Alice folgt dem davoneilenden weißen Kaninchen, fällt in ein Loch und landet mitten im Abenteuer. Sie wächst und schrumpft. Ein verrückter Hutmacher feiert mit seinem Freund, dem Hasen, und mehreren Teekannen immerfort Nichtgeburtstag. Spielkarten malen die Rosen rot und eine Grinsekatze lässt ihre Streifen am Nachthimmel zurück. In dieser verwirrenden Wunderwelt muss die kleine Alice sich zurechtfinden, ohne die Regeln zu kennen und ohne den Bezug zu sich selbst zu verlieren. Lewis Carroll hat sich für seine Protagonistin keine leichte Aufgabe ausgedacht: In seinem 1865 erschienenen Kinderbuch "Alice im Wunderland" muss sie sich ständig an eine veränderliche Welt anpassen.
Das aktivste Organ
1 Frontal- oder Stirnlappen
Er ist der größte Lappen der Großhirnrinde mit unzähligen Funktionen. Er gilt als Sitz der Persönlichkeit und des Sozialverhaltens. Komplexe Handlungsplanung, Problemlösung und Verhaltenskontrolle, sprachliche und emotionale Ausdrucksfähigkeit, Wahrnehmung, Bewusstsein und auch das Sexualverhalten werden hier gesteuert.
2 Limbisches System
In diesem "emotionalen Gehirn" verknüpfen sich Strukturen von Großhirn, Mittelhirn und Hirnstamm. Die wichtigsten Bestandteile sind Hippocampus, Hypothalamus und Amygdala. Es ist für Triebverhalten, die Ausschüttung von Endorphinen und für intellektuelle Leistungen zuständig. Die Amygdala (Mandelkern) wiederum bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und
reagiert auf Gefahr.
3 Balken
Das Corpus Callosum verbindet beide Gehirnhälften. Seine 250 Millionen Nervenfasern dienen dem Informationsaustausch.
4 Thalamus
In diesem größten Teil des Zwischenhirns liegt das "Tor zum Bewusstsein". Hier wird Information von den Sinnesorganen an die Großhirnrinde verarbeitet, werden Synapsen gebildet und Entscheidungen in Bezug auf die Gesamtsituation getroffen.
5 Hypothalamus
Der Hypothalamus steuert vegetative Funktionen wie Temperatur, Blutdruck, Osmolarität, Nahrungs- und Wasseraufnahme, die Circadiane Rhythmik sowie das Schlaf, Sexual- und Fortpflanzungsverhalten. Auch das Bindungshormon Oxytocin wird hier ausgeschüttet, Pubertät und Eisprünge werden ausgelöst.
6 Temporal- oder Schläfenlappen
Auf der Höhe der Ohren ist der Sitz der Gefühle, das Zentrum für Sprachverständnis und Sprachverarbeitung sowie für Musikverständnis. Er enthält Hörrinde und Hörbahn, Kurzzeit-Gedächtnis und erkennt komplexe auditorische und visuelle Reize – etwa von Körperteilen, Gesichtern, Nahrung und Beute.
7 Sehnervenkreuzung
Kreuzungsstelle der Sehbahn, wo Fasern des Sehnervs eines Auges die Seite wech-_seln und in den gegenseitigen Sehstrang ziehen. Die aus den beiden Retinahälften erhaltenen Signale können in der gleichen Hirnregion empfangen und verglichen werden, weil sie dort zusammengeführt werden. Das ermöglicht ein räumlich wahrgenommenes Sehen.
8 Brücke
Die Brücke bietet den Durchgang für alle Bahnen, die die Bereiche des Zentralnervensystems miteinander verbinden, und ist an der Steuerung der Motorik beteiligt.
9 Mittelhirn
Es ist der oberste Abschnitt des Hirnstamms. Seine Regionen liegen um das Aquädukt, ein mit Hirnflüssigkeit gefüllter Kanal. Prominente Strukturen sind das Mittelhirndach und die Mittelhirnhaube, wo etwa optische Reize verarbeitet werden. Wichtige Funktion in der Embryonalentwicklung.
10 Verlängertes Mark
Dieser Bereich des Hirnstamms geht ins Rückenmark über. Die Regulation von Atmung, Blutkreislauf, Saug-, Schluck-, Husten-, Nies- und Würgreflex und Erbrechen zählen zu den lebenswichtigen Aufgaben.
11 Parietal- oder Scheitellappen
Vom kribbelnden Kuss bis zum schmerzvollen Anfassen der Herdplatte: Dieser Bereich der Großhirnrinde ist das Verarbeitungszentrum von angenehmer und unangenehmer sensorischer Information. Das ermöglicht die Handhabung von Objekten und die Orientierung im Raum. Räumliche Wahrnehmung, räumliches Denken und "quasi-räumliche" Prozesse wie Rechnen, Schreiben, Lesen, Farben-, Formen- und Größeneinordnung passieren im Scheitellappen.
12 Occipital- oder Hinterhauptlappen
Der kleinste Lappen ist das Sehzentrum des Gehirns. Er verarbeitet, interpretiert und erkennt visuelle Impulse. Von der Sehrinde laufen Bahnen in andere Rindenareale des Großhirns, wo visuelle Impulse mit Sprache verknüpft und die Augenbewegung koordiniert wird.
13 Zirbeldrüse
Die kegelförmige endokrine Drüse erzeugt das Hormon Melatonin bei Dunkelheit, das den Schlaf-Wach-Rhythmus und andere zeitabhängige Rhythmen des Körpers beeinflusst.
14 Kleinhirn
Der volumensmäßig zweitgrößte Teil des Gehirns hat eine deutlich höhere Zelldichte als das Großhirn. Er spielt eine wichtige Rolle bei automatisierten motorischen Prozessen. Das Kleinhirn erhält aus dem Gleichgewichtsorgan im Ohr Informationen über die Körperlage und steuert Motorik und Koordination, das Erlernen von Bewegungsabläufen, die Feinabstimmung der Augenbewegungen, die Gesichtsmuskulatur beim Sprechen und die Fingerbewegungen beim Schreiben.
15 Viertes Hirnventrikel
Das Ventrikelsystem ist ein System aus Hohlräumen im Gehirn. Die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit in den Hohlräumen neutralisiert die Schwerkraft, polstert Gehirn und Rückenmark und entsorgt Abfallprodukte.
"Aus Sicht der Neurowissenschaften geht es uns allen wie Alice - immerzu, ein Leben lang", erläutert Beau Lotto, Professor für Neurowissenschaften am University College London, in seinem Buch "Anders sehen": "Unsere Gehirne müssen tagtäglich merkwürdige neue Informationen und unvorhersehbare Erfahrungen verarbeiten und dann mit einer nützlichen Reaktion aufwarten. Der einzige Unterschied ist, dass wir dazu nicht erst in ein Kaninchenloch fallen müssen. Wir sitzen von Anfang an ganz tief drin."
Ob trockene Kopfarbeit, körperliche Geschicklichkeit oder einfach nur Spaß - das Gehirn ist das aktivste aller Organe. Vom ersten bis zum letzten Atemzug sortiert es Eindrücke, ob wir wollen oder nicht. Am Anfang ist alles neu: die ersten Sinneswahrnehmungen, die ersten Schritte und Worte, das erste Mal Schwimmen, die ersten Lehrbuch-Inhalte. Nach und nach festigen sich die Erfahrungen, wir lernen Sprache, Farben und Charaktere, die Regeln von Arbeit und Gesellschaft, äußere und innere Werte kennen und ordnen sie ein. Irgendwann tragen wir Erinnerungen wie eine bunte Perlenkette oder einen Schatz in uns und am Schluss denken wir über jede Perle nach.
All das vollzieht unser Gehirn scheinbar ohne Mühen, während es gleichzeitig Bewegungen, Organfunktionen, Reflexe und nicht zuletzt den Herzschlag steuert. Es geht nie über, wird nie zu voll, schenkt nur dem Bewusstsein Schlaf und läuft ansonsten so wie das Herz rund um die Uhr. Die Kommandozentrale ist stabil und doch dynamisch, schafft die Basis im Körper und reagiert doch flexibel, kann Kontrolle ausüben und träumen, registriert das Leben in enormem Detail und behält doch den Überblick.