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Sommerzeit ist Borreliosezeit

Von Alexandra Grass

Wissen
Borrelien sind längliche spiralförmige Keime.
© Fotolia/Sagittaria

60 Prozent der Zecken, aber auch Insekten, übertragen die gefährlichen Borrelien auf den Menschen.


Wien. Sommerzeit ist Zeckenzeit, heißt es nun wieder allerorts, um vor den Gefahren, die durch Stiche der kleinen Plagegeister entstehen können, zu warnen. Vor allem die Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME) ist dabei einmal mehr in aller Munde. Die gefährliche Viruserkrankung wird vom Gemeinen Holzbock übertragen - aber eben nicht nur sie. Auch die besonders heimtückischen Borrelien gelangen über einen Zeckenstich in den Organismus. Die "Zecken"-Impfung, wie nach wie vor vielfach angenommen, schützt davor nicht. Zudem ist das Risiko, an einer Borreliose zu erkranken, um ein Vielfaches höher, als das FSME-Virus übertragen zu bekommen. Rund 60 Prozent der Zecken tragen nämlich die gefährlichen Borrelien, bei FSME sind es lediglich knapp ein Prozent der Tiere, erklärt der Kärntner Borreliosespezialist Albin Obiltschnig im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Unerkannt begleitet die Borreliose einen Menschen ein Leben lang - mitunter mit schwerwiegenden Folgen.

Der rote Hof als Hinweis

Alles beginnt mit einem roten Hof an der Einstichstelle eines Zecks oder auch eines Insekts - aber nur, "wenn man Glück hat". Denn bei höchstens 50 Prozent der Betroffenen tritt dieser deutliche Hinweis auf eine Übertragung von Borrelien auf. Auch unbehandelt verschwindet die kreisrunde rote Stelle nach etwa drei Wochen wieder - doch eröffnet sie die Chance, rechtzeitig eine Antibiotikatherapie gegen die Bakterien einleiten zu können.

Wird die Primärphase allerdings übersehen, kann es nach verschiedenen Zeitintervallen zu unterschiedlichsten Symptomen kommen. Diese reichen von Fieber über Gelenksschmerzen und Kopfschmerzen bis hin zu Herzrasen oder Angstzuständen. Die Symptompalette erstreckt sich über viele Bereiche der medizinischen Fachbereiche. Das ist auch ein Grund, warum die Borreliose oft lange unerkannt bleibt. Denn häufig kommt es zu Fehldiagnosen, betont Obiltschnig. So würden Gelenksbeschwerden oft als Rheuma gedeutet oder Panikattacken als psychiatrische Störung. Und so vergehen oft viele Jahre, bis ein Patient endlich die richtige Diagnose erfährt.

Intelligente Lebewesen

Der erste Behandlungsschritt wird mit Antibiotika gesetzt. Denn: "Wenn eine Mure eine Straße verlegt, dann muss man zuerst die Mure mit einer Schubkarre wegräumen, damit die Straße wieder befahrbar ist. Erst dann kann man mit Feuerwehrschläuchen die Straße reinigen", skizziert der Experte. In weiterer Folge gelte es, die Abwehrkräfte des Patienten zu stärken. Hier setzt Obiltschnig vor allem Pflanzenpräparate über einen längeren Zeitraum ein, um die Erkrankung einzubremsen, in vielen Fällen aber auch zu heilen, wie er schildert. "Je früher die Behandlung beginnt, umso wahrscheinlicher lassen sich die Symptome zum Verschwinden bringen."

Borrelien können zwar vollständig abgetötet werden - doch sie sind besonders intelligente Lebewesen. Einige Zeit im Körper beheimatet, kapseln sie sich gerne ab und bilden kleine Zysten, erklärt der Experte. In dieser Form können ihnen Antibiotika nichts anhaben. In diesen Zystenzellen schlummern die Borrelien und können bei Belastung des Organismus jederzeit wieder erwachen.

Schwer nachzuweisen

Im Blut selbst ist der Keim nicht nachweisbar, was die Diagnostik zusätzlich erschwert. Für gewöhnlich bilden sich allerdings Antikörper, die sich messen und auf eine mögliche Borreliose-Erkrankung schließen lassen. Der neueste Test ist ein Direktnachweis der Erreger. Durch eine spezielle Anfärbung von entnommenem Gewebe - zum Beispiel aus der Haut - können die länglichen spiraligen Keime sichtbar gemacht werden. Bei dieser Methode ist die Trefferquote auf immerhin 96 Prozent angestiegen, betont der Experte.

Wege der Übertragung

In Fachkreisen wird auch eine Übertragung von Partner zu Partner über Geschlechtsverkehr diskutiert. Die Möglichkeit einer Übertragung von einer erkrankten Schwangeren über die Plazenta auf ihren Fötus ist bereits erwiesen. Die Weitergabe von Mensch zu Mensch sei nicht auszuschließen, da es sich bei den Borrelien um sogenannte Treponemen handelt, betont Obiltschnig. Zu ihnen zählt immerhin auch der sexuell leicht übertragbare Syphilis-Erreger.

Sowohl in den USA als auch in Europa finden sich immer mehr Spezialisten auf diesem Gebiet. Dieses Wochenende kommen einige von ihnen in Villach zusammen, wo bis Montag die European Lyme Borreliosis Conference
2018 stattfindet. Dort wird unter anderem über neue Diagnostik- und Therapiemethoden sowie mögliche Folgeerkrankungen beraten.

Angesichts des hohen Risikos einer Übertragung und der vermutlich aufgrund falscher Diagnosen hohen Dunkelziffer an Borreliosefällen sei es besonders wichtig, das Feld wissenschaftlich voranzutreiben, betont Obiltschnig, der übrigens auch selbst schon vor vielen Jahren an Borreliose erkrankt war. Zudem gibt es keine Immunität. Borrelien sind Keime, die den Körper genauso wie andere bakterielle Infektionen immer wieder befallen können. Der Experte rät daher zu einer genauen Beobachtung nach Zeckenstichen.