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Treffen mit einem alten Bekannten

Von Ralf Nestler

Wissen

Astronom Heino Falcke über das erste Bild eines Schwarzen Lochs und warum die Beobachtung gefährlich sein kann.


Berlin. Es ist ein Bild für die Geschichtsbücher. Am 10. April hat ein internationales Forscherteam das erste Foto eines Schwarzen Lochs veröffentlicht: 55 Millionen Lichtjahre entfernt in der Galaxie M 87. Streng genommen wurde nicht das Schwarze Loch abgebildet, schließlich kann weder Licht noch irgendetwas anderes von dort entkommen. Vielmehr wurde der Umriss aufgenommen, bestehend aus schnell rotierender und hell strahlender Materie. Und mittendrin: der Schatten des Schwarzen Lochs. Möglich wurde die Aufnahme, indem acht Radioteleskope die gleiche Himmelsregion untersucht haben und die Signale in Computern miteinander verknüpft wurden. Insgesamt waren an dem Konsortium "Event Horizon Telescope" gut 200 Fachleute beteiligt. Einer der führenden Köpfe und Ideengeber für das Unternehmen ist Heino Falcke.

"Wiener Zeitung": Was fasziniert Sie an Schwarzen Löchern?

Heino Falcke: Das ist eine Welt, die so völlig anders ist als unsere. Licht geht dort nicht geradeaus, sondern im Kreis herum. Wenn ich an einer bestimmten Stelle am Schwarzen Loch bin und nach vorn blicke, sehe ich meinen Rücken. Schaue ich von außen, sehe ich, dass die Zeit langsamer läuft. Wenn ich einen Zwillingsbruder in die Nähe des Schwarzen Lochs schicke und er kommt zurück, dann ist er noch jung und ich ein alter Opa. Es sind unglaublich extreme Objekte, wo alles Gas, das in der Umgebung herumfliegt, nahezu mit Lichtgeschwindigkeit umhergewirbelt wird, es herrschen wahnsinnige Temperaturen von vielen Milliarden Grad.

Solange es nicht hinter den Ereignishorizont stürzt.

Genau, was dahinter verschwindet, ist für immer weg. Er hat etwas Mystisches an sich, ein Ort, wo Zeit und Raum, wie wir sie kennen, aufhören. Und wo auch die Physik, wie wir sie kennen, verrückt spielt. Das Verrückte ist: Man kann da hineinfallen, man kann es überleben und dort messen - aber man kann niemandem erzählen, was man dort erlebt hat.

Was war das für ein Gefühl, als Sie zum ersten Mal das Bild sahen - etwas, das kaum ein anderer Mensch zuvor gesehen hatte?

Es war erschütternd. Wir hatten das Aussehen vorab simuliert und ich hatte das Gefühl, das irgendwie schon zu kennen. Es war wie jemand, auf den man lange gewartet hat und wie man ihn sich in den schönsten Träumen vorgestellt hat.

Wir sind verwöhnt mit tollen Artworks von Schwarzen Löchern in Filmen und Magazinen. Dagegen ist das Bild von M 87 ein bisschen verwaschen. Kann es trotzdem zu einer Ikone werden wie etwa "blue marble", das Bild der Erde aus Perspektive von Apollo 17, aufgenommen im Jahr 1972?

Nach den Reaktionen, die ich mitbekommen habe, denke ich das schon. Es ist überall im Internet, in den sozialen Medien, Google hat es als Doodle auf die Startseite gesetzt. Natürlich ist es verwaschen, aber es ist echt. Ich denke, Menschen sehnen sich nach Echtheit und nicht nach den Hochglanzsimulationen. Die sind schön, aber dieses Bild, das hat einfach was.

Welche Informationen können Sie und Ihre Kollegen herauslesen?

Wir können die Größe des Ereignishorizonts ermitteln, das sind rund 36 Milliarden Kilometer im Durchmesser, und daraus die Masse des Schwarzen Lochs, die rund 6,5 Milliarden Mal so groß ist wie die der Sonne. Der Schatten ist relativ zirkulär, das hat mit der No-Hair-Theorie zu tun. Keine Haare heißt, es gibt nicht viele weitere Parameter. Schwarze Löcher sind also relativ einfach, sie werden durch ihre Masse und ihren Spin, die Rotation, beschrieben. Mehr brauchen wir nicht.

Es ähnelt sehr den Simulationen, die auf Basis der Allgemeinen Relativitätstheorie gemacht wurden. Sie wurde also abermals bestätigt. Ein Grund zur Freude oder wurde anderes erhofft?

Man muss erst mal auf sicherem Boden stehen. Wenn da ein Smiley zu sehen gewesen wäre, hätten wir uns am Kopf gekratzt und gefragt: Was ist das denn? Insofern macht es das Leben einfacher, wenn das erste Bild erwartbar aussieht. Aber ich hoffe, dass wir mit weiteren Analysen beziehungsweise Beobachtungen doch noch kleine Abweichungen finden.

Warum?

Am Ereignishorizont kollidieren große Theorien unserer Welt, die Makrotheorie von Raum und Zeit und die Quantentheorie. Die beiden konnten bisher nicht zusammengeführt werden. Ich bin mir sicher, gerade dort, wo extreme Bedingungen herrschen, wird mindestens eine der beiden einige Grundsätze aufgeben müssen.

Wann wird die nächste Messkampagne sein, was werden Sie anschauen?

Wir müssen zunächst neue Anträge schreiben, damit wir Messzeit bekommen. Wenn das gelingt, werden wir im nächsten Jahr wieder beobachten - erneut die Riesengalaxie M 87 und Saggitarius A*, das Zentrum unserer Milchstraße. Für M 87 haben wir zum Glück jetzt mehr Teleskope. Noema in Frankreich kommt dazu und das Grönland-Teleskop, damit werden wir deutlich bessere Bilder machen können. Hoffentlich können wir den Spin eingrenzen, das gelang bislang nicht. Und wir erwarten mehr Informationen über die magnetischen Felder in der Umgebung. Ich mache mir aber Sorgen, ob wir das Teleskop in Mexiko wieder nutzen können.

Sie meinen das Large Millimeter Telescope im Bundesstaat Puebla. Was ist passiert?

Es gibt dort Probleme mit Kriminalität. In der Nähe des Teleskops verlaufen Pipelines, die von den Drogenkartellen angezapft werden. Im vergangen Jahr haben wir die Beobachtungen abgebrochen, nachdem einer meiner Studenten auf dem Weg zum Teleskop mit Maschinengewehren bedroht worden war. Es waren wohl keine Angehörigen eines Kartells, sondern der Geheimdienst, der auf der Suche nach Verbrechern war.

Das klingt dramatisch, wie geht es Ihrem Kollegen?

Er hat das gut verkraftet. Es ist aber klar, dass wir keinesfalls in die Schusslinie geraten möchten. Solange es gefährlich ist, werden wir nicht damit beobachten.

Kommen noch Teleskope auf der Südhalbkugel dazu?

Die brauchen wir besonders, um das Zentrum unserer Galaxie zu beobachten. Wir versuchen, ein schwedisch-europäisches Teleskop (SEST), das derzeit in Chile steht, nach Namibia zu bringen. Das wäre ideal, um unser Beobachtungsprogramm um einen Standort in Afrika zu ergänzen. Es wäre wissenschaftlich sehr wichtig, aber auch für den Austausch, denn es ist ausdrücklich vorgesehen, die Unis dort mit einzubinden.

Wie entwickeln sich Ihre Studienobjekte langfristig? Können sie uns einmal gefährlich werden oder verschlingen die sich am Ende gegenseitig, bis der Kosmos schließlich aufgefressen ist?

Das ist die große Frage. Ein Schwarzes Loch muss gefüttert werden. Von sich aus frisst es nichts, es muss etwas in die Nähe kommen und hineinfallen. Das allermeiste Material des Universums verschwindet nicht in Schwarzen Löchern. Auf sehr, sehr langen Zeitskalen kann es sein, dass am Ende alles in einem Schwarzen Loch endet. Aber das ist so weit in der Zukunft, dass wir gar nicht wissen, wie sich das Universum bis dahin entwickelt, vielleicht fließt es auch weiter auseinander. Für uns auf der Erde besteht schon die Möglichkeit, dass ein kleines Schwarzes Loch mal auf uns zugeflogen kommt. Aber das ist extrem unwahrscheinlich. Wir können sie also entspannt aus der Ferne beobachten und viel interessante Physik daran machen.