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Die Medizin der Zukunft

Von Alexandra Grass

Wissen
Die Verabreichung von Arzneien erfolgt derzeit nach dem Motto "One size fits all".
© Fotolia/bnolte

DNA-Sequenzierung, Mikrobiom und künstliche Intelligenz beeinflussen sowohl die Diagnose als auch die Therapie.


Wien. "One size fits all" - in den meisten Bereichen der Medizin ist es nach wie vor Realität, dass klassische Arzneien kaum differenziert an große Patientengruppen verabreicht werden. Krankheiten werden nach Organen unterschieden, Diagnosen erfolgen aufgrund von Symptomen und Laborwerten, die Behandlung wird auf den Durchschnitt ausgerichtet. Die Onkologie bildet hier eine Ausnahme. In diesem Fachbereich spielt die vielzitierte personalisierte Medizin schon einige Zeit lang eine große Rolle. Tumorarten werden molekularbiologisch aufgeschlüsselt, um die passendste Therapie auswählen zu können. Die Palette an möglichen wirksamen Substanzen hat eine Größe erreicht, von der man vor ein paar Jahren noch hätte träumen können.

Was die Onkologie vorzeigt, könnte der Status quo in der Behandlung von Krankheiten werden - und zwar schneller, als man denkt. Statt "One size fits all", scheint immer mehr folgende Aussage an Wert zu gewinnen: "Es ist wichtiger, zu wissen, welche Person eine Krankheit hat, als zu wissen, welche Krankheit eine Person hat." Die Idee ist nicht neu, stammt doch dieses Zitat von dem griechischen Arzt Hippokrates, der vor 2400 Jahren die Medizin zur Wissenschaft berufen hat.

Die stattfindende Veränderung sei gesteuert durch Fortschritte in der DNA-Sequenzierung, der Bildgebung, aber auch der Erkennung des Mikrobioms, also der Gesamtheit der den Menschen besiedelnden Bakterien, als wichtiger Bestandteil des Organismus und Einflussfaktor auf den Menschen, betonte der im Pharmakonzern Gilead Sciences tätige, österreichische Biochemiker Norbert Bischofberger am Mittwoch im Rahmen einer Vortragsveranstaltung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Im Mittelpunkt standen Chancen und Herausforderungen der Personalisierten Medizin.

Hierbei spiele auch die Veränderung der Gene durch äußere Einflüsse, die Epigenetik, eine wichtige Rolle. Meilenstein dabei sei die Erkenntnis des Humangenetikers Steve Horvath, der erkannte, dass das chronologische Alter eines Menschen nicht dem des biologischen entspricht. Er entwickelte 2013 einen Algorithmus namens Horvath’s Clock, mit dem sich das Alter der Zellen eines jeden Menschen bestimmen lässt. Der Genetiker hatte zu dem Zeitpunkt die Frage "Wie alt bin ich?" völlig neu beantwortet. Horvaths Clock zeigt auch, dass Menschen unterschiedlich schnell altern. Für die Medizin wird diese Tatsache wohl in Zukunft noch eine wichtige Rolle spielen.

Smartphone als Diagnostiker

Doch noch ein weiterer Faktor werde die Medizin von heute stark verändern, prophezeit Bischofberger - nämlich die künstliche Intelligenz. Mittels Sprach- und Bilderkennung könnten künftig Diagnosen erstellt werden, die der Betroffene, wenn überhaupt, noch in weiter Zukunft wähnt. Sowohl Alzheimer als auch Parkinson ließen sich via Smartphone schon in Frühphasen erkennen, sind Experten überzeugt.

"Wir berühren unser Smartphone ungefähr 4000 Mal pro Tag", so Bischofberger. Veränderungen in der Handhabung - sowohl körperlicher als auch technischer Natur beziehungsweise Präferenzen für bestimmte Inhalte -, aber auch Veränderungen der optischen Präsenz des Anwenders könnten sowohl auf altersbezogene als auch psychische Erkrankungen schließen lassen. Die Diagnose ist mit einem Abgleich einer immensen Anzahl an Datenpunkten schnell gestellt - die Therapieempfehlung erfolgt prompt.

Die Praxis der Medizin werde sich massiv ändern, betonte Bischofberger. Nämlich weg von einer sporadischen, rückwirkenden hin zu einer kontinuierlichen, voraushandelnden. Manchmal zum Arzt gehen und Therapieren nach Bedarf ist heute, permanente Beobachtung und medizinische Begleitung schon in der frühesten Frühphase von Erkrankungen ist morgen.