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Tiere werden zu Erdbeobachtern

Von Alexandra Grass

Wissen

Ende 2019 soll das weltraumgestützte System Icarus der Forscherwelt zur Verfügung stehen.


Wien. Milliarden von Tieren ziehen jährlich in freier Wildbahn um den Erdball - von Region zu Region, von Kontinent zu Kontinent. Ob in der Luft, an Land oder im Wasser - sie reisen auf bekannten Routen, aber auch in die entlegensten Winkel unseres Planeten. Über die meisten Wildtiere weiß man noch sehr wenig. Ihre Aufenthaltsorte sind schwer auszumachen und damit fehlt auch das Wissen über ihre Lebensbedingungen und ihr Verhalten. Auch der Grund für ihr Sterben ist nicht klar. Mit dem Weltraumsystem Icarus (International Cooperation for Animal Research Using Space) sollen künftig die Tierbewegungen vom All aus erfasst werden. Zwar musste der Start zuletzt aus technischen Problemen verschoben werden, doch soll das Tierbeobachtungs-Projekt ab Herbst oder Winter für Wissenschafter voll zur Verfügung stehen.

Movebank gibt Auskunft

In einem weltweiten Zusammenschluss haben es sich Biologen zum Ziel gemacht, ein satellitengestütztes Beobachtungssystem kleiner Tiere wie Zugvögel, Fledermäuse oder Seeschildkröten zu schaffen. Die Elektronikeinheit dafür befindet sich auf der Internationalen Raumstation ISS. Die Forscher rüsten dafür verschiedenen Tiere mit Mini-Sendern aus, die ihre Messdaten an die Empfangsantenne auf der ISS schicken. Von dort sollen die Daten an eine Bodenstation an die Forscherteams übermittelt werden. Die Resultate sollen in der für jeden frei zugänglichen Datenbank "Movebank" veröffentlicht werden.

In den nächsten Jahren sollen im Zuge des Projekts mehrere Zehntausende Tiere bestückt werden. Es geht unter anderem darum, auf welchen Routen die Tiere wandern, unter welchen Bedingungen sie leben und wie sie am besten geschützt werden können.

Vor allem die zum Teil globalen Bewegungen stellen eine besonders große Herausforderung dar. Man denke an die Reise von Planktonorganismen im Meer oder den Zug von etwa 20 Milliarden Singvögeln. "Icarus wird eine Art ,Blindenhund‘ für die Menschen sein", heißt es auf der Homepage des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie. Die Forscher erhoffen sich Erkenntnisse für die Verhaltensforschung, den Artenschutz und die Ausbreitungswege von Infektionskrankheiten bis zur Vorhersage von ökologischen Veränderungen und Naturkatastrophen. Zudem könnten mit dem System auch globale Umweltveränderungen beobachtet werden - etwa die Verlagerung von Lebensräumen, Wüstenbildung oder Gletscherschmelze - , aber auch unbekannte Tierwanderungen.

Vorerst verschoben

Auch könnten ganz große Rätsel der Tierökologie und Evolution zu einer Auflösung gelangen. So ist etwa nur wenig über die Jugendentwicklung von Tieren und die Ausbildung von Merkmalen und Verhaltensweisen in dieser Zeit bekannt. Zudem war es bisher nahezu unmöglich festzustellen, wo einzelne Tiere sterben beziehungsweise wo sie auf ihrer lebenslangen Reise auf Probleme stoßen. Diese Selektionsereignisse seien wichtig, um die Tierphysiologie und Ökologie besser zu verstehen. Auch lassen sich mithilfe der Sender physiologische Parameter im Leben Tiere festhalten und fortlaufend beobachten.

Doch vorerst ist das deutsch-russische System Icarus wegen technischer Probleme verschoben worden. Die Belüftung des Computers habe nicht richtig funktioniert, weswegen er wieder heruntergefahren werden musste, erklärte Projektleiter Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Wann der zweite Versuch starten soll, sei noch nicht klar. Die Kosmonauten auf der Raumstation fahren einen engen Zeitplan. "Wir müssen sehen, wann sie es unterbringen können", betonte Wolfgang Pitz vom Raumfahrtunternehmen SpaceTech. Die Firma ist an Icarus beteiligt und hat unter anderem die Antenne für das Projekt entwickelt und gebaut.

Im ersten Moment sei die Verzögerung enttäuschend, sagte Wikelski. "Ich bin aber trotzdem positiv gestimmt. Der Computer an sich funktioniert. Es gibt zwar Probleme, aber wir wissen, woran sie liegen - und es gibt einen Plan, wie sie behoben werden können."

Tiere könnten demnach bald unsere besten Erdbeobachter sein, die über die Lebensvorgänge auf dem Planeten Bescheid geben können, sind die Biologen überzeugt.