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Vom heißen Leben der Sterne

Von Christian Pinter

Wissen
Bizarre Gasfetzen als Partezettel – das blieb von einer Supernova in der Großen Magellanschen Wolke. 
© Esa/Nasa

Die mächtigen verzehren sich rasch, die schmächtigen leuchten scheinbar ewig.


Tausende dünne Wolken drehen sich gemächlich ums Zentrum unserer Milchstraße. Die ausgedehnten, eiskalten Gebilde bestehen fast zur Gänze aus molekularem Wasserstoff und Helium. In Prisen sind weitere Elemente eingestreut, die allesamt aus älteren Sternen stammen.

Ist genug Masse angespart, stürzt eine solche Molekülwolke in sich zusammen. Sie zerfällt dabei in Hundertschaften rundlicher Globulen, die unterschiedlich viel Material aufgesammelt haben. Im Zentrum jeder Globule verdichtet sich die Materie zu einem Gasball. Auf ihn stürzt laufend weiteres Gas ein. Der künftige Stern – in diesem Stadium noch "Protostern" genannt – wächst in seiner Globule heran wie ein Embryo in der Gebärmutter. Im Herz eines solchen Sternembryos steigen Druck und Temperatur immer mehr an, bis endlich die Kernfusion startet. Sie setzt fortan Energie en gros frei. Ein Stern ist geboren. In unserer Milchstraße passiert dies fast Monat für Monat.

Im Kern des Sterns prallen Atome mit unbeschreiblicher Wucht zusammen. Aus jeweils vier Wasserstoffatomen entsteht dabei ein Heliumatom. In unserer Sonne verwandeln sich – bei 15 Millionen Grad Celsius – in jeder Sekunde 564 Millionen Tonnen Wasserstoff in Helium. Die dabei frei werdende, nach außen dringende Energie stellt sich der schweren Last der Sternhülle entgegen. Nur deshalb bricht der Stern nicht unter seinem eigenen Gewicht zusammen.

Rote Zerge leben am längsten

Anfangs stehen die frisch geborenen Sonnen noch nahe beisammen, bilden einen Offenen Sternhaufen. Dann verlieren sie sich langsam aus den Augen. Ihr Schicksal wurde schon festgeschrieben, als sie noch in ihren Globulen steckten: Ihr jeweiliges Startgewicht bestimmt das Tempo der Geburt, das erreichbare Alter und die Art ihres Todes.

Am längsten existieren die Roten Zwerge. Diese mit Abstand häufigsten Sterne lauern überall, selbst in unserer Nachbarschaft. Sie sind schwer auszumachen. Da sie bloß 8 bis 50 Prozent der Sonnenmasse mitbekommen haben, geizen sie mit ihrem Licht. Die bescheidene Masse verringert den Druck aufs Sternzentrum, verlangsamt die Kernfusion. Der Kümmerling Proxima Centauri verfügt zum Beispiel bloß über ein Siebentel der Sonnenmasse. Obwohl er 4,2 Lichtjahre entfernt und damit der allernächste Fixstern ist, zeigt er sich bloß im Fernrohr. Proximas Oberfläche ist mit 2800 Grad Celsius vergleichbar "kühl": Selbst der Faden einer Glühbirne kann heißer sein. Auf dem Antlitz unserer Sonne beträgt die Temperatur dagegen 5500 Grad. Sie strahlt 20.000 mal mehr Licht ins All als Proxima Centauri.

In Roten Zwergen mit weniger als einem Drittel der Sonnenmasse brodelt es wie in einem Kochtopf: Heiße Materie steigt auf, kühle sinkt ab. So können diese Winzlinge den zentralen Fusionsreaktor fortwährend mit Wasserstoff aus der Hülle versorgen und ihren gesamten Treibstoffvorrat nützen. Seit das Universum existiert, sollte noch kein einziger dieser Sparmeister verloschen sein. Rote Zwerge werden noch glühen, wenn alle anderen Sonnen längst Geschichte sind.

Wie eine Erbse, die zum Tennisball anschwillt

Einen anderen Weg schlagen sonnenähnliche Sterne mit einem Drittel bis acht Sonnenmassen ein. Denn hier ist der Druck aufs Sternzentrum deutlich größer. Deshalb muss dort mehr Energie erzeugt werden, um die Hülle ja nicht einbrechen zu lassen. Der Treibstoff erschöpft sich entsprechend rasch. Das im Kern angesammelte Helium verschmilzt dort weiter zu Kohlenstoff; Sauerstoff entsteht ebenfalls. Dank der hohen Zentraltemperatur setzt das Wasserstoffbrennen jetzt außerdem in einer kernnahen Hüllenschicht ein. Der Stern hat einen zweiten Reaktor hochgefahren. Es ist, als würde eine Erbse auf die Größe eines Tennisballs anschwellen: Die stark gestiegene Strahlung treibt die Gashülle gigantisch auseinander. Deshalb sendet der Stern nun mehr Licht aus als zuvor – obwohl sein Antlitz beim Expandieren auf 3000 Grad abgekühlt ist. Er ist zum weithin sichtbaren Roten Riesen mutiert. Unsere Sonne wird dieses Stadium im Alter von elf Milliarden Jahren durchlaufen und dann bis zur heutigen Erdbahn reichen.

Oft beginnt ein alternder Stern ein wenig zu pulsieren und seine Leuchtkraft rhythmisch zu verändern. Seine äußersten Gasschichten sind dünn und spüren die Schwerkraft kaum. Der Sternwind bläst sie weg. Immer mehr Hüllengas wird abgeworfen. Es formt konzentrische Kugelschalen um den sterbenden Stern und bildet so einen "Planetarischen Nebel" – ein alter, höchst unglücklicher Begriff.

In der Mitte dieses Nebels ruht nun ein Weißer Zwerg. Das ist der freigelegte Kern des einstigen Roten Riesen. Fusionsprozesse spielen sich darin nicht mehr ab; stattdessen kühlt die anfangs noch zigtausende Grad heiße Oberfläche im Lauf der nächsten Jahrmilliarden aus. Die kugelförmige "Leiche" aus Kohlenstoff und Sauerstoff ist kaum größer als die Erde. Dennoch drängt sich dort noch gut eine halbe Sonnenmasse zusammen. Jeder Fingerhut davon wäre auf Erden schwer wie ein Kleinlastwagen. 

Mitunter kehrt ein Weißer Zwerg noch einmal kurz ins Leben zurück. Und zwar dann, wenn er in allzu intimem Abstand um einen Roten Riesen kreist. Dann stiehlt er dem Hünen etwas Hüllengas und hortet es auf seinem eigenen, ultraheißen Zwergenantlitz. Ist genug Diebesgut beisammen, verschmilzt der geraubte Wasserstoff plötzlich zu Helium. Die oberflächliche Kernfusion lässt den Gnom ein paar Wochen lang kräftig aufleuchten: Eine Nova erstrahlt.

Besonders dichte Globulen gebären außerordentlich schwere Sternbabys: Diese Blauen Riesen besitzen oft dutzendmal mehr Masse als unsere Sonne. Ihr Dasein wird nicht in Jahrmilliarden, sondern in Jahrmillionen gemessen – und das nicht trotz, sondern gerade wegen der enormen Masse! Um dem sofortigen Kollaps zu entgehen, muss ihr Kern unvergleichlich viel Strahlung freisetzen. Entsprechend verschwenderisch gehen diese Heißsporne mit ihren Ressourcen um.

Das ist wahrlich Raubbau: Nur achtmal mehr Masse, und schon strahlt ein Blauer Riese mit der 1500-fachen Leuchtkraft unserer Sonne. Er brennt aber auch 180 mal schneller aus. Bei 30-facher Masse ist bereits nach zwei Millionen Jahren Schluss mit der Wasserstofffusion.

Der extremen Energieproduktion wegen hat sich die Oberfläche des Blauen Riesen auf bis zu 30.000 Grad Celsius aufgeheizt. Die wahnwitzigen Kerntemperaturen lassen zunehmend fernere Schichten der Sternhülle zünden: Dort wiederholen sich nach und nach jene Fusionsprozesse, die zuvor nur im Aller-innersten abliefen. Im Zentrum werden derweil Elemente wie Neon oder Silizium geschmiedet. Doch beim Eisen reißt die Kette ab. Es kommt zur ultimativen Energiekrise. Das "Gebälk" über dem Eisenkern bricht ein. Der ungeheure Druck vereint Elektronen und Protonen zu Neutronen.

Totenbuch des Universums

Riesensterne ab acht Sonnenmassen tragen sich somit höchst furios ins Totenbuch des Universums ein. Sie enden in einer gigantischen Supernova-Explosion. Im Feuerball entstehen weitere Elemente wie Kupfer, Gold oder Uran. Die Flut abgestrahlter Neutrinos zerreißt die Sternhülle. Deren Materie rast mit bis zu einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit davon. Bald bildet sie einen viele Lichtjahre weiten Supernovaüberrest.

Die expandierenden Gasfetzen legen noch zehntausende Jahre lang Zeugnis ab von der Katastrophe. An deren Schauplatz bleibt ein extrem verdichteter Neutronenstern zurück: In der rasch rotierenden Kugel mit dem Radius einer irdischen Großstadt ist mehr als eine ganze Sonnenmasse vereint. Auf Erden würde jeder Fingerhut dieser Materie die gesamte Menschheit aufwiegen!

Sternwind, abgestoßene Sternhüllen, Supernova-Explosionen: Sie alle würzen die eingangs erwähnten Molekülwolken mit weiteren schweren Elementen. Ein Teil dieses Elementenschatzes geht später in neuen Sonnen auf, ein Teil in Planeten. Welten wie unsere Erde würden sonst gar nicht existieren. Auch der Sauerstoff in unserer Luft, der Kohlenstoff in unseren Körperzellen oder das Eisen in unserem Blut sind Produkte kosmischen Recyclings. Ohne Leben und Tod vorangegangener Sterngenerationen gäbe es uns nicht.