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Weitwanderer mit Intim-Kontakten

Von Roland Knauer

Wissen

Verschiedene Menschenlinien kamen weit herum und mischten sich untereinander.


Leipzig/Berlin. Viel hat sich offensichtlich seit sehr vielen Jahrtausenden nicht geändert: Damals wie heute zogen Menschen weit umher. In der Fremde kam es hin und wieder zu intimen Begegnungen, die neun Monate später den jeweiligen Frauen ein Neugeborenes bescherten. Im Erbgut heute lebender und bereits vor vielen Jahrtausenden verstorbener Menschen finden Forscher wie Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena oder Sharon Browning von der University of Washington in Seattle nicht nur die Spuren solcher Begegnungen, sondern können daraus auch ihre Schlüsse auf die Routen dieser frühen Weitwanderer ziehen.

Drei Menschenlinien

Zwischen dem Süden von Sibirien und dem Süden Asiens bis zur Insel Neuguinea waren diese Menschen genauso unterwegs wie zwischen dem heutigen Marokko und dem Nahen Osten sowie dem Süden Afrikas. So lebten im Altai-Gebirge in Sibirien die Denisovaner. Krause hatte diese Menschenlinie entdeckt, als er 2009 das Erbgut in einem kleinen Fingerknochen analysierte, das dort in der Denisova-Höhle gefunden worden war. Das Teil gehörte zur Hand einer Menschenlinie, die nahe mit den Neandertalern und etwas entfernter mit den modernen Menschen Homo sapiens verwandt ist.

Vor 50.000 Jahren lebten also mindestens drei Menschenlinien auf der Erde, von denen heute nur noch wir modernen Menschen übrig sind. Und doch stecken in den Menschen im Osten und Süden Asiens noch heute Spuren des Erbguts dieser Menschenlinie, nicht aber in Europäern oder Afrikanern. Fünf Prozent des Erbguts stammt ursprünglich von den Denisovanern, so die Forscher im Fachblatt "Cell". Die Denisovaner und die frühen Vorfahren der heutigen Süd- und Ost-Asiaten müssen sich also getroffen und gemeinsame Kinder gehabt haben. Dazu aber muss zumindest eine der beteiligten Menschengruppen über tausende von Kilometern unterwegs gewesen sein. Ähnlich finden sich im Erbgut heutiger Europäer und Asiaten übrigens auch zwei Prozent Neandertaler-Erbgut - auch diese beiden Menschenlinien müssen sich also gemischt haben.

Bisher suchten Forscher meist gezielt nach solchen Einsprengseln und schauten etwa, ob sie Denisova-Erbgut in Menschen aus Südostasien finden. Dieses Mal lief es anders. Die Forscher "suchten im Erbgut von 5639 Menschen aus Europa, Asien und Ozeanien nach Abschnitten, die offensichtlich nicht zum modernen Menschen gehören. Mit dieser Methode finden sie auch Sequenzen, die zwar eindeutig zu den Denisovanern gehören, die aber mit dem Erbgut der Menschen aus der Denisova-Höhle weniger eng verwandt sind. Solche Einsprengsel fanden die Forscher dann auch im Erbgut der Menschen, die heute im Osten und Süden Asiens bis auf die große Insel Neuguinea leben. Offensichtlich gab es zwei Wellen, in denen sich Denisovaner und moderne Menschen mischten.

Die Geisterpopulation

Ähnliche Wanderungen gab es auch im Norden Afrikas, berichtet Krause zudem im Fachblatt "Science". Die Forscher hatten Erbgut aus den Knochen von sieben Menschen gewonnen, die vor rund 15.000 Jahren in der "Taubenhöhle" im Osten des heutigen Marokkos zur letzten Ruhe gebettet worden waren. Die Sequenzen sorgten für Überraschung. So wussten die Archäologen bisher zwar, dass vor etwa 20.000 Jahren neue Technologien zur Bearbeitung von Steinen in Nordafrika auftauchten, tappten aber über die Menschen im Dunkeln, die solche Neuerungen gebracht haben könnten. Waren vielleicht moderne Menschen, die damals längst in Europa lebten, von der Iberischen Halbinsel oder von Sizilien über das Mittelmeer nach Nordafrika gekommen?

"Im Erbgut finden wir keinen Hinweis auf solche Einwanderer", erklärt Krause. Stattdessen stammen rund zwei Drittel der Sequenzen von Menschen, die damals im Nahen Osten, dort, wo heute Israel liegt, zuhause waren. Der Rest ähnelt dem Erbgut der heutigen Afrikaner, die südlich der Sahara leben. Jedoch nicht etwa einer bestimmten der gut zu unterscheidenden Gruppen dort. "Es könnte sich um eine sogenannte Geisterpopulation handeln, aus der später die verschiedenen Gruppen im südlichen Afrika entstanden", vermutet der Forscher. Von solchen Populationen wurden bis auf die Spuren im Erbgut bisher keinerlei Hinweise wie Fossilien oder Werkzeuge entdeckt.

Wie die Menschen aus dem Süden Afrikas einst durch die lebensfeindliche Sahara in das heutige Marokko kamen, können Klimaforscher gut erklären: Die Sahara erlebte immer wieder Episoden, in denen die heutige Wüste eher einer Savanne mit weiten Grasländern und einigen Bäumen ähnelte. Das letzte Mal war das vor 11.000 bis 8000 Jahren. Genau in solchen Gebieten aber lebten die Jäger und Sammler der Steinzeit. Vielleicht haben Gruppen dieser Menschen ihre Fühler mit der Zeit immer weiter in die jetzt grüne Sahara ausgestreckt, bis sie irgendwann das heutige Marokko erreichten?

Eine Einbahnstraße

Dort reichen die Funde früher Formen des modernen Menschen gut 300.000 Jahre zurück. Lange Epochen dieser Zeit waren die Menschen dort vom Rest Afrikas wohl ziemlich isoliert. Bis sich dann aus dem Nahen Osten oder auch aus dem heutigen Ägypten vor vielleicht 20.000 oder 25.000 Jahren Gruppen entlang der Mittelmeerküste auf den Weg nach Westen machten und nicht nur die neuen Technologien zu den Menschen im Nordwesten Afrikas brachten.

Umgekehrte Wanderungen vom heutigen Marokko in den Nahen Osten hält der Forscher dagegen aus gutem Grund für wenig wahrscheinlich: "Im Erbgut der Menschen im Nahen Osten finden wir keinerlei Hinweise auf die Geisterpopulation im südlichen Afrika, von denen die Menschen in der Taubenhöhle abstammten." Auch wenn die Wanderung also eine Art Einbahnstraße war, zeigt diese Analyse doch, dass die Menschen damals weit herumkamen und dabei deutliche Spuren im Erbgut hinterlassen haben.