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Die Maschine im Menschen

Von Eva Stanzl

Wissen

Elektronik, die flexibel ist wie Haut, könnte Prothesen verbessern - und die Wahrnehmung verändern.


Wien. Elektronik zieht in den Körper ein und verändert unsere Wahrnehmung. Ein Netzwerk von Sensoren, Bildschirmen und anderen smarten Geräten könnte, in die Kleidung verwebt, auf der Haut getragen und im Körper implantiert, uns übermenschliche Kräfte verleihen. Der Wisch über den Smartphone-Bildschirm hätte sich dann überholt, denn schon ein Wisch über den Arm könnte bewirken, dass winzige Implantate Blutdruck-Daten als Statistik an das Bewusstsein melden. Und schwangere Frauen könnten winzige biometrische Sensoren tragen, um den Herzschlag ihres heranwachsenden Babys hören zu können.

Vorerst ist das Internet im Körper, von Wissenschaftern "bodyNET" genannt, noch Vision. In Labors weltweit wird allerdings bereits an seinen Komponenten gearbeitet. Zentraler Baustein ist eine dehnbare, flexible Elektronik aus Kunststoff, die dünner ist als ein Blatt Papier und ihre Form verändern kann, ohne zu reißen.

Eine Pionierin des Fachgebiets ist Zhenan Bao, Materialwissenschafterin an der renommierten Universität Stanford. In ihrem Labor im sonnigen Palo Alto, Kalifornien, arbeitet die Professorin für Chemieingenieurwesen mit ihrem Team an einem Stoff, der eine Revolution des Internet-Zeitalters auslösen könnte. "Wir suchen nach einer neuen Generation von tragbarer Elektronik", sagte Bao zur "Wiener Zeitung" am Rande eines Vortrags am Austrian Institute am Montagnachmittag in Wien.

Ein Stoff, der jede Form annehmen kann

Modell für das neue Material steht die menschliche Haut. Ähnlich wie das größte Organ im Körper soll es flexibel, dehnbar und biologisch abbaubar sein - und seine "Wunden" von alleine heilen. "Wenn das gelingt, dann wären elektronische Bauteile nicht mehr biegesteif und spröde. Sondern sie können sich an jede Oberfläche anpassen, jede Form annehmen, gefaltet und gedehnt werden, Sinnesreize verspüren und weiterleiten und sich regenerieren", erklärt Bao.

Um das zu erreichen, werden zunächst Atome zu Molekülen und schließlich zu Polymeren zusammengefügt. Sobald die Anordnung die richtige ist, werden mit Hilfe von speziellen Nanopartikeln zusätzliche Eigenschaften eingebaut.

Das Team arbeitet an der Fähigkeit, Elektronen zu leiten, und der Fähigkeit, Risse von selbst wieder zu schließen. "Chemische Materialien können wieder zusammenwachsen, indem sie neue Verbindungen eingehen, ganz ähnlich wie es die Zellen im Heilungsprozess der Haut tun", sagt Bao. Der Zusammensetzungsprozess könne mit einem Gebäude aus Legosteinen verglichen werden. "Jedes Mal, wenn ich Steine dazugebe, verändern sich die Eigenschaften der Form. Nur ist bei Legohäusern absehbar, was passieren wird. Bei der künstlichen Haut können wir das derzeit noch nicht exakt vorhersehen. Bis zum elektronischen Netzwerk im Menschen könnte es somit noch eine Weile dauern.

Zunächst könnte das neue Material eingesetzt werden, um die Ladezeiten von Batterien zu erhöhen. "Hintergrund sind verbesserte Eigenschaften beim Aufladeprozess, weil dieser das Trägermaterial einer Batterie expandieren lässt. Unser selbstheilender Stoff verhält sich effizienter bei dem Prozess und erhöht dadurch die Reichweiten zum Beispiel von Elektroautos", sagt Bao.

Auf der Suche nach einer Entsprechung für die menschlichen Sinnesorgane ist es bereits gelungen, gute Techniken für Sehen und Gehör zu entwickeln, nur langsam geht es beim Schmecken und Riechen voran. Der Tastsinn gilt als die größte Herausforderung. Bao und ihre Kollegen entwickeln unter anderem auch eine verbesserte Schnittstelle zwischen Prothesen und den menschlichen Nervenbahnen. Schon bald könnte die künstliche Haut, über einen künstlichen Arm gestülpt, "Sinnesreize" schneller und präziser an das Gehirn weiterleiten, als die derzeit besten bionischen Prothesen.

Am Mittwochabend erhielt Zhenan Bao zusammen mit dem Innsbrucker Quantenphysiker Gregor Weihs und dem Physiker Thomas Jenewein die Wilhelm-Exner-Medaille des Österreichischen Gewerbevereins in Wien. Ausgezeichnet werden herausragende Forscherinnen und Forscher, deren Ergebnisse die Wirtschaft direkt voranbringen.