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Neandertaler schenkten modernen Menschen die Viren-Abwehr

Von Eva Stanzl

Wissen
Vor mehr als 40.000 Jahren vermischten sich Neandertaler und Homo sapiens.
© Claure Scully

Mit Genen der Frühmenschen kann der moderne Mensch Krankheiten besser bekämpfen.


Wien. Lange wurde die menschliche Evolution als eine Gerade dargestellt, in der wir uns linear von unseren Vorfahren, den Affen, hin zum modernen Menschen entwickelten. Doch moderne Methoden der Gen-Sequenzierung und DNA-Analysen an den sterblichen Überresten unserer ausgestorbenen Vorfahren zeigen, dass die Entwicklung zum Homo sapiens nicht ganz so geordnet verlief. Der menschliche Stammbaum ist voller Verästelungen und gerade sie formten das, was wir heute sind.

US-Forscher berichten im Fachmagazin "Cell" über die Rolle von Viren in der Evolution. Sie haben jene Erreger unter die Lupe genommen, die am Werk waren, als der moderne Mensch sich mit dem Neandertaler kreuzte.

Vor etwa 40.000 Jahren starben die Neandertaler aus. Doch bevor sie verschwanden, vermischten sie sich mit einer Menschenart, die gerade dabei war, sich auf der ganzen Welt auszubreiten. Das vorgeschichtliche Stelldichein hatte zur Folge, dass der moderne Mensch in Europa und Asien heute etwa zwei Prozent Neandertaler-DNA in sich trägt. Manche Erbgutschnipsel unserer Verwandten tauchen allerdings in modernen Bevölkerungen häufiger auf als andere. Forscher fragen sich daher, ob der Zufall am Werk ist oder ob häufig auftauchende Gene einen evolutionären Vorteil bieten.

"Cooler Grund für die Anpassung"

"Eine erhebliche Zahl der häufig vorkommenden DNA-Abschnitte des Neandertalers haben sich aus einem ziemlich coolen Grund an den Homo sapiens angepasst", betont der Evolutionsbiologe Dmitri Petrov von der Universität Stanford in einer Aussendung zur Studie: "Es liegt nahe, dass die Neandertaler-Gene uns gegen Viren schützten, die wir von Afrika her noch nicht kannten."

Als die Arten miteinander in Kontakt traten, hatten die Neandertaler bereits mehr als 100.000 Jahre in Europa gelebt. Ihre Immunsysteme hatten jede Menge Zeit gehabt, um Abwehr-Mechanismen gegen jene Viren zu entwickeln, die in Europa und Asien ihr Unwesen trieben. Die Neuankömmlinge waren verletzlicher. "Für den modernen Menschen war äußerst sinnvoll, sich existierende genetische Abwehrmechanismen zu borgen. Zu warten, bis ihre eigenen Immunsysteme die nötigen Mutationen hervorbrachten, hätte viel länger gedauert", erläutert Ko-Autor David Enard von der University of Arizona.

Für Petrov und Enard bestätigt die These das sogenannte Gift-Gegengift-Modell. In diesem Szenario vererbten die Neandertaler nicht nur ihre Viren, sondern auch den genetischen Werkzeugkasten dagegen an den Homo sapiens weiter. "Moderne Menschen und Neandertaler sind derart nahe Verwandte, dass Viren keine große genetische Barriere überwinden mussten, um von der einen zur anderen Art zu springen", sagt Enard. "Die Nähe hatte aber den Vorteil, dass die Neandertaler ihre Schutzmechanismen gegen Pathogene weitergeben konnten."

Das Team analysierte jene 4000 der insgesamt 25.000 Gene des modernen Menschen, die auf Pathogene einwirken. Es untersuchte, ob sie Abschnitte der 152 Gene, die er vom Neandertaler geerbt hat, enthalten. Wie sich zeigte, schenkten uns unsere Verwandten tatsächlich die genetische Widerstandskraft gegen jene Viren, die wir mit ihnen teilten. Sie interagiert mit dem Aids-Erreger HIV, der gefährlichen Grippe des A-Stammes und Hepatitis C, die alle zur Gruppe der RNA-Viren zählen. Der Tausch erfolgte allerdings nur mit Europäern. Die Forscher gehen daher davon aus, dass in Asien andere Viren am Werk waren und dort die Neandertaler andere Abwehrmechanismen weitergaben.