Paris/Wien. (est/dpa) Drei Jahre lang haben 150 Experten aus 50 Ländern Wissen zusammengetragen. Rund 15.000 Quellen wurden ausgewertet und analysiert. Am Montag will der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) erstmals seit 14 Jahren einen Öko-Check der Erde präsentieren. Zu erwarten ist eine ernüchternde Bilanz: Bis zu eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Viele von ihnen könnten "in den kommenden Jahrzehnten" verschwinden, hieß es vorab in einem Entwurf des Berichts. Die Ursachen sind die fortschreitende Umweltzerstörung und der Klimawandel.
Auch Österreich bildet keine Ausnahme. Seit 1986 ist die Zahl der hierzulande lebenden Wildtiere um 70 Prozent geschrumpft. Selbst der Feldhase, rein anatomisch ein Vermehrungskünstler, steht auf der Liste der bedrohten Arten. Nun wurden bei ihm sogar neue, umweltbedingte Erkrankungen des Verdauungstrakts festgestellt. Unkrautvernichtungsmittel killen nahrhafte Wildkräuter, Mähdrescher den Nachwuchs, Siedlungen den Lebensraum. Auch die Pflanzenvielfalt nimmt ab, heimische Blumenwiesen und offenes Weideland weichen landwirtschaftlichen Monokulturen.
Bis zu eine Million Tier- und Pflanzenarten bedroht
Viele Fachleute gehen davon aus, dass derzeit das fünfte Massenaussterben der Geschichte beginnt. Schon jetzt sei die Geschwindigkeit, in der Tier- und Pflanzenarten aussterben, zwischen zehn- und hundertmal höher als im Durchschnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre, heißt es. Wie schlimm es um die Artenvielfalt der Welt steht, hatte zuletzt im Jahr 2005 das Millennium Ecosystem Assessment gezeigt: Die Ökosysteme seien in den davorliegenden 50 Jahren größeren Belastungen ausgesetzt gewesen als je zuvor. Eine Umkehr sei dringend nötig. Die Forscher des in Bonn ansässigen IPBES legen nun nach. Sie haben geprüft, wie weit die Welt bei vereinbarten Artenschutz-Zielen gekommen ist. Dazu zählen die 2010 beschlossenen Aichi-Ziele, wonach bis 2020 die Verlustrate an natürlichen Lebensräumen mindestens halbiert, die Überfischung der Weltmeere gestoppt sowie 17 Prozent der Landfläche und 10 Prozent der Meere unter Schutz gestellt werden sollen. Auch die Umsetzung der UN-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung und des Pariser Klimaabkommens haben die Experten in den Blick genommen. Ob etwas davon umgesetzt wurde, wird am Montag bekannt gegeben.
In sechs Szenarien wollen die Autoren bei der derzeit laufenden Weltkonferenz zur Artenvielfalt in Paris darlegen, wie die Welt in Zukunft aussehen wird. Zu den Annahmen zählen, dass die Menschheit so weitermacht wie bisher, oder dass sie lernt, global oder regional nachhaltig zu wirtschaften. "Das IPBES Global Assessment führt erstmals seit dem Millennium Ecosystem Assessment von 2005 die gesamten wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Zustand und den Trend der Arten, Ökosysteme und Ökosystemleistungen zusammen", sagte Günter Mitlacher, Leiter Internationale Biodiversitätspolitik beim WWF Deutschland.
Oft wird der Weltbiodiversitätsrat mit dem Weltklimarat IPCC verglichen, der Wissen zum Stand und den möglichen Folgen des Klimawandels bereitstellt. "Die Zerstörung der Artenvielfalt ist ebenso schwerwiegend wie der Klimawandel", betont der Präsident des Weltbiodiversitätsrats, Robert Watson. Der IPBES-Bericht solle eine Grundlage für die nächste Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention 2020 im chinesischen Kunming sein. Er schaffe die Basis für fundierte Maßnahmen, die Regierungen, der Finanzsektor und der öffentliche Sektor ergreifen können, hebt er hervor.
Der vorläufige Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Hälfte aller Ökosysteme zu Lande und im Wasser durch den Eingriff des Menschen schwer beeinträchtigt worden sind. Subventionen für die Agrarindustrie, Viehzucht und Fischerei führten zu Ineffizienz und überhöhtem Konsum.