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Gravitationswellen sind die Zukunft der Astronomie

Von Eva Stanzl

Wissen

Physiker Karsten Danzmann über den Urknall und zahllose Schwarze Löcher, die im All verschmelzen.


"Wiener Zeitung": Gravitationswellen entstehen, wenn große Objekte im Universum beschleunigt werden. Sie stauchen und strecken den Raum, die Wellen breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen aus und verbiegen ihn. Nachdem Ihr Team im September 2015 erstmals eine beobachtet hatte, wurde eine "neue Ära der Astronomie", eingeläutet. Worin sind wir seither schlauer geworden?

Karsten Danzmann: Es hat sich so ziemlich alles verändert. Zuvor konnte man Himmelskörper nur sehen - entweder mit bloßem Auge, oder mit Teleskopen vom Röntgen- bis zum Infrarotbereich. Jetzt können wir die Schwingungen im kosmischen Raum auch hören. Vor der Gravitationswellen-Messung hatte außerdem niemand mittelschwere Schwarze Löcher so richtig im Plan gehabt. Heute wissen wir zwar immer noch nicht, wie sie entstanden sind, aber wir fangen an, die Bildungsprozesse besser zu verstehen. Wie Sherlock Holmes setzen wir die Puzzlesteine zusammen. Ein richtiger Knüller war es, den Todestanz zweier Neutronensterne (Herbst 2017, Anm.), die sich immer schneller umkreisten und in einem Lichtblitz verschmolzen, zu beobachten. Erstmals haben wir das Aufleuchten eines kosmischen Hochofens verfolgt, in dem schwere Elemente gebacken wurden.

Was passierte in diesem kosmischen Hochofen?

Unter anderem wurde Gold vor Milliarden von Jahren in einer Neutronenstern-Verschmelzung gebacken und ins All geschleudert. Irgendwann hat es sich verdichtet und in der Erde verfestigt und jetzt graben wir es aus. Davor wussten wir nicht, woher die zahlreichen schweren Elemente jenseits von Eisen kommen. Lange dachte man, sie seien in Supernova-Ereignissen entstanden, aber das reichte nicht.

Was sagen Gravitationswellen über die Entstehung des Universums?

Das ist der Charme der Gravitationswellen-Astronomie, doch so weit sind wir noch nicht. Mit Lichtmessungen erreichen wir 400.000 Jahre nach dem Urknall. Davor war der Kosmos zu dicht und zu heiß, als dass Licht sich hätte ausbreiten können. Gravitationswellen konnten sich von Anfang an verteilen und sind immer noch da. Wir müssen nur empfindlich genug messen, um den Urknall zu hören, wobei das eine Metapher ist für das ganz frühe Universum. Ob damals ein Knall stattgefunden hat, es still war oder ganz anders, wissen wir nicht. Keine Theorie schließt den Anfang des Univerums ein, wir können es nur über Gravitationswellen-Messungen herausfinden.

Der Satellit "Lisa Pathfinder" testet derzeit Technologien, mit denen Europas Raumfahrtagentur ESA ab 2034 ein Gravitationswellen-Observatorium im All betreiben will. Was ist von der Mission zu erwarten?

Wenn man tiefe Frequenzen im Universum hören will, geht das von der Erde aus nicht, weil hier alles wackelt: Autos fahren vorbei, Äste fallen von Bäumen. Die Schwerkraft stört Gravitationswellen-Messungen und das verhindert, dass man tiefe Töne hören kann. Im All ist es ruhig. Die dicken, fetten, schweren Himmelskörper bewegen sich langsam und strahlen in tiefen Frequenzen - ähnlich wie die Piccolo-Flöte und der Kontrabass im Orchester.

Schwere Objekte sitzen in den Zentren aller Galaxien. Von ihnen wird vorhergesagt, dass sie Signale aus dem frühen Universum aussenden und diese soll "Lisa Pathfinder" einfangen. Zudem haben die Messinstrumente im All die längeren Arme. Konkret werden drei Satelliten im Vakuum des Alls über Laserstrahlen verbunden sein. An den Ecken eines gleichseitigen Dreiecks mit je 2,5 Millionen Kilometern Armlänge folgen sie der Erde auf einer Sonnenumlaufbahn, um Gravitationswellen aufzufangen, die bewegliche, energetische Objekten mit Struktur aussenden, selbst wenn es dunkel ist. Da 99 Prozent des Alls dunkel sind, aber den Raum verformen, ist es wichtig, es so zu beobachten.

Raum scheint dynamisch zu sein.

Alles wabert und wellt. Wir merken es nicht am eigenen Körper, weil wir kein Sinnesorgan dafür haben. Der Raum ist allerdings ziemlich steif. Es bedarf extrem hoher Energien, um ihn zu verformen, und in Gravitationswellen steckt viel Energie. Zum besseren Verständnis: Auch Schallwellen breiten sich dann besonders schnell aus, wenn das Medium hart ist - durch die Luft reisen sie langsamer als durch Metall. Schallwellen sind Quetschungen und Dehnungen der Luft. Wenn sie uns erreichen, quetschen und dehnen sie etwas im Innenohr und dieses erzeugt daraus ein elektrisches Signal, das das Gehirn als Schall interpretiert. Gravitationswellen wiederum quetschen und dehnen den Raum und verformen unser Laser-Interferometer. Das daraus entstehende, elektrische Signal können wir mit speziellen Kopfhörern hören. Das machen wir, wenn wir auf Fehlersuche im Instrument sind. Es sind die teuersten Mikrofone der Welt.

Was erzählt uns das Hörspiel über Dunkle Materie, die zwar unsichtbar ist, aber laut Forschern den Großteil der Materie darstellt?

Derzeit gibt es eine spekulative Möglichkeit, dass es so viele Schwarze Löcher gibt, dass die Dunkle Materie von ihnen stammen könnte. Allerdings brauchen wir da noch mehr Statistik - bisher haben wir ja nur sechs Schwarzloch- und eine Neutronenstern-Verschmelzung gefunden.

Verschmelzen unzählige Schwarze Löcher laufend im Kosmos?

Ja, und es steht nirgends ein Schild "Achtung, Ereignishorizont". Den merken Sie erst, wenn Sie nicht mehr rauskommen. Aber das wird nicht so bald passieren, außerdem ist ja viel Platz zwischen den Schwarzlöchern.