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Ein Wuff auf den Hypo!

Von Verena Franke

Wissen

Unterzuckerungen bei Diabetes mellitus stellen eine enorme Gefahr dar. Assistenzhunde helfen, diese zu vermeiden.


Carlo K. kann seine Gedanken nicht mehr fokussieren. Er hört und sieht alles wie in einem dicken Wattekokon. Konkrete Wörter fallen ihm nicht mehr ein. Unpassende purzeln aus seinem Mund. Er beginnt zu zittern. Er schwitzt heftig. Suki hätte ihn längst gewarnt. Wer Suki ist? - Einen Moment Geduld.

Zuerst einmal zu Carlo: Er ist Typ-1-Diabetiker. In diesem Moment erlebt er eine Unterzuckerung, eine Hypoglykämie, kurz
Hypo genannt. Diese ist die am häufigsten auftretende akute Komplikation bei Diabetes mellitus und stellt eine gesundheitliche Gefahr dar: In Folge einer Unterzuckerung können Demenz, Schlaganfall, Blutdruckkrisen, Herzrhythmusstörungen oder sogar plötzlicher Herzstillstand auftreten. Zu wenig Nahrung, Alkohol, Hormonschwankungen oder falsch eingeschätzte körperliche Aktivität können solch einen akuten Blutzuckermangel auslösen.

Mehr als 600.000 Menschen in Österreich sind von Diabetes mellitus betroffen. Der kleinere Teil - etwa 30.000 Menschen - ist mit Typ 1 dieser Krankheit konfrontiert, der auf jeden Fall mit künstlichem Insulin behandelt werden muss. Bei guter Einstellung gelingt es oft, diesen Unterzuckerungen mit den entsprechenden Messgeräten entgegenzuwirken. Aber nicht immer.

Selbst- und Fremdausbildung

Am Messen kommt man nicht vorbei: mehrmals tagsüber sowieso und in der Nacht ebenfalls. "Da sitzen weinende Eltern bei mir, die das ständige Blutzuckermessen Tag und Nacht enorm belastet. Sie stehen mehr als sechsmal auf, um zu kontrollieren, ein Elternteil schläft immer beim Kind. Das ist kein normales Familien-, geschweige denn Eheleben mehr", sagt Karl Weissenbacher vom Messerli Forschungsinstitut für Mensch-Tier-Beziehung der Vet-Med Wien. Hier kann ein Diabetikerwarnhund helfen. "Es geht bei den Assistenzhunden vor allem um das Gefühl der Sicherheit", so Weissenbacher. Das Familienleben kann sich weitestgehend normalisieren: "Er liegt im Zimmer beim Kind und holt Hilfe, nur wenn es notwendig ist. Die Eltern lassen dann eher los, denn der Hund riecht die Unterzuckerung, bevor es Messgeräte anzeigen."

Der 17-jährige Carlo ist seit Jänner 2015 Typ-1-Diabetiker und seine sechseinhalb Jahre alte Flatdoodle-Hündin Suki bildete er gemeinsam mit seiner Mutter Susanne K. zum Signalhund aus. Suki hätte sich von alleine angeboten. "Wir haben uns keinen Kopf gemacht, weshalb Carlo Gewicht abnahm, er war damals sehr viel unterwegs", erzählt Susanne K. Als er aber tief geschlafen hatte und die Hündin ihn immer wieder aufweckte, "wurde uns bewusst, dass da irgendetwas nicht stimmte". In der Folge wurde bei Carlo Diabetes diagnostiziert. "Nachdem er aus dem Krankenhaus kam, lag Suki vermehrt bei ihm, als ob sie ihn beschützen wolle", erzählt die Mutter. Die Ausbildung zum Signalhund initiierte Suki sozusagen selbst. Ein Jahr später erschnüffelt sie Hypos und zeigt sie an. "Wenn eine Unterzuckerung kommen wird, dann ist sie bei mir, lässt sich aber nicht streicheln und schaut mich auch so komisch an. Reagiere ich nicht, beginnt sie zu kratzen. Spätestens da realisiere ich es, denn das würde sie ohne Grund nie tun", beschreibt Carlo Sukis Verhalten.

Doch wie kommt man zu einem Signalhund? Es gibt zwei Wege: "Einer ist die Fremdausbildung", sagt Weissenbacher. "Das heißt, der Hund ist in einer Ausbildungsstätte, muss dann die Qualitätsprüfung bei uns im Institut machen und wird von uns auch freigegeben. Dann kommt es zur Zusammenschulung mit seinem künftigen Besitzer und die beiden machen gemeinsam die Teamprüfung. Das ist der klassische Ausbildungsweg."

Trotz Förderungen des Sozialministeriums, der Länder, Gemeinden, Bezirkshauptmannschaften und etwaigen Serviceklubs wie etwa den Lions ist dies enorm kostenintensiv: Mit zirka 20.000 bis 40.000 Euro ist hier zu rechen, bei einer Durchschnittseinsatzzeit von acht bis zehn Jahren. "Das ist enorm viel. Deshalb haben wir die zweite Ausbildungsmöglichkeit geschaffen: die Selbst- oder begleitende Ausbildung. Da wählt man sich seinen Hund im Idealfall bereits als Welpen und bildet ihn dann mithilfe eines Trainers aus", so Weissenbacher. Doch wie weiß man als künftiger Welpenbesitzer, welches Fellknäuel sich zum Assistenzhund eignet? "Am besten überlegt man als Erstes, welchen Hund man gerne hätte. Es kann ein Tier vom Züchter ebenso sein wie aus dem Tierschutzhaus. Man sollte sich nicht einen Diabetikerwarnhund aussuchen, sondern ein Familienmitglied, mit dem man viele Jahre zusammenlebt", so Michaela Artwohl, tierschutzqualifizierte Hundetrainerin und Ausbildnerin für Signalhunde. Auch sollte er optisch gefallen und zur Persönlichkeit, dem Lebensbereich und den Hobbys passen: "Wenn ich sehr bewegungslustig bin und mir einen Bettvorleger kaufe, dann werde ich nicht glücklich werden. Und umgekehrt genauso wenig", meint Artwohl. Das hat sich auch Anna L. nach einem Vorgespräch mit der Trainerin zu Herzen genommen, als sie für ihre beiden an Diabetes erkrankten Töchter im Alter von sieben und zehn Jahren einen Labrador-Welpen ausgesucht hat. "Wenn zusätzlich die Ausbildung zum Warnhund klappt, dann wäre das ein Bonus."

Schon kann es losgehen! "Für den Hund ist ein Hypo - im Gegensatz zum Diabetiker - Party", erklärt die Hundetrainerin. Im Kopf des Tiers lohnt sich jede Unterzuckerung, denn da gibt es immer etwas Besonderes. "Das muss man forcieren, viel üben und belohnen mit Leckerli oder spielen." Dann lernt der angehende Signalhund, so richtig lästig zu sein - gewollter Ungehorsam sozusagen: "Das ist eigentlich ein aufmerksamkeitsheischendes Verhalten, damit man, wenn man vielleicht schläft, das wirklich zur Kenntnis nehmen muss." Dafür eignet sich kratzen, stupsen, abschlecken, an der Kleidung zerren, bellen. Schritt für Schritt wird der Hund mit Stofffetzchen, die nach einem Hypo riechen, konfrontiert, lernt, diese zu finden und schließlich anzuzeigen. Wie bei einem Buben, den die Tiertrainerin Artwohl kennengelernt hat. "Beim Hund dieses Burschen wurde gezielt das Signal ,scannen‘ trainiert. Mit dem Ergebnis, dass er in der Pause beim Fußball den jungen Diabetiker abschnuppert und meldet, ob der Blutzucker in Ordnung ist oder nicht."

Nicht ohne Hund

Etwa eineinhalb bis zwei Jahre dauert diese intensive Ausbildung, die rund 3000 Euro kostet. Bei Absolvierung der Teamprüfung am Messerli-Institut gibt es eine Kenndecke oder ein Halstuch, einen Eintrag in den Behindertenpass und einen Ausweis für den Hund.

Aber dies gilt nicht nur für Diabetikerwarnhunde. Im Gesetz sind drei Gruppen verankert: "Als Assistenzhunde gibt es die Blindenführhunde, die Servicehunde für körperlich behinderte Menschen wie MS-Patienten und die Signalhunde", so Weissenbacher. Diese ist die größte Gruppe bestehend aus Diabeteswarnhunden, Epilepsiewarnhunden, Hunden für posttraumatische Belastungsstörungen und andere Krankheiten wie Hyponatriämie.

"Die Gruppe der Signalhunde für postraumatische Belastungsstörungen wächst enorm", sagt Weissenbacher, der auch Teil der Prüfungsjury ist. Er begleitet die Anwärter vor und nach der Prüfung. "Viele Menschen mit besonderen Bedürfnissen würden ohne Hund zu Hause verkümmern", so Weissenbacher. Er hat viele Fälle erlebt, in denen ein Hund half, das Leben wieder als lebenswert zu empfinden: Denn mit einem Assistenzhund freilich kommen sie überall hin. Überall? "Das Ziel der Ausbildung ist, sichere, umweltverträgliche Hunde zu erziehen. Dann wird niemand Bedenken haben, dass der Hund beim Supermarkt reingeht. Denn er wird weder hinpiseln noch zur Wursttheke ziehen oder die Schnauze irgendwo ins Regal hineinstecken, weil es halt so gut riecht."