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Bechern unterm Mistelzweig

Von Eva Stanzl

Wissen
© fotolia/lamnee

Wir trinken mehr Wein - Forscher weisen nach, dass auch größere Weingläser uns dazu verleiten.


Cambridge/Wien. Große Teller verführen erwiesenermaßen zu großzügigen Portionen und somit dazu, mehr zu essen. Aber verleiten auch große Gläser dazu, mehr zu trinken? Diese Frage stellte sich die Universität Cambridge für die Weihnachtsausgabe des "British Medical Journal". Darin veröffentlicht das Fachjournal schräg-witzige Studien, die nach streng wissenschaftlichen Kriterien vorgenommen werden, um zu zeigen, dass Wissenschaft auch humorvolle Seiten hat.

Der Hintergrund ist in diesem Fall jedoch bierernst: Alkohol steht an fünfter Stelle bei den Ursachen für einen unnatürlichen Tod in einkommensstarken Ländern. Zudem wird immer mehr getrunken. Besonders beliebt ist der Wein: Von 1960 bis 1980 hat sich der Konsum des Rebensaftes vervierfacht und dann bis 2004 noch einmal verdoppelt, berichtet das Team um die Verhaltenspsychologin Teresa Marteau vom Institut für Öffentliche Gesundheit in Cambridge. Am meisten Wein würde zu Hause getrunken.

Parallel dazu werden die Weingläser immer größer. Das Forschungsteam kontaktierte fünf akademische Experten für historische Designs in ganz England und holte sowohl in persönlichen Interviews als auch über Internet die Maße von insgesamt 411 Gläsern von 1700 bis 2017 ein. Dabei stellte sich heraus, dass das Fassungsvermögen von durchschnittlich 66 auf 449 Milliliter gestiegen ist: Die Trinkgefäße sind heute sieben Mal so groß wie im Jahr 1700.

Als Quellen dienten die Weingläser-Sammlung des Ashmolean Museum für Kunst und Archäologie der Universität Oxford, der Haushalt des britischen Königshauses, Kataloge der traditionellen Glasbläser Dartington Crystal im südenglischen Devon, das Internet-Auktionshaus eBay und das Warenhaus-Angebot der britischen John Lewis-Kette.

Um herauszufinden, ob schiere Größe durstiger macht, machten Marteau und ihr Team einen Test. In einem Restaurant namens "Pint Shop" nahe der Universität stellten sie über mehrere Tage größere Gläser auf den Tisch, während gleich viel Wein eingeschenkt wurde wie zuvor. In diesen Tagen stieg der Verkauf bei den Creszenzen auf der Karte um zehn Prozent an.

Die Autoren erkennen daraus einen Zusammenhang, wiewohl sie den international gesteigerten Konsum nicht auf die Glasgröße allein zurückführen. Auch gehen sie nicht davon aus, dass kleinere Gläser die Trinkgewohnheiten drosseln würden, betonen sie in einer Aussendung zur Studie.

Internationaler Trend

"Nicht die größeren Gläser erhöhen den Weinkonsum, denn sie werden ja nicht bis zum Rand gefüllt", kommentiert der Wiener Weinexperte Berndt May, Gründer des Online-Weinhandels maywines.com, die Ergebnisse: "Wein ist vielmehr zum Trend geworden."

Für Marteau und ihr Forschungsteam erklärt sich der Trend aus mehreren Faktoren. Mehr Menschen als früher können sich den Rebensaft leisten, weswegen das Angebot steigt. Innovationen in der Kellertechnik ermöglichen mehr Weine in guter Trinkqualität zu leistbaren Preisen. Das Wein-Business ist ein Wirtschaftsfaktor, zeigen zahlreiche Messen mit Anbietern und Publikum aus aller Welt, eine internationale Marketing-Maschinerie und zahlreiche Fachmagazine. In dem Umfeld steigt auch das Angebot an Gläsern, "die Geschmacksqualitäten durchaus hervortreten lassen - etwa, indem ein größeres Glas dem Wein Luft gibt und er sich intensiver riechen lässt", erklärt May.

Nicht immer konnte die Industrie große, dünnwandige Gläser herstellen. "Weingläser wurden um 1700, nach der Entwicklung von Bleikristall durch den Industriellen George Ravenscroft, auf den Tischen üblich", erläutert die Erstautorin der Studie, Zorona Zuzpan. Feinere und letztlich größere Gläser kamen auf den Tisch. Ausgehend von Restaurant- und Barbetrieben in den USA in den vergangenen 20 Jahren stieg die Nachfrage. Als einer von mehreren Faktoren "könnte die Glasgröße zu höherem Alkoholkonsum beitragen", sagt Zuzpan. Kleinere Gläser zunächst in Pubs, Restaurants und Bars könnten hingegen zu einer gesundheitsfördernden Trendumkehr bis in die Haushalte beitragen. Freilich erst im Jänner. Denn zu Weihnachten wird gefeiert.