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Die Zutaten des Lebens

Von Alexandra Grass

Wissen
© Adobe Stock/Cyb Addison

Die UNO kürt 2019 zum Jahr des Periodensystems und will damit die Chemie ins rechte Licht rücken.


Wien. Ob Sonne oder Erde, Mensch oder Regenwurm, Mammutbaum oder Alge, Flugzeug oder Skateboard - was alles eint, sind die Zutaten des Lebens. Protonen und Elektronen sind die Kernbausteine der insgesamt 118 Ingredienzien, die den Kosmos und alles um uns herum formen - und aus denen eben auch der Mensch formt. Niedergeschrieben und geordnet sind diese Elemente im Periodensystem, das Wissenschaftern als Grundlage ihrer Arbeit dient, Schüler ob seiner scheinbar nahezu unüberschaubaren Komplexität hingegen regelmäßig an den Rand der Verzweiflung bringt. Die Vereinten Nationen (UNO) stellen diese umfassende Sortierung nun ins Rampenlicht. 2019 wurde zum Internationalen Jahr der Periodentafel der chemischen Elemente ausgerufen. Damit soll vor allem das gängige Negativimage des Faches Chemie abgeschüttelt werden.

"Die Periodentafel, die wir heute verwenden, sieht aus, als hätte ein Schimpanse beim Spielen mit dem Staubsauger eine Computertastatur aufgesaugt und anschließend versucht, sie mit Knetmasse wieder zusammenzukleben", schreibt der US-amerikanische Chemiker, Science-YouTuber, Highschool-Lehrer und Autor Tim James in seinem Buch "Elementar - wie das Periodensystem (beinahe) die ganze Welt erklärt" (Verlag ecowin). Bei genauerer Betrachtung steckt dennoch Ordnung dahinter. Um sich Durchblick zu verschaffen, braucht es jedoch Geduld.

92 Elemente in der Natur

Vom Wasserstoff (Ordnungszahl 1) bis hin zum Edelgas Oganesson (Ordnungszahl 118) umfasst das Periodensystem besagte 118 Elemente. Diese sind nach der Anzahl ihrer positiven Teilchen (Protonen) im Atomkern durchnummeriert. Die Elemente sind in 18 Gruppen (senkrechte Spalten) und sieben Perioden (waagrechte Zeilen) angeordnet. Die Mitglieder einer Gruppe haben alle gleich viele negativ geladene Teilchen (Elektronen) in ihrer äußersten Elektronenschale (Orbital) und somit ähnliche chemische Eigenschaften. Man denke etwa an Chlor, Brom und Iod, die sich in einer Gruppe befinden. Alle drei Stoffe kommen in unterschiedlichsten Bereichen als Desinfektionsmittel zum Einsatz - Chlor etwa im Trinkwasser und genauso wie Brom auch in Swimmingpools, Iod für Wunden und Trinkwasser. Die Elemente einer Periode, von denen es insgesamt sieben gibt, haben wiederum alle gleich viele Orbitale. 92 Elemente kommen in der Natur vor, womit noch 26 Felder für synthetische Elemente bleiben. Elemente dazwischen - etwa 1,5 oder 21,5 - kann es übrigens nicht geben, weil so etwas wie ein halbes Proton einfach nicht existiert.

Wie alles begann: Den Anfang bilden ein Proton und ein Elektron. Gemeinsam ergeben sie den Wasserstoff, das erste Element auf unserer Zutatenliste. Es ist das leichteste Element, leichter als Luft. Wasserstoff bildet rund 90 Prozent der Atome des Universums. Ein Proton mehr führt uns zur Nummer zwei - Helium. Es ist das zweitleichteste Gas und lässt Luftballone in den Himmel steigen. Nach dem Wasserstoff ist Helium das zweithäufigste Element im Universum. Es entstand unmittelbar nach dem Urknall und blieb die einzige Zutat, die im Weltall entdeckt wurde, bevor es auf der Erde nachgewiesen werden konnte. Noch ein Proton mehr und man gelangt zu Lithium - ein Leichtmetall, das sich in modernen Akkus wiederfindet. In der Medizin kommen seine Salze bei Depressionen oder bipolaren Störungen zum Einsatz. An Lithium reihen sich Beryllium, Bor, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Fluor, Neon...

Die Arbeit Mendelejews

Vor 150 Jahren hatte der russische Chemiker Dmitri Mendelejew (1834 bis 1907) einen systematischen Zusammenhang zwischen Atommasse und chemischen Eigenschaften der Elemente entdeckt und damit dieses Periodensystem geschaffen. Er ordnete die Elemente nach wachsender Atommasse. Dabei blieben allerdings Lücken. Etwa auf Platz 32, 61 und 72. Seinem Gesetz der steigenden Masse zufolge musste es da draußen noch Elemente geben, die den fehlenden Werten entsprachen. Und tatsächlich sollten schließlich Germanium (ein sprödes Halbmetall für Transistoren oder Fotozellen), Promethium (ein Metall der Seltenen Erden) und Hafnium (ein korrosionsbeständiges Metall, das vor allem in der Kerntechnik zum Einsatz kommt) entdeckt werden und diese freien Felder im Periodensystem einnehmen.

Mendelejew bezeichnete die Harmonielehre des griechischen Philosophen Pythagoras als eines seiner Vorbilder zum Aufbau dieser Zutatenliste des Lebens. Für viele ist diese Harmonie allerdings nicht ersichtlich. "Die Periodentafel hat eine sonderbare Form", gesteht James in seinem Buch. "Sie ist eigenartig, weil die Natur eigenartig ist."

"Die Vielfältigkeit der periodischen Tafel ist immer wieder so etwas wie ein Wunder", betont wiederum Nuno Maulide, Chemiker an der Universität Wien und Österreichs Wissenschafter des Jahres 2018, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Und die Tafel wächst

Und sie wächst: Das jüngste Element im Periodensystem ist Tenness mit der Ordnungszahl 117 - ein künstlich erzeugtes Halogen, das sich zu Chlor, Brom und Iod gruppiert. Es wurde 2010 erstmals nachgewiesen und vollendete damit die Auflistung, wie wir sie heute kennen. Wie auch die umliegenden Elemente ist es instabil und zerfällt nach der Herstellung innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde. Für alle weiteren Elemente, die noch entdeckt werden, müsste eine zusätzliche Reihe am Ende des Periodensystems eingeführt werden, erklärt Maulide.

Manche Wissenschafter behaupten sogar, es könnte eine achte, neunte, zehnte, vielleicht sogar elfte Periode folgen. Der Entwicklung seien keine Grenzen gesetzt. "Wir wissen noch nicht genug über den Atomkern, um es mit Sicherheit sagen zu können. Also besteht die vernünftigste Lösung darin, es weiter zu versuchen. Genau darum geht es ja in der Wissenschaft: Wir wollen herausfinden, was möglich ist", schreibt Tim James.

Die UNO wiederum will in diesem Jahr darauf aufmerksam machen, "dass die Chemie nachhaltige Entwicklungen fördert und globale Lösungen für die künftigen Herausforderungen auf den Gebieten der Energie, Landwirtschaft, Gesundheit und anderer kritischer Bereiche bereitstellt", wie auf der Homepage zu lesen ist. Damit soll die Chemie ins rechte Licht gerückt werden.

Das ist auch das Anliegen von Nuno Maulide: "Dass das Wort Chemikalie ein schlechtes Wort ist, finde ich tragisch", betont er. Es sollte den Menschen bewusst gemacht werden, dass alles um uns herum Chemie ist. Unser Leben besteht aus chemischen Vorgängen.

"Viele glauben, dass Chemikalien Giftstoffe sind, die von verrückten Wissenschaftern im Labor erzeugt werden. Diese Vorstellung ist natürlich abwegig. Nicht nur die Flüssigkeiten, die in den Reagenzgläsern blubbern, sind Chemikalien: Auch die Reagenzgläser selbst", stößt James in seinem Buch ins selbe Horn. "Die Kleidung, die Sie tragen, die Luft, die Sie atmen, und die Seite, die sie gerade lesen, bestehen allesamt aus Chemikalien. Wenn Sie keine Chemikalien in Ihren Lebensmitteln wollen, muss ich Ihnen leider sagen, dass es ohne Chemikalien keine Nahrung für Sie geben wird." Alle Zutaten des Lebens sind Chemikalien. 118 an der Zahl.