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Genuss versus Sucht

Von Alexandra Grass

Wissen
Fett, Salz und Süßes sind Gefahrenquellen für die Gesundheit.
© AdobeStock/lassedesignen

Das Medicinicum Lech rückt eine Schlüsselfrage für die persönliche Lebensqualität in den Vordergrund: die Ernährung.


Richtig zu genießen, ist eine Kunst, die in den unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Regionen jeweils eigene Ausprägungen erfahren hat. Das beginnt bei der Ernährungs- und Weinkultur und erstreckt sich bis zu Askese und Hochgenuss. Im Gegensatz dazu steht die Sucht. Ins Maßlose und Zwanghafte führend, ist sie eine Erkrankung, die häufig das Leben beeinträchtigt und auch verkürzt. Zucker, Salz und Fette spielen dabei eine wesentliche Rolle. Im Übermaß führen sie nicht nur zur Sucht, sondern schädigen auf Dauer den menschlichen Organismus.

Während es in den industrialisierten Ländern diesbezüglich mittlerweile zu einem Überdenken der Situation kommt, verlagert sich das Problem immer häufiger auch in Dritte-Welt-Länder, warnt Markus Metka, wissenschaftlicher Leiter des Medicinicum Lech, das von 5. bis 8. Juli stattfindet, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Genuss - Sucht - Gesundheit" lautet das Motto der diesjährigen Zusammenkunft.

Suchtpotenzial wie Kokain

Der Anblick eines fettigen Krapfens, salziger Chips oder einer Tafel Schokolade lässt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Doch hat Zucker zum Beispiel ein ähnliches Suchtpotenzial wie Kokain, erklärt der Mediziner. In der Kombination mit Salz und Fett kommt es zu einer stärkeren Insulinausschüttung und gleichzeitig zur Freisetzung von Glückshormonen. Denn wer Fett, Salz oder Zucker zu sich nimmt, stimuliert das körpereigene Belohnungssystem. Bei kalorienreicher Nahrung steigt der Dopaminspiegel viel stärker als bei kalorienarmen Lebensmitteln.

Das ist im Grunde ein natürlicher Vorgang, denn schon zu Urzeiten benötigte der Mensch vor allem hochkalorische Nahrung, um zu überleben. Zudem lernten unsere frühen Vorfahren, dass süße Lebensmittel nicht giftig waren. Unsere Vorlieben sind daher, einfach gesagt, genetisch bedingt. Alkohol, Nikotin oder Heroin wirken auf denselben Mechanismus im Gehirn und erzeugen ebenso positive Gefühle. Der Mensch will solche Emotionen immer wieder erleben und greift deshalb immer häufiger und in immer größerer Menge zu den schnell glücklich machenden Stoffen.

Eine Kombination der drei Stoffe - wie es zum Beispiel bei einem allseits besonders beliebten schokoladigen Brotaufstrich der Fall ist - führt jedoch im wahrsten Sinne des Wortes zum Super-GAU. Sicher, die Dosis macht das Gift. Dennoch dürfte die Gefahr der Abhängigkeit von diesen Nahrungsmitteln nicht zu unterschätzen sein. Die Industrie hat das erkannt und bringt gezielt Produkte mit Suchtpotenzial auf den Markt. Das reicht von der Fertigpizza bis hin zum Schokoriegel.

Beim Zucker steht vor allem die Fructose im Visier der Mediziner. So gesund sie im Apfel oder in einer Orange ist, so ungesund ist sie als Süßstoff etwa in Form von Maissirup (auch Glucose-Fructose-Sirup genannt), wie er etwa in den meistens Softdrinks aber auch in Kinderprodukten als Zuckerkonzentrat zum Einsatz kommt.

Der schlechteste Zucker

"Die Fructose ist der schlechteste Zucker überhaupt", betont Metka. Sie landet - im Gegensatz zur Glukose, die Gehirn und Muskeln als Energielieferant dient - zu 95 Prozent in der Leber. Dieses wichtige Organ ist damit massiv überfordert. Fructose im Übermaß sei demnach die Ursache der in den USA weit verbreiteten nichtalkoholischen Fettleber. Übergewicht, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und Krebs können die Folge davon sein. Der heimliche Killer Zucker fordert sehr wahrscheinlich mehr Todesopfer als das Rauchen.

Zucker sollte maximal fünf Prozent der täglichen Kalorien liefern, so der Richtwert. Die Menschen in westlichen Industrieländern müssten damit immerhin auf rund zwei Drittel ihrer üblichen Tageszufuhr an Zucker verzichten, um diesen Zielwert erreichen zu können. Während Bewusstseinsarbeit in der Ersten Welt bereits etwas zu fruchten scheint, hat die Industrie nun den Markt der Dritten Welt entdeckt. Hungernde, dürre Menschen gehören in manchen Ländern bereits der Vergangenheit an, so Metka. Sie werden mittlerweile "mit Junk Food und billigen Nahrungsmitteln gemästet".

Heimtückisches Fett

Ein Ende ist kaum in Sicht, denn Zucker programmiert das Gehirn um. Das ständige Überfüttern hat nicht nur Hungerattacken zur Folge, sondern auch suchtartige Veränderungen des Gehirnstoffwechsels. Häufige Lust auf Naschen, Fruchtsäfte und Süßgetränke können Warnsignale für eine Zuckersucht sein. Stimmungsschwankungen, Druckgefühle im Bauch, Schlafprobleme und Unruhezustände können ebenfalls Hinweise darauf sein.

Auch Fett ist solch ein heimtückisches Suchtmittel. Es unterstützt die Entfaltung von Aromen und macht Chips knusprig. Zudem ist es billig und verlängert die Haltbarkeit von Lebensmitteln. Dabei ist allerdings nicht von den "Engelsfetten" wie Oliven-, Hanf- oder Leinöl die Rede, sondern von den "Teufelsfetten", wie es Metka betont. Dazu zählen die sogenannten Transfette - wie Margarine, Palmöl oder künstlich erzeugte Fette. "Im Übermaß genossen, führen sie zu einer Verklebung unserer Membranen. Ein Kolbenreiber ist die Folge", schildert der Mediziner. Beim menschlichen Gehirn ist Fett besonders beliebt, denn es ist doppelt so energiereich wie Zucker.

Bleibt noch das Salz. Es verleiht vielen Lebensmitteln einen wunderbaren Geschmack. "Gesalzenes bringt einen in einen richtigen Flow hinein." Doch das in Kochsalz enthaltene Natrium entzieht dem Körper Flüssigkeit und führt dieses in die Blutbahn über. Dadurch erhöht sich die Blutmenge, sodass es in Folge zu Bluthochdruck kommen kann. Tiefkühlpizza, Nudelgerichte und Fertigsoßen enthalten dabei besonders viel Salz.

Genuss als Schutzmaßnahme

Eine Studie aus Finnland zeige, dass sich eine Reduktion des Salzkonsums um 20 Prozent positiv auf die Herzkreislaufgesundheit auswirkt. Schon ein Jahr später waren 10.000 Herzinfarkte weniger verzeichnet worden, so Metka.

"Hüten Sie sich vor verarbeiteten Produkten", warnt der Mediziner. Da sind besonders viel Zucker, Salz und schlechte Fette versteckt. "Im Idealfall kaufen Sie so ein wie Ihre Großmutter oder Urgroßmutter", lautet der Rat. Verteufelt seien aber etwa auch die in Mode gekommenen Smoothies, sofern sie nur aus Obst bestehen, die allgemein als Inbegriff von Gesundheit gelten. Gemüse dagegen "geht immer und ist das Idealste", betont der Experte.

Doch welcher Weg führt aus der Falle, wenn sie einmal zugeschnappt hat? "Es stellt sich die Frage, ob der Genuss einen gewissen Schutz vor Sucht bietet beziehungsweise einen der Genuss wieder aus der Sucht herausführen kann, indem ich das Vernünftige wieder genießen lerne", betont Metka. Sucht sei eine unglaubliche Einschränkung der Sinne. Das Öffnen der Sinne für Schönes - das beginnt beim Essen und endet beim Musikhören - könnte demnach einen guten Weg darstellen.

Zudem sollte man auch Kindern schon verschiedene Genüsse beim Essen anbieten. Einheitsbrei erhöht das Risiko, dass sie zur nächsten Coffee-to-go- und Fast Food-Generation werden, warnt der Experte. "Wenn man ihnen nicht einmal die Gelegenheit gibt und sie erzieht und schult, wie soll das Verständnis für Genuss dann überhaupt entstehen?" Dieser werde in seiner gesundheitsfördernden Dimension häufig unterschätzt, doch sei er über ein momentanes Wohlempfinden hinaus elementar für die Gesundheit.

Das Medicinicum Lech bietet einen fächerübergreifenden Austausch zum Thema. Das breite Spannungsfeld zwischen gesundheitsförderndem Genuss und krankmachender Sucht wird sowohl aus medizinischer und neurologischer als auch aus psychologischer, philosophischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive in den Fokus genommen.