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Thomas Henzinger will mit dem IST Austria "immer besser werden"

Von Eva Stanzl

Wissen
© Michael_Hetzmannseder

Zehn Jahre IST Austria: Bis 2036 könnten 150 Forschungsgruppen hier tätig sein, stellt Präsident Thomas Henzinger in Aussicht.


Wien. Die Aufbauarbeit wird fortgesetzt: Am Institute of Science and Technology (IST) Austria könnten bis 2036 insgesamt 150 Forschungsgruppen arbeiten, stellt Präsident Thomas Henzinger zum zehnjährigen Bestehen in Aussicht. Das IST Austria wurde am 2. Juni 2009 eröffnet. Heute sind an der Einrichtung für Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften 700 Personen aus 60 Ländern tätig. 53 Gruppen forschen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Physik, Chemie, Neurowissenschaften und Biologie.

Das Institut entstand nach einer Idee des Wiener Experimentalphysikers Anton Zeilinger, der ab 2002 für eine "Flaggschifforganisation" in Österreich eintrat. Experten unter Führung des ehemaligen Präsidenten des israelischen Weizmann-Instituts, Haim Harari, erarbeiteten ein Konzept. Nach der umstrittenen Standortentscheidung für das Areal der ehemaligen Landesnervenklinik Maria Gugging und der Gründung per Gesetz im Jahr 2006 wurde zwei Jahre später der österreichische Computerwissenschafter Thomas Henzinger als erster Präsident bestellt.

Am Sonntag beginnt die Jubiläumswoche mit einem Open Campus, bei dem Kinder und Erwachsene die Welt der Wissenschaft entdecken können. Mit einem Festakt am 4. Juni feiert das IST Austria sein zehnjähriges Bestehen.

"Wiener Zeitung": Am Anfang ein Standort auf der grünen Wiese, heute neue Gebäude, Top-Berufungen und Spitzenförderungen. Wie haben Sie das gemacht?

Thomas Henzinger: Lob für die Strategie geht zum Großteil an Haim Harari, Olaf Kübler und Hubert Markl. Heute liest sich ihr Entwicklungsplan für eine Weltklasse-Forschungsinstitution mit Graduierten-Ausbildung wie die Beschreibung des Ist-Zustands. Die damalige Bundesregierung ließ uns vollkommen freie Hand, um dieses Institut wirklich unabhängig aufzubauen.

Der Maxime ist, aus einer größtmöglichen Anzahl von Kandidaten die wissenschaftlich vielversprechendsten auszuwählen. Bei der Bestellung von Professoren schreiben wir nie eng nach dem Motto "wir suchen einen Professor für Biochemie" aus, sondern offen. Das hat uns bisher 11.500 Kandidaten für Professuren gebracht, von denen heute 53 ihrer Forschung nachgehen. Es gibt eine gute Infrastruktur, eine unbürokratische Atmosphäre und die direkte Betreuung durch die Professoren, wir haben keinen Mittelbau. Wir sind eine unabhängige Einrichtung, die das Karrieremodell von der Graduate-School bis zum Tenure Track nach internationalen Maßstäben orientieren darf, anstatt das Universitätsgesetz zu übernehmen.

Alle vier Jahre wird das Institut evaluiert, das nächste Mal Ende des Jahres. Noch 2016 waren die Gutachter der Ansicht, der Standort außerhalb Wiens erschwere den Austausch mit anderen Einrichtungen. Sehen Sie das auch so?

Nein, das ist der tollste Standort, den wir haben können. Wir sind in der Nähe der lebenswertesten Stadt der Welt, aber mitten im Grünen auf einem Campus, wo alle vereint sind und wo wir Platz haben für Ausbauten.

Zuletzt befand das Gutachterkomitee, das IST Austria sei auf dem besten Weg zur Exzellenz. Gibt es einen Punkt, wo man das "auf dem Weg" streichen kann?

Ein Institut kann sich nie zurücklehnen und sagen: Jetzt sind wir exzellent und das ist es. Stehen bleiben, heißt zurückfallen in der internationalen Wissenschaft. Wir müssen immer besser werden, immer dynamisch bleiben. Und wir befinden uns erst in der Mitte unserer Aufbauphase.

Bis 2026 sind 90 Forschungsgruppen vorgesehen. Und danach?

Ein Institut braucht eine kritische Masse, um sichtbar zu werden und zu bleiben. Wir wachsen um durchschnittlich fünf neue Gruppen pro Jahr. Das ist eine Zahl, die uns erlaubt, in mehreren Feldern zu rekrutieren, jedoch nicht zu hoch ist, um die Top-Qualität zu halten. Wenn wir nächstes Jahr 20 neue Forscher einstellen müssten, könnten wir dieselbe Qualität wohl nicht halten. Mit einem Wachstumspfad wie derzeit könnten wir bis 2036 an die 150 Gruppen erreichen.

Eine Vereinbarung zwischen der Republik Österreich und dem Land Niederösterreich regelt die Finanzierung bis 2026. Der Bund investiert 99 Millionen Euro pro Jahr, wobei ein Drittel dieses Geldes an die Einwerbung von Drittmitteln gebunden ist, das Land trägt zu Infrastruktur, Gebäuden und Betrieb bei. Bis wann müssen Sie wissen, wie es mit der Finanzierung weitergeht?

Den Wachstumspfad für nach 2026 muss man bald festlegen. Wenn wir ein Gebäude im Jahr 2027 brauchen, müssten wir in den nächsten zwei Jahren mit der Planung beginnen. Auch Zusagen an Professoren erfordern einen mehrjährigen Planungshorizont. Wir haben Gespräche geführt, die Anzeichen sind positiv. Jedoch wissen wir heute nicht, wer nächste Woche in der Regierung sein wird.

Neben den Folgen der Ibiza-Affäre für alle erzeugt in der Forschung die Tatsache Unsicherheit, dass Exzellenzinitiative und Forschungsfinanzierungsgesetz im Windschatten der Steuerreform auf Herbst verschoben wurden. Wie ist das IST betroffen?

Die Wissenschaftslandschaft im Allgemeinen betrifft es stärker als uns. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Exzellenzinitiative abgesagt ist. Vielleicht ändert sich der Zeitplan, aber die Tatsache bleibt. Das Allerwichtigste ist, dass sie den Wissenschaftsfonds FWF (größte Förderagentur für Grundlagenforschung, Anm.) stärkt und neue kompetitive Mittel geschaffen werden. Der FWF ist stark unterdotiert und kommt immer als Letztes dran und das gehört geändert.

Wissenschaft hat revolutionäre Veränderungen im Verständnis unser selbst und der Natur gebracht, sie ist die revolutionärste Aktivität der Menschheit: Mit diesen Worten laden Sie zum Vortrag des britischen Biochemikers und Nobelpreisträgers Paul Nurse am 5. Juni. Handelt die österreichische Politik so, als wäre sie ebenfalls dieser Meinung?

Ein klares Ja. Die Tatsache, dass das IST, das es vor zehn Jahren nicht gab, heute 40 Top-Grants des Europäischen Forschungsrats hat, ist das allerbeste Beispiel dafür, dass hier wirklich mutige Wissenschaftspolitik betrieben wird. Im "Nature"-Index für Top-Instituten zählen wir zu den "Top Ten Rising Stars" weltweit. Somit sind wir ein Paradebeispiel, dass langfristige, zielgerichtete Forschung in Österreich funktioniert.

Sie sind die einzige Institution in Österreich, wo man so mutig war.

Das sind wir nicht. Österreichs Universitäten haben im letzten Jahr hunderte neue Professoren eingestellt. Kein Mensch zweifelt daran, dass die Uni Wien oder die Akademie der Wissenschaften in zehn Jahren Budgets vom Bund bekommen werden und sie werden nicht kleiner sein als jetzt. Wir waren in der einzigartigen Situation, ein noch unbekanntes Institut mit Spitzenforschern zu füllen. Wir mussten Konkurrenten von etablierten Instituten für die grüne Wiese anwerben und brauchten und brauchen diese langfristige Perspektive.

Wie schwierig ist es, Top-Forscher aus aller Welt zu holen?

Jede einzelne Berufungsverhandlung ist schwierig, weil wir Leute wollen, die andere auch wollen. Der Wettbewerb um die Besten ist besonders stark bei Frauen. Je höher die Position, desto kleiner sind sie in der Zahl und der Wettkampf um sie wird besonders hart geführt. Wir tun unser Bestes, um sie zu berufen, aber es gelingt uns nicht immer. Bei Studierenden liegt der Frauenanteil bei fast 50 Prozent, bei Professuren aber nur bei 17 Prozent. Relativ gesehen stehen die Life Sciences besser da als Mathematik oder Informatik.

Ergeben sich durch eine Historie der fachlichen Exzellenz nicht zwangsläufig auch Spezialisierungen?

Ja, das ergibt sich. Würden wir uns thematisch nur auf großen Zukunftsgebiete wie künstliche Intelligenz oder Quantencomputer konzentrieren, müssten wir mit vielen Institutionen konkurrieren. Ein Geheimnis dieses Instituts ist, genau das nicht zu tun. Etwa haben wir Weltklasse-Pflanzenbiologen, die sich hier auf Pflanzenwachstum spezialisieren. Ähnliches kann man auch etwa über die Mathematische Physik oder die Computergrafik sagen. Dadurch sind wir in Bereichen, die derzeit vielleicht nicht zu den heißen Zukunftsgebieten zählen, sich aber entwickeln könnten, ganz vorne mit dabei.

Streben Sie eine vierte Amtszeit an?

Die Entscheidung liegt beim Kuratorium. Aus meiner Sicht wird in zehn Jahren sicher jemand anderer diesen Job machen. Meine dritte Amtszeit läuft im Sommer 2021 aus und früher oder später möchte ich auch wieder mehr forschen. Bis dahin möchte den Kurs halten, denn wir sind noch nicht fertig. Wichtig ist derzeit auch die Vermittlung von Wissenschaft vor allem in den Schulen. Wir planen ein Visitor Center, ein kleines Museum und Technologietransfer. Die ersten beiden Gebäude eine Technologieparks werden heuer eröffnet, fünf kleinere Unternehmen, die derzeit am Campus tätg sind, sollen dann hinüber ziehen.

Zur Person~ Thomas Henzinger geboren am 8. Dezember 1962 in Linz, ist erster Präsident des Institute of Science and Technology (IST) Austria. Nach dem Informatik-Studium an der Universität Linz promovierte er 1991 an der Stanford University. Er war Professor an der University of California in Berkeley und Direktor des Max-Planck-Instituts für Informatik in Saarbrücken.