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Mehr Stress, weniger Gesang

Von Kerstin Viering

Wissen
Den mit Schwermetallen kontaminierten Nonnengänsen macht Stress zu schaffen.
© Adobe Stock/haiderose

Umweltschadstoffe können das Verhalten von Tieren verändern.


Berlin. Lauernde Feinde, ungemütliche Temperaturen, pfeifende Stürme: Wer in der Arktis lebt, muss gut mit Stress umgehen können. Doch für einige Bewohner dieser kargen Lebensräume scheint das heutzutage schwieriger zu sein als früher. Denn auch im hohen Norden hat der Mensch inzwischen jede Menge Schwermetalle hinterlassen. Die aber verändern einer neuen Studie zufolge das Verhalten und die Stressresistenz von jungen Nonnengänsen. Und auch etliche andere Tiere in den verschiedensten Lebensräumen rund um die Welt reagieren unter dem Einfluss von Schadstoffen nicht mehr so wie sonst. Das könnte langfristige Folgen für die Populationen haben.

Das Problem, mit dem die untersuchten Gänse zu kämpfen haben, ist schon mehr als 50 Jahre alt. Auf der nördlich von Norwegen gelegenen Insel Spitzbergen ist 1962 eine Kohlemine implodiert. Vor Ort wurden die dabei freigesetzten Schadstoffe zwar beseitigt, das Gelände der längst verlassenen Mine aber ist noch immer mit Schwermetallen belastet. Und die nehmen die ortsansässigen Gänse beim Fressen auf.

Gute Stressreaktion

Ein Team um Isabella Scheiber von der Universität Wien und Brigitte Schlögl von der Universität Leipzig hat nun die Folgen untersucht. Dazu haben sie von unbelasteten Inseln 16 Eier von Nonnengänsen eingesammelt, von denen jeweils zwei aus demselben Nest stammten. Die Küken haben sie aufgezogen und etwa drei Wochen lang zu unterschiedlichen Futterplätzen geführt. Die eine Hälfte der Vögel graste auf dem ehemaligen Minengelände, die dazu gehörenden Geschwister auf nicht kontaminierten Flächen. In darauffolgenden Stresstests wurden sie zum Beispiel einzeln oder in Gruppen vom Rest ihrer Artgenossen getrennt - eine Situation, die diese sehr sozialen Tiere überhaupt nicht schätzen.

Kontaminierten Junggänsen machte das offenbar besonders stark zu schaffen. Sie waren unruhiger als ihre Geschwister, sahen sich häufiger um und bewegten sich mehr. In ihrem Kot fanden sich zudem höhere Konzentrationen von Stresshormonen. Unbelastete Vögel reagierten dagegen entweder von Anfang an entspannter oder beruhigten sich im Laufe des Versuchs schneller.

Dieser Unterschied kann sich durchaus auf die Zukunftschancen der Tiere auswirken. Denn eine angemessene Stressreaktion ist lebenswichtig. Wer etwa von einem Feind angegriffen wird, sollte möglichst schnell die sogenannte Stress-Achse aktivieren. Das sollte aber nur passieren, wenn es auch wirklich nötig ist. Denn sobald die Stressreaktionen chronisch werden, treten ihre Nachteile in den Vordergrund. So könnte die Schwermetallbelastung dazu führen, dass die nervösen jungen Gänse ihre Zeit und Energie mit überflüssigen Fluchtversuchen verschwenden und sich dabei auch noch von den Eltern entfernen, so dass diese sie nicht mehr schützen können. "Es bleibt zu untersuchen, welche Auswirkungen die frühe Aufnahme der Schadstoffe langfristig auf den Reproduktionserfolg und das Überleben hat", sagt Schlögl.

Verändertes Brutpflegeverhalten

Auch in anderen Teilen der Welt haben Forscher schon Fälle dokumentiert, in denen Schadstoffe das Hormonsystem und damit auch das Verhalten von Tieren beeinflusst haben. Als 1998 in der Zink- und Bleimine Los Frailes im Südwesten Spaniens ein Damm brach, ergoss sich giftiger Abraumschlamm in den nahegelegenen Fluss Río Agrio, belastete riesige Ackerflächen und bedrohte den Nationalpark Coto de Doñana. Ein Team um Raquel Baos von der biologischen Forschungsstation Estación Biológica de Doñana hat anschließend untersucht, welche Folgen die dadurch entstandene Schwermetallbelastung für die Weißstörche der Region hatte. Je mehr Blei sie im Körper hatten, umso höhere Konzentrationen des Stresshormons Corticosteron fanden sich in ihrem Blut.

Eine Studie an Dreizehenmöwen in der Arktis hat zudem gezeigt, dass Schwermetalle nicht nur die Stressreaktion verändern können. Männchen mit viel Quecksilber im Körper schütteten auch geringere Mengen des Hormons Prolaktin aus, das etwa das Brutpflegeverhalten beeinflusst. Sie brachten weniger Küken durch als unbelastete Artgenossen.

Außer Schwermetallen gibt es noch etliche andere Schadstoffe, die zu Verhaltensstörungen in der Tierwelt führen können. Die Palette reicht dabei von Pilzbekämpfungsmitteln aus der Landwirtschaft bis zu Hormonen aus der Pharmaindustrie. Letztere können massiv dazwischen funken, wenn Froschmännchen mit ihren Balzrufen um Partnerinnen werben. "Man weiß schon länger, dass männliche Geschlechtshormone im Wasser die Tiere zu stimmlichen Höchstleistungen anregen", sagt Werner Kloas vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Die interessantere Frage war allerdings, was die weiblichen Pendants dieser Substanzen bewirken. Schließlich finden sich in vielen Gewässern Östrogene aus Anti-Baby-Pillen.

Bei Südamerikanischen Krallenfröschen erlebten die Forscher eine Überraschung. Die Männchen dieser Art haben drei verschiedene Rufe, um beim anderen Geschlecht Eindruck zu schinden. Doch unter dem Einfluss von Östrogenen verändern sich ihre Balzrufe. Und das kommt bei den Adressatinnen gar nicht gut an. Die Männchen sind damit nicht mehr attraktiv genug für die Paarung. Ähnliche Effekte könnte es auch bei den Fröschen hierzulande geben, befürchten die Forscher. Zumal die quakenden Casanovas unter Östrogeneinfluss auch noch die Lust auf Sex verlieren.

Östrogene fördern Änderungen

Für ein solches Fortpflanzungs-Desaster muss das Wasser nicht einmal besonders hohe Hormon-Konzentrationen enthalten. Schon ab 0,3 Milliardstel Gramm Östrogen pro Liter verändern die Krallenfrösche ihre Stimme. Solche Konzentrationen aber kommen in Gewässern schon vor. Das Wasser, das aus Kläranlagen in die Flüsse strömt, kann pro Liter schließlich bis zu 40 Milliardstel Gramm dieser Substanzen enthalten. "Verhaltensänderungen sind also ein extrem sensibler Indikator für hormonelle Umweltbelastungen", sagt Kloas. Wie ein Frühwarnsystem schlagen sie schon bei Konzentrationen an, die bei den betroffenen Tieren noch längst keine körperlichen Veränderungen nach sich ziehen. Man muss nur genau hinschauen. Oder einem Froschkonzert zuhören.