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Troll dich!

Von Eva Stanzl

Wissen

Vom furchterregenden altnordischen Riesen zum Spielzeug mit bunten Haaren: Ein Buch widmet sich dem Mythos Troll.


Der "Troll, der darüber grübelt, wie alt er ist" (links), gezeichnet von Theodor Kittelsen, 1911.

Echte Trolle trifft man heute nur noch selten. Versteinerte Exemplare zeigen sich bei Gelegenheit im dämmrigen Lichtspiel der Wälder Islands - berichten Isländer und Urlaubsreisende. Auf dem norwegischen Festland gelten sie als ausgestorben. Sie standen dem Fortschritt im Weg, sagt uns der Animationsfilm "Der letzte Troll Norwegens". Darin beschließen drei junge Ziegen, einen alten Troll, der unter einer Brücke dahinvegetiert, zu vertreiben. Was sie nicht wissen, ist, dass er der Letzte seiner Art ist. Für Urlaubsreisende ist wiederum neu, dass die Felsformationen der Fjorde ein Produkt seiner trolligen Träume sind: Die Erhebungen der Gletscher-geprägten Landschaften sind nämlich in Wahrheit die Hüften von echten versteinerten Troll-Mädchen.

Trolle in angewandelter Form fänden sich allenthalben, schreibt Rudolf Simek in seiner im Böhlau Verlag erschienenen Monografie "Trolle". Die Bandbreite reiche "von putzigen kleinen Gummifigürchen mit neonfarbenen Haaren bis zu den filmisch in Szene gesetzten riesigen Kampfmaschinen in Tolkiens ‚Der Herr der Ringe‘-Trilogie, von harmlosen Waldvölkchen schwedischer Kinderbuchserien bis zu den aggressiven Trollen von Volksmärchen, die unter Brücken hausen und arme Ziegenböcke fressen". Woher kommen die Trolle? Der in Wien geborene Professor der Abteilung für Skandinavistik der Universität Bonn geht den mythischen Ursprüngen dieser riesenhaften Wesen auf den Grund und erzählt ihre Geschichte bis in die Gegenwart.

Wurzeln im Wikingerleben

Kleine Trollpuppen mit neonfarbenen Haaren, die erstmals 1968 auf den Markt kamen.

Trollvorstellungen haben ihre Wurzeln in den isländischen Vorzeitsagas. Dabei handelt es sich um fiktive Abenteuergeschichten des Mittelalters, die aus dem Wikingerleben von etwa 793 bis 1066 schöpfen und in einer Vorzeit spielen, bevor die Insel besiedelt wurde. Damals war alles möglich - nämlich auch Troll-Begegnungen und Abenteuer.

Schriftlich wurden Trolle erstmals vor etwa 1000 Jahren als Sub-Gattung der Riesen erwähnt. Anders als der Urriese, der von der Urkuh abstammt und die Welt erschuf, zählen altskandinavische Trolle ähnlich wie Zwerge und Elfen zur Gattung humanoider Wesen der niederen Mythologie. Körperlich sind sie groß, aber nicht zu groß, um nicht von einem menschlichen Helden besiegt werden zu können. Sie sind zauberisch und können sich unsichtbar machen, jedoch böse und boshaft und sie versuchen, ihre Gegner in die Irre zu leiten. Es gibt gemeingefährliche, tödliche Trolle und Trolle mit Spieltrieb. In jedem Fall haben sie äußerst eigentümliche Sitten.

Puppen von US-Präsident Donald Trump als Troll des Bildhauers Chuck Williams, Halloween 2017.

"Troll-Spiele wurden im fortgeschrittenen Zustand der Trunkenheit durchgeführt", erklärt Simek. Nachdem sie Pferde oder auch Menschen verspeist hatten, warfen sie einander die Knochen zu. "Das geschah mit dem Ziel, anderen die Nase oder die Schlüsselbeine zu brechen. Es war humorig - unter Trollen." Auch das Ballspiel definierten die altskandinavischen Riesen der diesseitigen Erfahrung nach ihren Maßstäben. Wer einen glühenden, fettspritzenden Seehund-Schädel nicht fing und sofort wieder von sich schleuderte, war ein Feigling. Auf eine kindliche Weise harmonisch macht sich dagegen das Aneinanderdrücken von Fußsohlen aus: Dieses Spiel zeigt dem Helden in einer Erzählung, wie es bei Troll-Männern unter dem Kittel aussieht.

Troll-Frauen auf Wölfen

Erstaunlicherweise haben die Unholde "aparte Töchter. Sie sind hilfreich, nicht unhübsch und auch zuvorkommend", hält Simek fest: "Allerdings sind sie ein bisschen groß, was den Helden dazu veranlassen soll, über sich hinauszuwachsen." Die Troll-Frauen seien anders als ihre Töchter "abstoßend, hässlich, gefährlich, üblicherweise bösartig und alt". Manchmal sind sie beschützend und fürsorglich, in Ausnahmefällen (selten) hübsch, (öfter) hilfreich und "sexuell zuvorkommend". Troll-Frauen ritten im Mittelalter auf Wölfen, die sie mit Schlangen zügelten.

"Was wir über Trolle in den altnordischen Sagas lesen, ist eine ironische Darstellung der menschlichen Gegenwelt, die zeigen soll, wie man sich nicht benimmt", erläutert der Skandinavien-Forscher die Funktion seiner trolligen Dämonen für die Gesellschaft. Anstößigkeit, Raufen, Alkoholmissbrauch und seine Konsequenzen, brutale Spiele, Frauenverführung und -entführung, das Quälen von Frauen - kurz und gut "alles, was in der menschlichen Gesellschaft nicht in Ordnung ist, konnte man im Mittelalter Trollen andichten".

Wenn Menschen im Wald oder im Gebirge verloren gehen, dann hat sie der Troll geholt. Wenn ein Nebel einfällt und die Schafherde verschwindet, lässt sich das mit dämonischen Qualitäten erklären, die nicht den Zwergen gehören. "Die Trolle des Mittelalters haben mit ihren modernen Namensvettern im Internet eines gemeinsam, nämlich dass wir ihrer nicht habhaft werden können", betont Simek. Was früher für unbeherrschbare Naturkraft stand, ist in der Netzkultur jemand, der mit Kommentaren pöbelt und aus heiterem Himmel Streit anzettelt.

Trolle sind bis zu einem gewissen Grad hellsichtig und vor allem überraschend. Sie kommen sogar als Wiedergänger vor, die nicht im Grab ruhen, wie Runen an der Innenseite von Grabdeckeln zur Beschwörung der Totenruhe zeigen. Anders als Vampire sind sie keine Blutsauger, sondern absichtsvolle Zombies, die die Lebenden bewusst quälen.

Trolle haben tausende Namen, die sich die Helden als Mutprobe merken müssen. Die etymologischen Wurzeln des Wortes "Troll" dürfte auf das Verb "trulla" für betrügen und vorgaukeln zurückgehen. Ein "Trolldomir" ist ein Schadenszauber. Echten Zauberern sind die Trolle unterlegen.

Während sie im Mittelalter wenigstens vage mit Zauberei assoziiert wurden, verloren sie diese Kraft in der Neuzeit. In skandinavischen Volkserzählungen des romantisch geprägten 19. Jahrhunderts büßten sie sogar an Körpergröße ein, um den damaligen Idealen entgegenzukommen. Die riesigen, einzelgängerischen Waldbewohner wichen kleinen, wichtelartigen Berg- und Hügelvölkern, die in Familien- und Sippenverbänden leben und eine archaische, mitunter idealtypische Form der Gesellschaft spiegelten. Von geradezu menschlichem Kummer erfüllt erscheint schließlich Theodor Kittelsens "Troll, der darüber grübelt, wie alt er ist" aus dem Jahr 1911.

Tourismus-Trolle auf Surfboards

Die schwedische Buchreihe "Unter Wichteln und unter Trollen" sollte ab 1907 die Kinder begeistern: Trolle gewinnen nunmehr an Freundlichkeit. Mit den "Mumins" lässt die Schriftstellerin Tove Jansson schließlich nilpferdartige Wesen mit kurzem Pelz und buschigem Schwanz in Form von Zeichnungen und Stofftieren die Trollbühne betreten. Mit "jenen abstoßenden Gestalten mit Strubbelhaaren aus Plastik" habe das allerdings nichts zu tun, findet der Autor. Diese seien "Tourismus-Trolle auf Surfboards oder Motorrädern, die einem in Norwegen in unglaublicher Menge überall entgegen starren".

Trolle sind ein Geschäft und Thema einer Nation. In Reykjavik gibt es ein Ministerium für Elfen und Trolle. Dabei handelt es sich um eine Ombudsstelle für Erdstrahlenmesser, Hellseher und Naturschützer, die verhindern wollen, dass neue Straßen die Landschaft zerschneiden und Naturgeister dabei ihres Wohnraums beraubt werden. "In Island wird das ziemlich ernst genommen", betont Simek. Vielleicht lohnt sich ja ein Besuch beim Ministerium. Es ließe sich vielleicht ein sehr kleiner Troll in der Hosentasche mitnehmen, der sich zu Hause bei Bedarf hervorholen ließe und im Handumdrehen zu furchterregender Größe heranwüchse. Etwa wenn die Zustände unerträglich werden. Quasi als spekulative Form der Kapitalismuskritik.