 70 oder 80 Kilometern beginnt der nach unten gezogene Meeresboden jedoch, Wasser auszuschwitzen", erklärt der Vulkanologe Thomas Walter vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) im deutschen Potsdam. Zusammen mit anderen Substanzen, wie etwa Kohlendioxid, bildet das Schwitzwasser eine spezielle Flüssigkeit, für die Geophysiker den englischen Fachbegriff "Fluid" verwenden.

Die heiße Fluid steigt durch winzige Risse und Klüfte nach oben und verändert dort die Zusammensetzung des Gesteins. Bei den immer noch hohen Temperaturen weiter oben beginnen einzelne Kristalle, zu schmelzen. Sie bilden eine Art Schwamm aus festem Gestein, in dessen Poren eine zähflüssige Masse blubbert. Die GFZ-Forscher haben herausgefunden, dass diese Masse in Indonesien nicht senkrecht, sondern schräg nach oben steigt. Je höher sie kommt, umso geringer wird der Druck des darüber liegenden Gesteins und umso mehr seiner Bestandteile schmelzen. Am Ende des Schrägaufstieges liegt unter dem Vulkan zähflüssiges Gestein von schwammiger Struktur.

Bereits im September verrieten täglich mehr als tausend leichte Erdbeben, dass die Masse unter dem Agung aufwärts dringt. Bei dem Prozess verringert sich der Druck, die Fluid beginnt zu verdampfen und braucht dadurch auch mehr Platz als vorher. Derzeit noch verhindert offenbar altes Material von früheren Ausbrüchen eine Explosion. "Das ähnelt dem Korken in einer Sektflasche", erklärt Walter. Erst wenn man die Flasche schüttelt und den Korken entfernt, schießen Sekt und Gasbläschen in einer Mini-Eruption nach oben.

Möglicherweise hält der Sektkorken noch eine Weile. Die Forscher messen inzwischen etwas weniger Erdbeben als im September. Zur Ruhe gekommen ist der Vulkan aber noch nicht. "Die Beben-Tätigkeit ist zwar geringer, was die Wahrscheinlichkeit einer Explosion kleiner macht. Die starken Beben vom September könnten aber auch Wege für Gase aufgebrochen haben", erklärt der Vulkanforscher Matthias Hort vom Institut für Geophysik der Universität Hamburg: "Dadurch steigt die Entgasungsrate und es kann immer noch zu einem größeren Ausbruch kommen." Auch Dampfexplosionen reißen Stücke vom Sektkorken weg, der den Vulkan derzeit noch verschließt.

Immer wieder jagt auch Asche aus der Tiefe nach oben und färbt die Karfiolwolken über dem Vulkan schwarz. Der Wind verteilt die Asche über die Lande. Werden die Eruptionen stärker, erreichen die Aschewolken größere Höhe. Je nach Wind könnte der Flugverkehr, der derzeit noch auf der Nachbarinsel Lombok funktioniert, auch in anderen Städten Indonesiens eingeschränkt werden. Bei starken Ausbrüchen kann das 200 oder 300 Grad heiße Gemisch aus Asche, Luft und anderen Teilchen als "pyroklastischer Strom" mit Geschwindigkeiten von 200 Stundenkilometern auf allen Seiten zu Tale schießen. Die heißen Lawinen richten selbst in einigen Kilometern Entfernung große Zerstörungen an. Bleibt die Asche auf dem Vulkan liegen, können starke Regenfälle sie wie Springfluten aus Wasser und Asche zu Tale schwemmen. Selbst 50 Kilometer entfernt können Menschen in diesen Springfluten sterben.

Heute beobachten Geophysiker die Feuerberge vom Weltraum aus mit Satelliten und tief im Boden mit Seismometern. Sie messen die Gasströme, bestimmen die Temperaturen mit Infrarotbarometern und stellen sogar Änderungen in der Hangneigung fest. Dennoch ist der Mensch gegen die Naturgewalt eines Vulkanausbruchs machtlos. Nichts kann ihn verhindern oder stoppen. Wir können die Feuerspucker nur unter Aufsicht stellen, um bestmöglich reagieren zu können.

Historische Messungen fehlen

Um etwas über die Zukunft eines Vulkans zu erfahren, muss man seine Geschichte kennen. Diese lässt sie sich aus seinen Ablagerungen konstruieren. Aus dem Vergleich von verschiedenen Eruptionen können Experten sein Gebaren abschätzen. "Das Problem bei Agung ist, dass es bei der letzten großen Eruption 1963/64 in Indonesien keine Messgeräte gab. Wie bei vielen Vulkanen, deren Heimatgebiete sich keine Hightech-Systeme leisten können, fehlt auch hier der Vergleich. Wir wissen nicht, ob er sich immer so verhält, können daher die Weiterentwicklung nicht vorhersehen", betont Hort. Anders sei es beim Vesuv, dessen Ausbrüche seit Pompeji 79 vor Christus dokumentiert seien und schon allein wegen seiner Lage im Großraum Neapel akribisch überwacht würden.

Hort teilt die Einschätzung seiner indonesischen Kollegen, wonach der Agung demnächst ausbrechen kann. "Der Gasausschuss ist hoch, womit die Wahrscheinlichkeit zunimmt", warnt der Experte. Somit heißt es weiterhin Daumen halten. Denn Vulkane sind keine linearen Systeme. Jede Drehung an jeder Schraube kann unabsehbare Folgen haben, kleine Änderungen können riesige Wirkungen zeitigen, die das ganze System aus dem Gleichgewicht bringen. "Natürlich versteht man durch viele Daten das System als Ganzes besser. Aber es gibt so viele Variablen, dass der Gesamtzusammenhang nicht klar ist", sagt Hort. Das gelte selbst für den Vesuv, der seit Jahrzehnten rund um die Uhr beobachtet wird.