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"War es wirklich Burnout?"

Von WZ Online, Franz Zauner

Wissen
Dr. Ute Andorfer ist Klinische Psychologin und Verhaltenstherapeutin. Sie unterhält eine Praxis und ist seit 18 Jahren am Anton-Proksch-Institut tätig. Als Mitglied der "Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsqualität und BurnouT" beschäftigt sie sich auch mit Fragen der Burnout-Prävention und Grundlagenforschung.
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Zu Burnout gibt es kaum belastbare Zahlen und immer noch Ignoranz. Ein Gespräch mit der Psychotherapeutin Ute Andorfer.


Wiener Zeitung: Seit mehr als zehn Jahren geht ein bedrohliches Gespenst um: das Burnout. Ein Drittel der Österreicher sieht sich gefährdet. Jeder kennt den Begriff, er ist auch in den Medien dauerhaft präsent. Wissen wir genug über das Syndrom?

Es gab bereits einige Burnout-Erhebungen in Österreich, die meisten wurden nicht veröffentlicht.
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Ute Andorfer: Nicht wirklich, wir haben zum Beispiel keine genauen Zahlen. Die Klinische Abteilung für Sozialpsychiatrie im AKH arbeitet unter der Leitung von Professor Johannes Wancata derzeit an einer umfassenden Studie. Es hat acht Jahre gedauert, bis sie bewilligt wurde. Es wird die erste Studie, die flächendeckend psychische Erkrankungen in Österreich erfasst. Bisher gibt es nur Schätzungen, oder Statistiken aus Deutschland wurden extrapoliert. Und in dieser Studie wird sich ein Kapitel auch mit Burnout befassen.

Gab es bisher in Österreich keine Studien über Burnout?

Doch, wir wissen zum Beispiel von einer Burnout-Erhebung im Bereich der Sicherheitsdienste, aber die wurde nie veröffentlicht. Und das war nicht die einzige Studie, die nicht publiziert wurde. Auch die Ärzte wurden untersucht, und das Pflegepersonal, aber keine dieser Studien wurde der Öffentlichkeit vorgelegt.

Warum ist das so?

Da braucht es, glaube ich, nicht viel Phantasie. Da kann man schon den Verdacht bekommen, dass die Daten, die erhoben wurden, auffällig waren. Wie gesagt, es gab einige Studien zu einzelnen Berufsgruppen, aber die meisten wurden nicht publiziert. Man geht mit solchen Studienergebnissen offensichtlich sehr, sehr vorsichtig um. Deshalb ist die Studie des Sozialpsychiatrischen Zentrums des AKH auch so wichtig, weil sie uns erstmals Daten beschert, auf die wir schon lange warten. Da wurde nicht nur regional erhoben, sondern auch über alle Altersstufen, Geschlecht, Schichten und Berufsgruppen hinweg. Und dann können wir das Problem Burnout hoffentlich einmal seriös quantifizieren.

Und wie sieht es mit dem Qualifizieren aus? Wie sicher lässt sich Burnout diagnostizieren?

Wir im Anton-Proksch-Institut haben uns an der Studie beteiligt und einen eigenen Fragebogen für den Burnout-Teil entwickelt. Er nennt sich BODI – Burnout-Disorder-Inventory. Es ist ein Diagnose-Instrument, das wir aufwändig validiert haben. Es ist noch nicht publiziert, wir stehen aber knapp davor. Wir hoffen, dass BODI später ins Gesundheitssystem integriert wird, auch Hausärzte könnten damit arbeiten. Wenn wir jemanden in der Frühphase eines Burnouts erreichen, könnte das Schlimmste verhindert werden.

Was ist Burnout genau? Ist das eine wohldefinierte Krankheit?

Nein, Burnout ist in Österreich nicht als Krankheit definiert. Deshalb bekommt man auch keine Therapie auf Krankenschein. Wir diagnostizieren in Österreich psychische Krankheiten nach dem ICD-10, einem standardisierten psychiatrischen Klassifikationssystem. Dort steht das Burnout mehr oder weniger im Anhang, als Syndrom. Und dieses Syndrom ist mit krankheitswertigen Symptomen verbunden. Das beginnt in der Frühphase mit Einschlaf- und Durchschlafstörungen und endet in der Spätphase in depressiven Zustandsbildern, die auch Suizid-Gedanken mit einschließen können.

Lässt sich die Ursache festmachen, gar der Verursacher benennen?

Wir haben bereits im Rahmen der "Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsqualität und BurnouT" versucht, alle möglichen Stakeholder an einen Tisch zu bekommen, aber es kam immer nur ein Konflikt dabei heraus. Ist der Erkrankte schuld, oder seine jeweilige Arbeitswelt? Die Arbeitgeber sagen: 'Wir waren es nicht.' Und die Erkrankten meinen: ‚Ich habe mich krank gearbeitet, weil der Druck so groß war.‘ Wir, die wir von außen auf das Problem schauen, sagen: Beide sind gefragt. Natürlich gibt es immer persönliche Faktoren, die zu so einem Problem führen. Aber es hat immer auch mit der Arbeitswelt zu tun. Wir müssen darüber reden, wie wir es schaffen können, mit geeigneten Maßnahmen zu verhindern, dass sich Menschen mit katastrophalen Konsequenzen ausgebrannt oder gelangweilt fühlen.

Soll Burnout als eigene Krankheit anerkannt werden?

Ja, aber es wäre vor allem wichtig, Aufklärungsarbeit darüber zu betreiben, was ein Burnout tatsächlich ist. Meist ist das ein jahrelanger, schleichender Prozess. Deshalb könnte auch ein guter Schauspieler so eine Krankheit nicht ohne weiteres simulieren. Aber wenn ich in diesem Prozess mehr Informationen, mehr Aufklärung hineinbringen könnte, und zwar auf beiden Seiten, der Arbeitnehmer- wie der Arbeitgeberseite, dann müsste das Burnout nicht zu so einer großen Belastung werden. Das wichtigste Gut für ein Unternehmen sind die Menschen, die darin arbeiten. Und für die, die davon betroffen sind, wäre es natürlich wichtig, eine Therapie auf Krankenschein zu bekommen. Aber es gibt natürlich auch ein Interesse der Kostenträger, Burnout im Syndrom-Bereich zu verorten. Es würde sonst noch mehr Kosten bedeuten.

Ist Burnout nicht auch eine Modeerscheinung unter den Krankheitsbildern?

Wir haben viele Patienten, die zu uns kommen und sagen: Ich hatte einen Burnout, deshalb bin ich suchtkrank geworden. Wenn wir dann den Patienten näher kennenlernen, sehen wir manchmal, dass kein Burnout vorliegt, sondern eine Depression. Burnout ist eine salonfähige Diagnose. Sie besagt, dass der Patient so leidenschaftlich für seinen Arbeitgeber da war, dass er davon krank geworden ist.

Wenn aber jemand depressiv ist, dann wird er von der Gesellschaft schnell als wertlos eingeordnet. Burnout ist jedenfalls nichts, das nur zwischen 8 und 16 Uhr stattfindet. Das Syndrom greift in alle Lebensbereiche ein. Jemand, der sukzessive ausbrennt, brennt auch in seinen Beziehungen aus, verliert seine Interessen und sein Interesse. Es ist ein allumfassender Prozess, begleitet von einem zunehmenden Gefühl der Aushöhlung. Deshalb kann man ein Burnout nicht wirklich vorgaukeln.

Was könnten die Firmen besser machen, um Burnout einzudämmen?

Unser Lebens- und Arbeitstempo hat sich enorm erhöht. Ich glaube, dass Unternehmen im Sinne des Arbeitnehmerschutzes deshalb viel mehr gefordert, aber auch gefördert gehörten. Ein wertschätzender Umgang miteinander ist wichtig. Es sollte die Möglichkeit geben, sich Auszeiten zu nehmen. Je wohler sich jemand auf seinem Arbeitsplatz fühlt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie ausbrennt. Dazu gehört auch eine entsprechende Ausstattung der Arbeitsplätze, Licht und Klima sollten passen. Die Kommunikation sollte interessierten Austausch beinhalten. Autonomie ist extrem wichtig. Die Möglichkeit, kreativ sein zu dürfen, trägt auch zu positiven Gefühlen bei. Jemand, der keinen Bewegungsspielraum hat und trotzdem in vollem Tempo arbeiten muss, wird auf Dauer keine positiven Gefühle in seiner Arbeit entwickeln. Man fühlt sich dann wie ein winziges Rädchen in einer Maschinerie. Das gab's früher zwar auch, aber die Arbeitsbedingungen waren nicht so zugespitzt wie heute. Wenn jemand strikte Vorgaben und keinen Bewegungsspielraum hat und trotzdem ein hohes Tempo von ihm gefordert wird, dann ist die Prognose nicht so günstig.

Wie sind Österreichs Unternehmen da aufgestellt? Sind die Firmenkulturen eher dunkel gehalten, oder gibt es Licht?

Es gibt in Österreich viele Unternehmen, die Aktionen setzen, und sie werden auch gefördert. Das reicht vom Sitzkissen für alle bis zum Obstkorb am Gang. Das sind zwar nur kleine Dinge, aber immerhin ein Anfang. Es gibt Unternehmen, die auch Workshops zur Prävention anbieten. Es tut sich einiges, würde ich sagen. Aber es gibt auch Berufe, die grob vernachlässigt werden. Im Sozialbereich, bei den helfenden Berufen, gibt es Verbesserungsbedarf.

Welche Art von Arbeit begünstigt Burnout?

Man weiß zum Beispiel, dass Schichtdienst ein Risiko darstellt. Der Organismus ist bei unregelmäßiger Arbeit relativ schnell überfordert. Der Mensch ist nun einmal so gebaut, dass er in der Früh aufsteht und am Abend schlafen geht. Da sind nicht nur Fließbandarbeiter betroffen, sondern auch das Gesundheitspersonal, oder Piloten und Flugbegleiter. Und prinzipiell weiß man auch, dass Arbeitszeiten über 40 Stunden auf Dauer nicht gesund sind, dass dann eine Burnout-Gefährdung besteht. Aber das gefällt der Politik natürlich nicht.

Welche Phasen gibt es beim Burnout, und wie kann man sie erkennen?

Burnout verläuft in drei Phasen: In der ersten Phase sagt der Betroffene zu sich: Ich kann alles. In der zweiten Phase ist das Leitmotiv: Ich kann noch alles. Und dann: Ich kann nicht mehr. Deshalb wäre es gut, wenn wir Burnout-Entwicklungen schon in einer frühen Phase ansprechen könnten. Burnout ist mit unangenehmen Begleiterscheinungen verbunden, und die Betroffenen behandeln es oft auch mit Medikamenten oder Alkohol. Es ist oft das Gefühl da, ausgehöhlt zu sein. Man sucht Bestätigung, bekommt sie aber nicht. Aber man kann nicht alle Betroffenen über einen Kamm scheren, man muss auch in die jeweiligen Biographien hineinschauen.

Beim Burnout geht es auch darum, dass der oder die Betroffene die Gefahr zu spät bemerkt. Wie kann man lernen, auf sich selbst zu achten?

Das ist eines meiner Lieblingsthemen: die Selbstfürsorge. Der Mensch ist ein vulnerables Wesen, er ist nicht nur körperlich, sondern auch seelisch verletzbar. Der Mensch kann anderen gegenüber sehr einfühlsam sein, sich selbst behütet er oft schlecht. Mit der Selbstfürsorge ist es so ähnlich wie mit der Motivation: Sie ist kein stabiler Faktor. Ich muss nicht nur wissen, was ich zum Wohlfühlen brauche. Ich muss mich auch abgrenzen können von etwas, das mir nicht gut tut. Wir leben in einem Land, das generell nicht so auf Prävention achtet. Ich glaube, man sollte schon im Kindergartenalter lernen, wie man Nein sagt. Und mit solchen Abgrenzungen beginnt die Selbstfürsorge. Das würde ich auch gerne in der Schule verankert sehen. Damit kann man nicht früh genug beginnen.

Was brauchen Menschen, die vom Burnout genesen sind? Können sie wieder dort weitermachen, so sie aufhören mussten?

Wahrscheinlich nicht, weil sie in diesem Beruf ausgebrannt sind. Die Flamme für diesen Beruf ist erloschen. Wenn mir jemand sagt, er habe Burnout gehabt und dann im selben Job weiter macht, werde ich immer vorsichtig. War es wirklich ein Burnout, oder doch etwas anderes?

Welche Unterstützung sollte man den Menschen geben, wenn sie wieder gesund sind?

Man achte auf die Terminologie: Wenn man Angestellter ist, wird man wieder ‚arbeitsfähig‘. Man ist also nominell nicht gesund, sondern bloß wieder fähig. Aber Arbeitsfähigkeit bedeutet noch nicht Gesundheit. Was in Österreich tatsächlich flächendeckend fehlt, ist ein Wiedereinstieg in Etappen. Ein Wiederbeginn mit zehn Stunden Arbeitszeit, und vielleicht eine Begleitung durch Mediziner und Psychologen, die es ja in manchen Unternehmen gibt. Es gibt Vorzeigeunternehmen wie die Erste Bank, die das schon anbieten und damit erfolgreich sind. Es würde der Gesellschaft und der Wirtschaft nützen, wenn man vom ‚Ganz oder gar nicht‘ wegkommen könnte. Und es wäre auch hilfreich, Burnout- Betroffenen andere Arbeitsbereiche zu eröffnen.

Warum haben wir Menschen so eine überbordende Tendenz, gut dazustehen, keine Probleme zu haben, und lieber in den Lächelzwang zu verfallen, anstatt zu weinen, wenn es angebracht wäre?

Ich denke, es ist Angst, Existenzangst. Wir leben nicht in einer Zeit, in der Jobs am Wegesrand liegen. Nehmen wir das Beispiel Auszeit, zum Beispiel den Papamonat. Es gibt diese Möglichkeit, im Hintergrund läuft das Denken aber anders: Was sagen denn die anderen, wenn ich mir jetzt diese Auszeit nehme? Nehmen mich die dann noch als vollwertigen Mann wahr? Und erst recht schwierig wird es, wenn man sich einmal psychische Probleme eingestehen muss. Es wäre leichter, eine schwere körperliche Erkrankung zu kommunizieren, als eine psychische. Über Krebs zu sprechen ist in gewisser Hinsicht einfacher als über Depressionen. Und da fragen sich viele Gefährdete: Was denkt sich der Chef, wenn ich sage, ich kann nicht mehr? Deshalb wird häufig zur Selbstmedikation gegriffen, um über die Runden zu kommen.

Gibt es ein männliches und ein weibliches Burnout?

Tendenziell würde ich sagen, dass Männer länger verdrängen als Frauen. Frauen können immer noch besser über ihre Probleme reden. Wenn es dem Mann nicht gut geht, beginnt er vielleicht auch zu sprechen, aber nicht unbedingt über sich, sondern mehr über Sport, Autos oder Frauen. Eine Frau, die unter einer Suchterkrankung leidet, kommt in der Regel früher zu uns als ein Mann, der an einer Suchterkrankung leidet. Eine Frau ist im Durchschnitt sechs bis acht Jahre suchtkrank, ehe sie Hilfe zulässt, ein Mann zwischen acht und zwölf Jahre.

Und dann ist da noch die Beschleunigung, die wir alle spüren, der allseits steigende Druck. Gibt es dagegen ein Patentrezept?

Das Leben hat sich in den letzten Jahrzehnten extrem beschleunigt, ja. Es gibt so viel zu tun, nicht nur im Beruf, auch privat. Warum gibt es denn zum Beispiel so viele Wellness-Angebote? Im Grunde geht es darum, Wohlgefühl käuflich zu erwerben. Weil es innerhalb des Alltags nicht oder kaum existiert. Das ist tatsächlich eine Dichotomie: In der Arbeit gebe ich alles, bis zum Umfallen, und im Wellnessbereich erhole ich mich total. Was vielen Menschen heute nicht gelingt, ist der Transfer des Wohlgefühls in den Alltag. Die alte Frage stellt sich immer noch: Lebe ich, um zu arbeiten, oder arbeite ich, um zu leben?

Österreichische Gesellschaft für Arbeitsqualität und BurnouT: http://www.burnaut.org/

Anton Proksch Institut: http://api.or.at/