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Nur der Genuss ist zinsfrei

Von Alexandra Grass

Wissen
Die Dosis macht den Unterschied: auch beim plakativen Beispiel Kaffee.
© Adobe Stock/tech_studio

Beim Medicinicum Lech diskutierten Experten über die vielfältige Kunst, richtig und gesund zu genießen.


Lech. Genuss wird mit Gesundheit und Glück in Verbindung gebracht - die Sucht hingegen mit Krankheit und Unglück. Beide Zustände des menschlichen Körpers werden im Gehirn gesteuert und entstehen auch dort. Zwischen Genuss und Sucht besteht demnach eine große Nähe, der Übertritt von einem ins andere ist damit jederzeit möglich. Genau mit diesem Spannungsfeld beschäftigte sich das diesjährige Medicinicum Lech unter dem Motto "Genuss - Sucht - Gesundheit", das am vergangenen Wochenende am Arlberg stattgefunden hat. Die Ernährung nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein. Mit allen Sinnen leben, um dem Leben Sinn zu geben, lautete der einhellige Tenor der Veranstaltung, bei der die "Wiener Zeitung" auf Einladung der Lech Zürs Tourismus GmbH zu Gast war.

Einendes und Trennendes

Als plakatives Beispiel, um Wirkung, Wechselwirkung oder Nebenwirkung der drei im Mittelpunkt stehenden Begriffe aufzuzeigen, könnte der Kaffee gelten. Genießer schätzen sein Aroma, Süchtige den Kick durch Koffein und Gesundheitsbewusste seine Inhaltsstoffe. Welche dieser Auswirkungen der Mensch zulässt, liegt allein in seiner Hand.

Um die Möglichkeiten zu verdeutlichen, zeigte der österreichische Psychiater Reinhard Haller die Gemeinsamkeiten von Genuss und Sucht auf. Beide Zustände führen etwa zu regressivem Verhalten - "wir werden wieder kindlich". Zudem wird der Dopaminstoffwechsel aktiviert, was Höhenflüge verschafft. Und der Mensch verrückt aus seinem normalen Zustand hin zu einer geprägten oder auch erlernten Verhaltensweise. Ziel ist in beiden Fällen das Streben nach Glück. Inwieweit die Gesundheit dabei positiv oder negativ beeinflusst wird, ist dosisabhängig. Ganz egal, ob es sich dabei um Substanzen wie Kaffee handelt oder um Verhaltensweisen wie die Gier.

Erst die Unterschiede verdeutlichen die unterschiedlichen Wirkungen auf den menschlichen Körper. Während Genuss Vergnügen bereitet, charaktergebunden ist, bei gleichbleibender Dosis kontrolliert erfolgt und der Mensch weiterhin frei agiert, treten bei der Sucht die negativen Aspekte hervor. Sie läuft unkontrolliert ab, ist zwanghaft, die Dosis wird sukzessive gesteigert, der Mensch ist praktisch unfrei. Zudem kann einem die Sucht teuer zu stehen kommen, betonte Haller in seinem Vortrag. "Denn sie schenkt einem nichts. Spätestens beim Entzug zahlt man großen Zins zurück. Der Genuss hingegen ist zinsfrei", schilderte der Experte.

Gefahr des Entrücktseins

Bei Sucht muss es sich nicht immer um Substanzen handeln, die abhängig machen. Denn jedes menschliche Verhalten könne zur Sucht werden. Man denke auch an die Online-Sucht oder gar die Selbstsucht. Dennoch sollte man sich davor hüten, den Begriff inflationär zu verwenden, warnte Haller. "Liebe Gewohnheiten sind nicht immer Süchte." Doch sei im Entrücktsein immer auch eine gewisse Gefahr enthalten. Sucht sei demnach außer Kontrolle geratener Genuss. Die Kultivierung des Genusses sei demnach auch eine hervorragende Suchtprophylaxe, so der Psychiater.

Welchen Aspekt die Ernährung dabei spielt, führte der wissenschaftliche Leiter des Medicinicums, Markus Metka, aus. Wobei er vor allem das Fasten in den Mittelpunkt rückte. Dabei gehe es nicht darum, nur zu verzichten, sondern vor allem darum, richtig zu essen. Das beginnt bei bestimmten Lebensmitteln und endet bei der Uhrzeit.

Fasten sei ein "vortreffliches Mittel zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit", hatte schon Pythagoras wissen lassen. Heute sei es möglich, mit wissenschaftlichen Methoden festzustellen, dass diese alten Weisheiten, wie sie im Laufe der Geschichte schon vielfach in Empfehlungen mündeten, gerechtfertigt seien. Fasten leitet die Leberregeneration ein, aber vor allem die sogenannte Autophagie. Sie kann als Selbstreinigung der Zellen bezeichnet werden. Dort sammelt sich nämlich im Laufe des Lebens zahlreich Mist an. "Kein Wunder, dass es durch Verzuckerung, Versalzung und Verfettung zum fatalen Kolbenreiber kommt", betonte der Experte. Durch Fasten kann ein Prozess der Reinigung erfolgen. Und mit dem richtigen Essen lässt es sich fasten, auch ohne zu fasten.

Fasten, ohne zu fasten

Wichtig sei es, beim Essen Intervalle zu schaffen. Zwei bis maximal drei Mahlzeiten am Tag seien für einen erwachsenen Menschen empfehlenswert. "Ein Snack hat da nichts zu suchen", so Metka. Zudem sollte hin und wieder ein Fastentag eingelegt werden, um besagte Autophagie anzukurbeln. Aber auch Pflanzen besitzen die Kraft, diesen Prozess einzuleiten. Die in vielen Gemüsen, Kräutern und Obst enthaltenen Polyphenole sowie das Resveratrol im roten Wein seien dabei behilflich. Auch Kaffee löse diese Autophagie aus.

Als weiterer Schatz im Ernährungsdschungel gilt das Spermidin. Dieses ist nicht nur im Samen des Mannes enthalten, sondern auch in unzähligen Gewächsen pflanzlicher Natur. Früher dachte man, dass die Isoflavone in der Sojabohne die gesündeste Komponente darstellen. Heute wisse man, dass sie besonders viel Spermidin enthalten, das eine große Rolle für die Gesundheit spielt, indem es die Zellreinigung aktiviert.

Beim Medicinicum Lech wurde einmal mehr ein großer Bogen gespannt, bei dem versucht wurde, den Teilnehmern den Schlüssel zur körperlichen und geistigen Gesundheit in die Hand zu legen. Ob er auch ins Schloss passt, wird sich weisen.