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Mit den Waffen der Neugier

Von Eva Stanzl

Wissen

Ranga Yogeshwar, einer der bekanntesten Vermittler von Wissenschaft, über den Wert von Fakten in Zeiten der Fake News.


Ranga Yogeshwar ist einer der bekanntesten Vermittler von Wissenschaft im deutschsprachigen Raum. Was den Physiker und Moderator auszeichnet, ist, dass er tatsächlich Wissen schafft. Das verdankt er der eigenen Neugier sowie seiner Fähigkeit, einem interessierten, aber nicht vorgebildeten Publikum komplexeste Inhalte verständlich darzulegen. Seit 25 Jahren präsentiert Ranga Yogeshwar das Wissenschaftsmagazin "Quarks" des deutschen Fernsehsenders WDR. Zum Festival "Be Open" zum 50-jährigen Jubiläum des Wissenschaftsfonds besuchte er am Montag Wien. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihm bei einem Treffen des Klubs der Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen am Rande des Festivals.

"Wiener Zeitung": Ob durch Worte, Experimente oder körperlichen Einsatz: Sie bringen Wissenschaft ins Fernsehen und damit in die Wohnzimmer. Sind Ihre Neugier und Ihr Einsatz das Geheimnis, wie man mit wissenschaftlichen Inhalten ein breites Publikum erreicht?

Ranga Yogeshwar: Aus meiner Perspektive geht es nicht nur um das Fernsehen, denn die Medienlandschaft ist heute viel breiter aufgestellt als Funk, Fernsehen und Print. Weltweit sehen klassische Medien einen dramatischen Schwund wegen eines Mangels an probaten Business-Modellen, mit denen sie ihre Zukunft bestreiten können. Wenn wir außerdem von Wissenschaft im Fernsehen reden, dann reden wir vornehmlich von Wissenschaft im öffentlich-rechlichten Fernsehen. Bei den sogenannten Wissenssendungen in Privatsendern handelt es sich eher um Unterhaltungsformate mit diffuser Profilierung: Man fragt sich, wofür sie stehen. Parallel dazu werden die sozialen Netzwerke immer virulenter - aber auch diese haben keine adäquaten Business-Modelle für Journalisten, die ihnen ermöglichen, dort breit tätig zu sein. Auf YouTube oder Facebook gibt es daher entweder die Idealisten - von ihnen zum Glück einige - oder Stiftungen, die Wissenschaft breiter unterstützen, jedoch auch eigene Interessen verfolgen. Wir stehen daher vor der tieferen Frage, welche Funktion wir als Wissenschaftsjournalisten haben. In welchen Medien sind wir aktiv und sollten wir aktiver werden? Auf welches echte Anliegen müssen wir heute stärker denn je fokussieren?

Welche Aufgabe hat Ihrer Meinung nach die Vermittlung von Wissen?

Das Publikum ist heute völlig anders als vor 20 Jahren. Es geht nicht mehr um Informationsbeschaffung, sondern viel stärker um Orientierungshilfen. In einer doch sehr diffusen Gemengelage von Informationen, von denen manche wahrhaftig und andere fake sind, wollen immer mehr Menschen wissen, was relevant und glaubwürdig ist, und die Dinge in einem größeren Zusammenhang dargelegt bekommen. Wir leben in einer Welt des Wandels. Umso wichtiger ist es, den Menschen elementare Aspekte zu erklären. Mir fällt auf, dass wir uns umgeben mit Dingen, von denen wir eigentlich keine Ahnung haben. Wir hören, dass das Klimaabkommen ratifiziert wird, wissen aber nicht, dass diese Vereinbarung somit in nationale Gesetze fließt. Wir wissen nicht, was die Europäische Zentralbank genau tut, und nicht, welche Kompetenzen die EU-Kommission hat - obwohl wir täglich mit diesen Begriffen konfrontiert sind. Da braucht es in meiner demokratischen Haltung Erklärung, damit die Mündigkeit des Bürgers klar gegeben ist.

Das Nicht-Faktische birgt aber offenbar eine Faszination: Immer mehr Menschen gehen davon aus, dass CO2 nichts mit dem Klimawandel zu tun hat, dass Religionen Faktenlehren sind, dass Impfungen der Gesundheit schaden. Warum?

Im Moment erleben wir eine Beförderung der Erregtheit. Viele öffentlich-rechtlichen Sender nehmen an diesen Erregtheits-Spiralen teil. Wir konnten das zuletzt im deutschen Fernsehen rund um die Berichterstattung zu Fremdenhass nach dem Tötungsfall in Chemnitz beobachten: Der reflektierende, einordnende Aspekt in den Medien stirbt zugunsten von rhetorischer Polemik. Ich habe seit etwa fünf Jahren das Gefühl, dass zum ersten Mal in der industriellen Welt die Prinzipien der Aufklärung von einem Teil der Bevölkerung nicht mehr geteilt werden.

In welcher Hinsicht?

In einer aufgeklärten Welt herrscht der Konsens, dass Debatten auf der Basis der Wahrhaftigkeit von Fakten geführt werden. Heute gibt es aber Politiker, die sagen: Die Fakten mögen so sein, wie sie sind, aber mich interessiert die gefühlte Wahrheit. Und diese gefühlte Wahrheit ist oft diskrepant zur tatsächlichen. Genau da ist es ein ungemein wichtiger Auftrag, die Flamme der Aufklärung, nämlich den faktenbasierten Diskurs, viel stärker zu befeuern, als wir das vielleicht in der Vergangenheit gemacht haben.

Leben wir in einer Welt, in der die Wahrheit verdreht wird?

Immerhin erleben wir es das erste Mal, dass eine Politik, die auf sogenannten alternativen Fakten basiert, reale Konsequenzen hat - von Protektionsmus bis zur Verabschiedung Andersdenkender. Dahinter steht eine Strategie einer fundamentalen Destabilisierung von liberalen, demokratischen Strukturen. Es verliert sich auch der Umgang mit Komplexität - also der Umgang einer modernen Industriegesellschaft, die in vielen Facetten sehr komplex ist. Populisten können das extrem gut umschiffen, denn in deren Kategorien ist die Welt gefährlich einfach. Wir müssen in einer veränderten Medienwelt in veränderten Kategorien denken. Die Frage ist, wie wir etwas erzählen und mit welcher Grammatik wir Fakten tatsächlich vermitteln. Wir müssen es schaffen, sie einer breiten Allgemeinheit verständlich zu machen.

Wie zum Beispiel?

Nehmen wir die Debatten rund um Asyl und Migration. Da nehmen wir sehr viel Stimmung mit und erschreckend wenig Fakten mit. In Deutschland glauben die Menschen, der Ausländeranteil ist 30 Prozent, aber in der Realität ist er halb so groß. Große Migrationsströme gibt es nicht nur bei uns, sondern stärker noch in Asien - zudem zieht es Migranten nicht zum Großteil in Industrieländer. Das alles gehört klargelegt. Auch könnten wir uns den Einfluss der Klimaerwärmung auf die Migration anschauen - und gegensteuern.

Wie oft hat Ihnen schon jemand Geld dafür angeboten, dass Sie ein bestimmtes Thema bringen?

Ich würde fast nervös, wenn das aufhören würde, zu passieren. Die Angebote reichen von knallharter Werbung über verklausulierte Testimonials bis zu von Agenturen geschriebenen Büchern, auf deren Cover ich mein Foto setzen sollte. Da muss man wissen, wo man steht. Ich bin seit zehn Jahren freier Autor und könnte mit Werbung viel Geld verdienen. Aber ich mache das nicht.

Ranga Yogeshwar, geboren 1959 in Luxemburg, ist Wissenschaftsjournalist, Physiker und Moderator. Er studierte Experimentalphysik an der Technischen Hochschule in Aachen. Seit 1983 arbeitet er bei Hörfunk und Fernsehen. Für das Erste Deutsche Fernsehen kreierte Yogeshwar die Sendung "Wissen vor acht", in der er ein Thema innerhalb von 145 Sekunden erklärt. Seit 25 Jahren moderiert er im Westdeutschen Rundfunk die Sendung "Quarks".
Der Sachbuch-Autor erhielt den Deutschen Fernsehpreis 2011 in der Kategorie Beste Information als Experte in der Fukushima-Berichterstattung.