Washington/Wien. (gral) Die meisten bekannten Korallenriffe befinden sich in nährstoffarmen Gewässern. Und dennoch sind sie Heimat von einer Vielzahl an Fischen. Warum das so ist, hat nun ein internationales Forscherteam herausgefunden: Winzige Fische, die sich vorwiegend in Bodennähe tummeln, bilden die Grundlage für diesen bunten Artenreichtum. Sie stellen eine wichtige Nahrungsquelle für die größeren Bewohner dar.
Diese kleinen Kreaturen spielen eine bedeutende Rolle zwischen den Korallen, schreiben die Wissenschafter des Smithsonian Institute und der Simon Fraser University im Fachblatt "Science". Sie machen 60 Prozent des Fischfutters aus und produzieren sich stetig und schnell wie auf einem Förderband. "Wir bekommen sie allerdings kaum zu sehen, denn die Fische werden wesentlich schneller gefressen, als wir sie zählen können", schildert der Meeresökologe Simon Brandl von der Simon Fraser University. "Es ist wie ein Sackerl voller Süßigkeiten, das sich nach jedem gegessenen Zuckerl auf ganz magische Art und Weise wieder neu befüllt."
Nahrungsmenge beständig
Es handelt sich um sogenannte kryptobenthische Fische, klein und energiereich, die von beinahe jedem Organismus gefressen werden, das beißen, greifen oder schlürfen kann. Die meisten von ihnen, wie etwa Grundeln, Schleimfische oder Kardinalfische, werden bereits innerhalb der ersten Woche ihres Lebens zum Beutetier.
Die Forscher untersuchten die Larven von Riffbewohnern, die für gewöhnlich lange Reisen ins offene Meer anstreben, um eine Heimat zu finden. Nur einige wenige von ihnen überleben dabei. Die winzigen Fische scheinen diese Migration zu vermeiden und bleiben den Riffen ihrer Eltern sehr nahe. Dadurch überleben wesentlich mehr von ihnen. Und die Larven ersetzen ihre Eltern, die am Riff als Futter dienen, sehr rasch. Damit bleibt die Nahrungsmenge für die größeren Rifffische beständig. Lange hatten Wissenschafter darüber gerätselt, wie solch ein produktives und artenreiches Ökosystem überleben kann, das eigentlich eine marine Wüste ist.
Bedeutung erst jetzt erkannt
"Es ist unglaublich, dass diese Fische für die Riffe eine so große Bedeutung haben", erklärt Carole Baldwin vom Smithsonian National Museum of Natural History. "Sie sind so klein, dass wir das in der Vergangenheit gar nicht erkannt haben." Forscher aus Australien, Kanada, Frankreich und den Vereinigten Staaten sind an der Studie beteiligt. Sie haben Daten von Riffen vor der Küste von Belize, Französisch-Polynesien und Australien unter die Lupe genommen und ein Modell entwickelt, um zu verstehen, inwieweit die kryptobenthischen Fische die Ernährung der anderen Riffbewohner beeinflussen.
Die Studie war im Jahr 2015 gestartet worden. Heute sind die Ergebnisse relevanter denn je, betonen die Wissenschafter. Denn Korallenriffe verlieren nach und nach an Artenreichtum. Die Fische selbst und die Menschen, die von ihnen abhängig sind, könnten in Gefahr sein. Die Wissenschafter hoffen daher, dass die enorme Vielfalt der kleinen Kreaturen und ihr einzigartiger Lebenszyklus zu einer Erholung der Riffheimat beitragen kann.