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Stirbt die Biene, stirbt der Mensch

Von Eva Stanzl

Artenschutz
© cmwatercolors/stock.adobe

Am Montag ist Weltbienentag 2019: Zeit für eine Würdigung des äußerst bemerkenswerten Insekts.


Zuerst tönt ein Summen. Dann kriecht ein kleiner, pelziger Körper durch einen Fensterspalt. Es folgt der allzu menschliche Versuch, die Biene wieder hinaus zu befördern. Zunächst klappt das auch, angesichts der spätwinterlichen Außentemperaturen kehrt sie jedoch bald wieder zurück, um einen kraftlosen Zimmerflug anzutreten. "Es kann vorkommen, dass Bienen zu früh schlüpfen und dann keine Nahrung finden", erhellt Ratgeber Internet die Ratlosen und empfiehlt Zuckerwasser. Ein Märzenbecher wird als Zuhause für die neue Mitbewohnerin gekauft, die süße Schale als Nektar dazugestellt und der Aufsichtsposten bezogen. Lebt sie noch? Bewegt sie sich? Trinkt sie endlich? Die halb verhungerte Biene krabbelt aus ihrer Blume und hantelt sich, immer der Nase nach, bis zum Zuckerwasser vor. Fährt den Rüssel aus, labt sich und wird plötzlich zu Supergirl. Mit kräftigem Flügelschlag surrt sie rund um den Luster, labt sich erneut, rastet in ihrer Blume, dreht wieder ihre Kreise und wiederholt den Prozess. Nach zwei Tagen fühlt sie sich so fit, dass sie Freiheit begehrt.

Honigbienen legen Distanzen von drei bis fünf Kilometern zurück. Ähnlich wie manche Vögel verlassen auch manche der Honigproduzentinnen ihre Stöcke zu früh. "Sie machen Reinigungsflüge, ähnlich wie wir Menschen uns entleeren müssen. Da Insekten aber kein Schmerzempfinden haben, kann es vorkommen, dass sie die Temperatur falsch einschätzen", erläutert der Biologe und Bienenkundler Fritz Gusenleitner.

Bienen haben kein Bewusstsein, handeln daher in mancherlei Hinsicht wie Maschinen. Doch im Programm ihrer Fähigkeiten steht nicht weniger als das Bauen mehrjähriger Staaten, das Anlegen unterirdischer Gänge und die Bestäubung der Blumen. Dass die Biene als Symbol für den Artenschutz herhält und die Rote Mauerbiene zum "Insekt des Jahres 2019" gekürt wurde, nimmt somit nicht wunder.

Um die Bedeutung der Bienen für die Biodiversität zu würdigen, haben die Vereinten Nationen im Vorjahr den Weltbienentag ausgerufen. Er wird am Montag zum zweiten Mal gefeiert. Grund genug für eine Würdigung dieser bemerkenswerten Sympathieträgerin aus der Familie der Hautflügler. Mehr als 20.000 Bienenarten leben auf unserem Globus. In Österreich sind 700 Arten zu Hause. Blütenpflanzen aus der Zeit vor 110 Millionen Jahren weisen bereits Merkmale auf, die auf eine Bestäubung durch Bienen schließen lassen. Ihr Ursprung liegt damit wahrscheinlich in der Kreidezeit. Die älteste fossile Biene wurde, eingebettet in Bernstein, im US-Staat New Jersey gefunden. Ihr Alter wurde auf 75 bis 92 Millionen Jahren datiert. Sie nennt sich Cretotrigona prisca und ist, so wie die Honigbiene, den staatenbildenden Arten zugeordnet.

Nur sieben bis zwölf Arten zählen zur Gattung der Honigbienen. Sie bilden mehrjährige Staaten, gelten jedoch gewissermaßen als Haustiere, weil ihre Existenz und Zahl auch von der Sorgfalt der Imkerei abhängt. In Österreich leben rund 350.000 Honigbienen-Völker. Während die Arbeiterinnen mit Nestbau und Blütenbesuchen beschäftigt sind, sorgt die Königin für den Nachwuchs. Nach ihrem Jungfernflug bleibt sie im Stock. "Drohnen begeben sich immer wieder zu eigenen Sammelplätzen. Dort warten sie auf Königinnen, die, dem Geruch von bestimmten Pheromonen folgend, vorbeikommen", erklärt Michael Rubinigg vom Verein Biene Österreich. Es folgt biologische Effizienz: Die Königin wird nur einmal im Leben von mehreren
Drohnen begattet, deren Lebensaufgabe sich darin erschöpft, Spermien-Pakete im Leib der Königin abzulegen. Diese ermöglichen es ihr, ein Leben lang Eier zu produzieren. Die restlichen Wochen seines Lebens wird ein Drohn von seinen Schwestern durchgefüttert.

Die auf eine einzige Aufgabe beschränkte Rolle der Drohnen zählt zu den wenigen Dingen, die die Lebensarten von Honig- und Wildbienen verbinden. Manche Wildbienen-Arten leben sogar im Boden. Sie graben sich bis zu 50 Zentimeter hinab, um Nester und Brutzellen anzulegen. Zur Schimmelpilz-Abwehr tapezieren die pelzigen Baumeisterinnen ihre unterirdischen Gänge mit Sekreten. Sie füllen ihre Nester mit Nektar und Eiern. Damit ist ihre Lebensaufgabe erfüllt. Nach sechs Wochen sterben die Mutterbienen. Ohne es je gezeigt bekommen zu haben, weiß der Nachwuchs genau, was er nach dem Schlüpfen zu tun hat. "Zwischen den Generationen gibt es keinen Kontakt. Das gesamte Wissen einer Wildbiene ist in den Genen festgeschrieben", erklärt Fritz Gusenleitner. Eine andere Technik, die im Erbgut steht, ist das Blätterschneiden. Die Blattschneider-Biene bringt Blätter so in Form, dass sie inklusive eines Deckels als Brutkasten taugen. In verschlossenen Blatt-Röhren liegen sie Eier, jedes in seiner eigenen Zelle. Die Bienchen schlüpfen eines nach dem anderen - die Männchen zuerst, damit sie bereit sind, wenn die Weibchen folgen. Die Biene gilt als eine der wichtigsten Tierarten im Ökosystem. In den 1970er Jahren machte die Zeichentrickserie "Biene Maja" erstmals auf ihre Bedeutung aufmerksam, indem sie die Wiese als Lebensraum und als zu
Hause vorstellte. Indem sie Blütenpollen von Pflanze zu Pflanze trägt, verbessert die Biene deren Fortpflanzungschancen. Eine Welt ohne Bienen wäre somit auch eine Welt ohne Blumenwiesen.

Blütentreue

"Der Großteil der Blumen und Blüten sind das Ergebnis eine Ko-Evolution mit ihren Bestäubern", erklärt Gusenleitner, Leiter des Biologiezentrums in Linz. Die Pflanzen haben im Laufe der Evolution süße Säfte entwickelt, um bestäubende Insekten anzulocken und sie an sich zu binden. Bestäuberinnen und Blütenpflanzen passten sich aneinander an: Die Pflanzen entwickelten Blütenformen mit tiefen Nektarkelchen und Staubfäden, die Bienen Rüssel, um an den Nektar heranzukommen, sowie ihr speziell an den Pollentransport angepasstes Haarkleid.

Etwa 20 Prozent der Bienen sind genau jenen Blüten treu, die in der größten Menge vorhanden sind und dem Nachwuchs am meisten Nektar liefern. Doch wo soll der Nektar herkommen, wenn die Wiesen alle paar Wochen gemäht und Feldkräuter mit Spritzmitteln vernichtet werden und die Lebensräume von Pflanzen und ihren Bestäubern Äckern und Siedlungen weichen? "Wichtig für die Wildbiene sind die Nahrung, die vorhanden sein muss, und die Strukturen, in denen sie ihre Nester legen können", betont die Biologin Doris Dannenmann von der Technischen Hochschule Bingen im "Deutschlandfunk".

Im Vorjahr hatte die UNO gewarnt, dass bis zu 40 Prozent der für die Bestäubung zuständigen Insekten - also hauptsächlich Bienen und Schmetterlinge - aussterben könnten. In China ist die Lage in manchen Regionen schon so ernst, dass Bauern ihre Obstbäume mit Pinseln selbst bestäuben. Schuld sind unter anderem auch besonders giftige Pestizide, die in manchen Völkern neun von zehn Bienen töten. Zu ihnen zählen die in manchen Insektiziden enthaltenen Neonicotinoide. Sie enthalten ein Nervengift, das den Orientierungssinn angreift und insbesondere Hummeln langsamer mit den Flügeln schwirren lässt, wodurch sie weniger Nahrung sammeln. Neonicotinoide sind EU-weit verboten, jedoch gibt es auch in Österreich "Notfallzulassungen". Doch das ist nicht alles. Einer Studie der Universität Texas zufolge schädigt das in der Landwirtschaft eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat die Darmflora von Honigbienen, deren Funktionieren für das Wachstum der Tiere und die Abwehr von Krankheitserregern eine große Rolle spielt.

"Stirbt die Biene, stirbt auch der Mensch. Diese Aussage äußern Experten immer häufiger", sagt Michael Rubinigg: "Eine Welt ohne Bienen wäre keine Welt, in der wir Menschen leben wollen." Auf einem vergifteten Planeten ohne die gestreiften Hautflügler könnten auch keine Schmetterlinge und keine Vögel überleben. Die Konzentrationen von Pflanzengiften und Spritzmitteln in Wasser und Nahrung wären so hoch, dass sich der Mensch nach und nach sogar selbst vergiften würde. Wenn es ihm gelingt, dies zu vermeiden, bleiben die Bienen am Leben, und zwar ziemlich lange. Erst ab 42 Grad beginnt es, ihnen zu heiß zu werden. In der gewaltigen Feuerkatastrophe von Notre Dame im Mai dieses Jahres hatten einige sogar Glück. Nach dem Brand wurden drei Bienenstöcke entdeckt, die offenbar so günstig gestanden waren, dass die Flammen sie nicht erreichten und sie überleben.