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Die Angst vor dem Wolf

Von Johannes Pucher

Wissen

In Niederösterreich leben drei Wolfsrudel. Nachdem im Sommer wiederholt Schafe gerissen wurden, erlaubt eine neue Verordnung den Abschuss der Wölfe. Ein Lokalaugenschein aus dem Waldviertel.


Bad Großpertholz. Der Wolf ist zurück in Niederösterreich. Nachdem bereits 2016 ein Wolfsrudel am Truppenübungsplatz Allentsteig entdeckt wurde, leben mittlerweile zwei weitere Rudel im Waldviertel. Doch je mehr sich der neue Nachbar einlebt, desto offensichtlicher werden die Konflikte, die das Zusammenleben mit einem Raubtier mit sich bringt.

Im August wurden in den Gemeinden Langschlag und Bad Großpertholz 28 Schafe laut Informationen der Veterinärmedizinischen Universität Wien gerissen. Die betroffenen Schafhalter fordern den Abschuss von Wölfen. Tierschützer fordern besseren Herdenschutz. Dazu kommen besorgte Bürger und mahnende Jäger. Der Wolf ist im Waldviertel "ein emotionales Thema", sagt der Obmann der Landwirtschaftskammer Gmünd, Markus Wandl. Am 4. Dezember hat die niederösterreichische Landesregierung einstimmig eine Verordnung beschlossen, die es erlaubt sogenannte "Problemwölfe" zu "entnehmen", wie es in der Fachsprache der Jäger heißt.

Ab wann ein Wolf ein Problemwolf ist, regelt die neue Verordnung nach schweizerischem Vorbild in einem Vier-Stufen-Modell. Je nach Verhalten kann ein Wolf als "unbedenklich", "auffällig", "unerwünscht" oder "problematisch" eingestuft werden. Zeigt ein Wolf "problematisches" Verhalten, kann die Bezirksverwaltungsbehörde den Abschuss des Tieres anordnen.

Ein solches Verhalten, das die Voraussetzung für einen Abschuss darstellen würde, wäre es beispielsweise, wenn ein Wolf zwei Mal untertags in eine Siedlung kommt oder zwei Mal Nutztiere auf einer ordnungsgemäß geschützten Weide reißt. Zeigt ein Wolf "unbedenkliches" oder lediglich "auffälliges" Verhalten, schreibt die Verordnung Herdenschutzmaßnahmen vor. Damit sind vor allem elektrische Schutzzäune oder Herdenschutzhunde gemeint.

Wölfe gehörten in Österreich einst zur natürlichen Artenvielfalt, bevor sie Ende des 19. Jahrhunderts hierzulande ausgerottet wurden. Seit 1992 ist der Wolf durch die sogenannte Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union streng geschützt. Ihr Ziel ist es, die natürliche Artenvielfalt in Europa wiederherzustellen und zu erhalten. In Österreich gilt dieser Schutz seit dem EU-Beitritt 1995.

"Die Frage ist, welches Ökosystem man will", sagt der Wolfsbeauftragte der niederösterreichischen Landesregierung Georg Rauer. "Will man ein vollständiges, dann gehört der Wolf dazu." Im Ökosystem Wald beispielsweise sorgt der Wolf für eine natürliche Regulierung der Wildbestände, indem er kranke und schwache Tiere aussortiert.

"Wollen wir Bio oder den Wolf?"

Seit der Wolf geschützt ist, haben sich die Bestände erholt. "Derzeit leben circa 25 Wölfe in Niederösterreich", sagt Rauer und ergänzt: "Wobei man beachten muss, dass Wölfe sehr viel wandern und immer wieder die Grenze passieren." Ein Wolfsrudel lebt am Truppenübungsplatz Allentsteig, ein weiteres im Gebiet der Gemeinde Litschau und ein drittes wurde erst im August in einem Waldstück in der Gemeinde Bad Großpertholz von einer Wildkamera fotografiert.

Zwischen Juli und November 2018 wurden im Waldviertel 55 Nutztiere nachweislich vom Wolf gerissen. Besonders schlimm hat es die Schafhalter in den Gemeinden Bad Großpertholz und Langschlag getroffen. Die Bezirksverwaltungsbehörde Gmünd hat deshalb für einzelne Jagdgebiete in den beiden Gemeinden Vergrämungsmaßnahmen angeordnet. Wölfe dürfen dort seitdem mit Gummigeschossen abgeschreckt werden. Bei Johann und Marianne Prinz aus Bad Großpertholz war der Wolf drei Mal in diesem Sommer und hat neun Schafe gerissen. Nach dem dritten Mal war für Johann Prinz klar: Unter diesen Bedingungen muss er die Schafhaltung aufgeben.

Seit 35 Jahren haben die Prinzs Schafe gehalten, wenn auch nur zur "Landschaftspflege". Auf ihrem Grund gibt es einige Wiesen in steilem Gelände, die sich mit Maschinen nicht mähen lassen. Dort kamen die Schafe zum Einsatz, 25 bis 30 Stück waren es zuletzt. Drei verbliebene stehen noch im Stall. Dass sie ihre kleine Herde jetzt aufgeben müssen, ist für das Ehepaar nicht existenzbedrohend. "Aber es ist etwas Anderes, ob man freiwillig aufhört oder ob man dazu gezwungen ist", sagt Marianne Prinz.

Bei den Prinzs hatte der Wolf leichtes Spiel: Die Schafe waren nur durch einen normalen, nicht elektrischen Maschenzaun gesichert. Beim Thema Herdenschutz haben die Waldviertler Bauern jedoch Bedenken. Der Grund: "Die Schafwirtschaft im Waldviertel ist vorwiegend kleinteilig, da zahlen sich Herdenschutzhunde beim besten Willen nicht aus", sagt Markus Wandl von der Landwirtschaftskammer. Die Hunde sind teuer und brauchen viel Aufmerksamkeit. Bei Wolfschutzzäunen bestehe im Waldviertel das Problem, dass die Granitböden es unmöglich machen würden, ordentliche Zäune aufzustellen. "Da hast du es schon bei einem normalen Zaun schwer, weil du nach 20 Zentimetern auf Fels stößt", sagt Marianne Prinz.

Wandl ist besorgt, dass durch den Wolf die Waldviertler Kulturlandschaft verwildern könnte. "Wenn man hier keine Schafe mehr halten kann, dann werden die Wiesen alle verbuschen", sagt Wandl. Im Moment sperren die Bauern ihre Schafe auch tagsüber ein. Da sie ihre Produkte aber als Bio-Produkte verkaufen wollen, brauchen die Tiere den Auslauf. "Wir müssen uns entscheiden, wollen wir Bio oder wollen wir den Wolf", sagt Wandl.

Das Argument, dass der Wolf zur natürlichen Artenvielfalt in Österreich gehört, will Johann Prinz nicht gelten lassen. "Es kann doch nicht sein, dass hier eine Tierrasse für eine andere geopfert wird", sagt er. Mit ihren Sorgen fühlen sich Herr und Frau Prinz von der Politik nicht ernstgenommen und schon gar nicht von Wolfsbefürwortern: "Die kommen aus Wien und haben eine romantische Vorstellung vom Wolf. Der Wolf ist aber nicht scheu, wie man es ihm nachsagt", sagt Johann Prinz.

Die Bürgermeister von Bad Großpertholz und Langschlag sowie die Landwirtschaftskammer haben gemeinsam eine Petition für strengere Maßnahmen gegen den Wolf gestartet. "Die Wölfe schaffen Räume der Angst", heißt es darin. 26.000 Unterschriften wurden bereits gesammelt. Markus Wandl hält folglich auch die neue Verordnung für einen Schritt in die richtige Richtung.

Sorge ums Schwammerlsuchen

Für Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, geht sie dagegen in die falsche: "Sie entspricht nicht dem Wolfsmanagementplan, der gemeinsam mit NGOs ausgearbeitet wurde", sagt er. Der Wolfsmanagementplan wurde 2012 von Wildtierexperten in Abstimmung mit Jägern, Nutztierhaltern und Naturschutzorganisationen als bundesländerübergreifende Strategie zum Umgang mit dem Wolf ausgearbeitet. Darin ist der Abschuss als allerletzte Maßnahme vorgesehen. Erst wenn entsprechende andere Mittel, wie Herdenschutzhunde und elektrische Wolfszäune nicht ausreichen, soll es dazu kommen.

Mit seiner Kritik an der neuen Verordnung ist Balluch nicht allein. Auch andere Naturschutzorganisationen wie der WWF kritisieren sie als "Schnellschussmaßnahme". Die Verordnung sei ein Freibrief zum Abschuss von Wölfen und untergrabe den EU-rechtlichen Schutz, heißt es vonseiten des WWF.

Dass Schafe gerissen werden, wo Wölfe leben, lasse sich nicht gänzlich vermeiden, sagt Martin Balluch. "Wenn man in andere Gegenden schaut, wo der Wolf zuhause ist, sieht man, dass Nutztiere nur circa ein Prozent der Nahrung von Wölfen ausmachen. Es sterben mehr Schafe im Jahr durch Unwetter als durch den Wolf", sagt Balluch. Man müsse den Wolf - und damit auch dessen Risse - als Teil der Natur sehen.

Um das Zusammenleben möglichst friedlich zu gestalten, empfehlen Tierschützer sachliche Information der Bevölkerung und konsequenten, staatlich geförderten Herdenschutz. Bisher werden zwar gerissene Schafe finanziell ersetzt, aber der Herdenschutz wird den Tierhaltern nicht finanziert.

Das Argument, dass man im Waldviertel keine Zäune aufstellen kann, will Balluch nicht gelten lassen. Die empfohlenen elektrischen Zäune wären sehr leicht aufzustellen, mobil und effektiv. Durch einen elektrischen Schock würden die Wölfe lernen, "dass Schafe wehtun", erklärt Balluch. Kein Wolf gehe dann mehr in die Nähe eines solchen Zauns.

Im Waldviertel scheint man sich aber nicht nur um die Sicherheit von Tieren zu sorgen. "Bei mir melden sich Eltern, die sich um den Schulweg ihrer Kinder sorgen", sagt der Bürgermeister von Bad Großpertholz, Klaus Tannhäuser. Man hätte auch in diesem Jahr schon gemerkt, dass weniger Menschen zum Schwammerlsuchen in die Gegend kommen und auch manche Tourismusbetriebe hätten sich schon mit Sorgen bei ihm gemeldet, sagt Tannhäuser. Eine Studie im Auftrag des Vereins "Kuratorium Wald" ergab, dass 69 Prozent der befragten 1000 Österreicher negative Folgen des Wolfes auf die Landwirtschaft erwarten. Ein Drittel sorgt sich auch um ihre Sicherheit im Wald.

Eine Gefahr für den Menschen sieht Wolfsexperte der niederösterreichischen Landesregierung Georg Rauer nicht gegeben, auch wenn man sie nicht zu hundert Prozent ausschließen kann.

"Wir sehen uns als Mahner"

Die Jäger in Bad Großpertholz erwarten durch die neue Verordnung keine konkrete Veränderung des Wolfproblems. "Es wird in nächster Zeit in Niederösterreich sicher kein Wolf geschossen werden", sagt Kurt Hofer, ein Jagdpächter aus Bad Großpertholz. Das liege an dem Behördenweg der einzuhalten ist, bevor es überhaupt zu einem Abschuss kommen kann, sagt Hofer. Erst einmal müsse das problematische Verhalten des Wolfes dokumentiert und nachgewiesen werden, dann müsse ein Antrag gestellt werden und dann die Bezirksverwaltungsbehörde einen Bescheid ausstellen.

Auch Sylvia Scherhaufer, Geschäftsführerin des niederösterreichischen Jagdverbandes, glaubt nicht, dass in nächster Zeit ein Wolf geschossen wird. Die neue Verordnung findet sie durchaus gelungen. "Wir Jäger warten nicht darauf, einen Wolf zu schießen. Wir sehen uns aber als kritische Mahner. Es werden durch den Wolf gewaltige Umwälzungen unseres Ökosystems auf uns zukommen, die manche vielleicht unterschätzen", sagt Scherhaufer.