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Schöpferische Netzwerke

Von Eva Stanzl

Wissen

Grazer Forscher können Verbindungen im Gehirn beobachten und vorhersagen, bei wem Kreativität besonders ausgeprägt ist.


Graz/Wien. Was lässt sich alles mit einer Konservendose anfangen? Man kann sie öffnen und den Inhalt essen, sie bei einer Hochzeit ans Auto binden, ein Schnurtelefon daraus basteln oder eine Sanduhr aus ihr bauen. Diese Einfälle lieferten Probanden einem US-österreichischen Forschungsteam, das herausfinden wollte, was beim Prozess der Ideenfindung im Gehirn abläuft. Die Fähigkeit, kreativ zu denken, ist der Anfang aller technologischen und kulturellen Weiterentwicklung. Sehr wenig ist jedoch darüber bekannt, was unser Denkorgan leistet, wenn es eine Aufgabe auf neuartige Weise löst.

Mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) versuchen Forscher, den komplexen Schaltplan des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln. Zur effizienten Informationsverarbeitung ziehen mehrere spezialisierte Regionen an einem Strang. "Die eine kreative Region im Gehirn gibt es nicht", sagt Ko-Autor Andreas Fink, Neurowissenschafter am Institut für Differentielle Psychologie der Universität Graz.

Fink und seine Kollegen untersuchten mit kurzen, zeitgebundenen Aufgaben im Speziellen die Fähigkeit, auf originelle Ideen zu kommen, und beobachteten die Gehirnaktivität ihrer Testpersonen. Bei jenen der 164 Probanden, die die originellsten Antworten lieferten, bildeten sich starke Verbindungen zwischen Gehirnregionen, die sonst eher unabhängig von einander arbeiten oder sogar gegenläufige Aufgaben ausführen. Mehrere Datensätze der an der Studie beteiligten Universitäten ergaben ein charakteristisches Zusammenspiel von Netzwerken, wenn besonders kreative Lösungen zustande kamen (siehe Grafik). Diese Netzwerke spielen einerseits im Zusammenhang mit Tagträumen und Ruhezuständen eine Rolle und haben andererseits Kontroll- und Gedächtnisfunktionen, berichten die Forschenden im Fachjournal "PNAS". Bei Probanden mit erwartbaren Lösungsideen bildeten sich hingegen eher diffuse Netzwerke, deren Verbindungen an konfus herumliegende Wollfäden erinnern.

"Weiters wollten wir wissen, ob man die Kreativität von Personen in unabhängigen Stichproben vorhersagen kann", sagt Ko-Autor Mathias Benedek von der Universität Graz: "Wie sich zeigte, ist das charakteristische Netzwerk-Muster bei besonders kreativen Personen stärker ausgeprägt - die relevanten Regionen arbeiten noch stärker zusammen, bilden stärkere Pfade. Dadurch kann man Vorhersagen treffen."

Im Sprachgebrauch wird der Begriff Kreativität breit verwendet. Die Fähigkeit, ad-hoc auf originelle Ideen zu kommen, unterscheidet sich von kreativen Lebensleistungen künstlerischer oder wissenschaftlicher Natur, von Inkubationsphasen, kreativen Pausen, fokussierter, nach innen gerichteter Aufmerksamkeit und einer kreativen Alltagsgestaltung. Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben sogar beobachtet, dass bei Jazz- und klassischen Pianisten unterschiedliche Hirnprozesse ablaufen, während sie Klavier spielen - selbst, wenn sie das gleiche Musikstück wiedergeben. "Der Grund dafür könnte in den unterschiedlichen Fähigkeiten liegen, die die beiden Musikstile von den Musikern fordern - sei es ein klassisches Stück einfühlsam zu interpretieren oder eine Jazzmelodie einfallsreich zu variieren", sagt Daniela Sammler, Leiterin der Studie zu den unterschiedlichen Hirnaktivitäten.

Unterschiedliche Prozesse bei Klassik- und Jazzmusikern

"Ausgezeichnete klassische Musiker werden in der Ausbildung auf Fehlerfreiheit getrimmt, während bei Jazz-Musikern Variationen und das Einstreuen von Fehlern fast schon zum guten Ton gehören. Beide Prozesse sind extrem komplex, jedoch von einander zu unterscheiden", erläutert Benedek. Beim Finden von Neuem seien Jazzmusiker kreativer und würden einen spielerischen Zugang verfolgen. Klassische Virtuosen hätten hingegen Vorstellungen, wie ein Stück klingen sollte: "Das Ziel ist ein anderes." Wobei man bei kreativen Tätigkeiten oftmals erst merkt, wie das Ziel aussieht, wenn man es plötzlich erreicht. "Jede Variation ist nicht von vornherein kreativ, sondern sie muss eine Bedeutung haben. Sonst wäre sie chaotisch."

Liefern die Erkenntnisse über Kreativität und Gehirn neue Grundlagen für den Bau kreativer Roboter? Benedek geht eher nicht davon aus. "In den Gehirnen kreativer Menschen interagieren Milliarden Neuronen. Neuronale Netzwerke der künstlichen Intelligenz bilden nur gewisse Aspekte ab, die mit so etwas wie ein paar 100 Neuronen Muster erkennen", sagt der Grazer Forscher.