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"Physik kann das Nichts nicht erklären"

Von Eva Stanzl

Wissen

Das Ende des Universums ist ein energiereiches Vakuum, einfaches Leben wohl überall, sagt Astronom Günther Hasinger.


Während die US-Raumfahrt den Wettlauf zum Mars aufnimmt, sucht Europa nach bewohnbaren Planeten im gesamten Kosmos und erkundet auch seine dunklen Seiten. Die europäische Weltraumagentur ESA will sowohl die Rolle von Schwarzen Löchern in der Geschichte des Alls als auch die vielfältigen Formen von Leben ergründen. Günther Hasinger, Wissenschaftlicher Direktor der ESA, gibt zudem Einblicke, mit welchem Ende das Universum zu rechnen hat.

"Wiener Zeitung": Als führender Röntgen-Astronom erforschen Sie die Entstehung von Galaxien und Schwarzen Löchern. Was wissen wir über das supermassive Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxie?

Günther Hasinger: Früher wurde daran gezweifelt, dass es Schwarze Löcher tatsächlich gibt. Jenes im Zentrum der Milchstraße lieferte jedoch nagelfeste Beweise für ihre Existenz. Es ist das am besten studierte Schwarze Loch. Jüngst konnte man sogar beobachten, wie die Uhr eines Sterns, der um das Massemonster saust, langsamer zu ticken beginnt. Albert Einstein hatte ja vorhergesagt, dass um schwere Massen die Uhren langsamer laufen.

Was darf man sich unter der Uhr eines Sterns vorstellen?

Heute werden alle physikalischen Quantitäten mit Atomuhren gemessen. Diese basieren auf den spektralen Übergängen von Atomen innerhalb der Uhr. Spektralübergänge gibt es auch in den Atmosphären von Sternen. Ein Stern sendet Fingerabdrücke von chemischen Elementen, wie etwa Sauerstoff oder Stickstoff, in Form von Absorptionslinien im Spektrum der Sonne aus. In der Nähe des Schwarzen Loches verschieben sich diese Linien. Daran merkt man, dass die Uhr des Sterns wie Einstein vorhersagt in der Nähe von großen Massen anders läuft.

Wimmelt das Universum nur so von Schwarzen Löchern?

Wenn Sie ein Röntgenteleskop an den Himmel richten, ist der Himmel nicht voller Geigen, sondern voller Schwarzer Löcher. Ich entdecke Röntgenstrahlen. Eigentlich würde man erwarten, dass man die lichtverschluckenden Himmelskörper nicht sieht. Aber sie saugen jede Materie ein. Der letzte Schrei der Materie, bevor sie für immer verschluckt wird, sind Röntgenstrahlen. Sie gehören zu den hellsten Objekten im Universum, man nennt sie Quasare. Messungen zeigen, dass jede Galaxie ein Schwarzes Loch beinhaltet. Man hat sogar beobachtet, wie Sterne in der Nähe der Massemonster zerfetzt werden.

Früher wurde spekuliert, ob das Universum zu einem gigantischen Schwarzen Loch kollabieren könnte. Heute weiß man, dass sich das All immer schneller ausdehnt. Was passiert beim Ende des Universums?

Bis vor 30 Jahren wusste man nicht, wie schwer der Kosmos ist. Man vermutete, dass die Schwerkraft eine endlose Ausdehnung verhindert und es zu einem Anti-Big Bang kommen würde, der alles zurückholt. Säße man dann außerhalb des Universums, würde man es als Schwarzes Loch sehen. Die Umkehrung der Ausdehnung würde jedes Licht im zusammengeballten Kosmos gefangen halten. Um die Jahrtausendwende stellte man fest, dass sich das Universum aber nicht abbremst, sondern immer schneller ausdehnt. Der Urknall findet immer noch statt, weil die Kraft, die das All auseinander drückt, heute noch wirkt - die Dunkle Energie. Das Universum kann nicht zusammenstürzen, sondern wird sich in alle Ewigkeit exponentiell ausdehnen, bis alles so dünn verteilt ist, dass man nichts mehr sieht.

Ein Auseinanderdriften in die Dunkelheit, bis nichts übrig bleibt?

Ja, allerdings hat das Nichts - also das Vakuum - einen höhren Energiegehalt als alles andere. Je weiter das All auseinanderdriftet, desto mehr wiegt das Vakuum und desto weniger wiegen sichtbare Materie, dunkle Materie und dunkle Energie. Das Konzept ist, dass das Universum aus dem höchsten Energiezustand, dem Vakuum, geboren wurde, und sich Energie nur ausgeliehen hat. Da kommt man allerdings schnell in religiöse Betrachtungsweisen.

Am Ende Ihres Buchs "Das Schicksal des Universums" stellen Sie Ihren Lesern die Frage, ob denn Gott das Nichts sei. Lässt sich dieser Energiezustand auch körperlich erleben, etwa durch Meditation?

Im Zen-Buddhismus entsteht alles aus dem Nichts. Wenn wir uns durch Meditation auf die Stufe des Verstehens von Nichts begeben, kommen wir ihm im Geist schon relativ nahe. Körperlich müsste man die Energiedichte verändern, alles aus einem Raum entfernen, alles auspumpen und die Wände auf den absoluten Nullpunkt abkühlen, damit keine Strahlung vorhanden ist. Dann wäre man nahe dem Nichts und weit weg von der sichtbaren Materie, aus der alles auf der Erde besteht. Unser Problem als Physiker ist, dass wir das noch nicht verstehen. Heutige physikalische Gesetze lassen sich auf das Nichts nicht anwenden. Das ist eines der größten Rätsel unserer Zeit.

Zurück zu den drei Dimensionen: Die RSA will Röntgen- und Gravitationswellenmessungen zusammenzuführen. Was lernen wir daraus?

Die Missionen Lisa und Athena sollen dort arbeiten, wo Relativitätstheorie und Quantenmechanik nicht zusammenkommen. Sie sollen ein komplettes Bild des dunklen Sektors im All liefern, nämlich von Dunkler Materie und Schwarzen Löchern.

Wann soll es losgehen?

Ursprünglich wollten wir Athena 2031 und Lisa 2034 ins All schicken. Doch ich möchte Lisa vorziehen, damit sie gleichzeitig arbeiten. Die kombinierten Messungen sollen Aufschluss geben, was passiert, wenn zwei supermassive Schwarze Löcher sich vereinigen und uns erzählen, ob sie schon seit dem Urknall da sind oder erst durch das Fressen von Sternen gewachsen sind. Flapsig gesagt, bringt Lisa den Klang und Athena das Licht. Lisa hört die Gravitationswellen zweier verschmelzender Massemonster wie ein Mikrofon, weiß aber nicht, wo sie sind. Athena kann mit dem Röntgen-Teleskop hinzoomen und schauen, was passiert. Wir wollen supermassive Schwarze Löcher in Galaxien-Zentren in flagranti ertappen, denn wir gehen davon aus, dass sich viele Gase und Sterne in den großen Tanz begeben. Wir rechnen mit fundamentalen Erkenntnissen über die Prozesse bei starker Gravitation.

Der erste Exoplanet, Pegasus 51-b, wurde 1995 von Europa entdeckt. Suchen Sie weiter nach ihnen?

Heuer startet Cheops, danach Plato und Ariel, womit der Schwerpunkt der Exoplaneten-Missionen von den USA wieder nach Europa schwappt. Cheops wird die Form bekannter Exoplaneten vermessen und ihre Größe bestimmen. Ariel soll die spektrale Zusammensetzung der Atmosphären von Planeten in den bewohnbaren Zonen ihrer Sonnen chemisch untersuchen und herausfinden, ob die Voraussetzungen für Leben gegeben sind. Plato ist ein Planetenjäger, da bisherige Geräte noch keine erdähnlichen Planeten entdeckt werden.

Wie bitte? Schlagzeilen über Erd-Zwillinge versprechen Anderes.

Was verschwiegen wird, ist dass alle bisherigen Objekte schneller um ihre Sonne rauschen als die Erde, somit näher dran sind. Es wurden Planeten, die so nahe kreisen wie Merkur um unsere Sonne, um Rote Zwerge gefunden. Rote Zwerge sind jedoch aktiver und haben stärkere Magnetfelder. Ich bezweifle, dass sie Leben ermöglichen. Ich kenne jedenfalls keinen Planeten außer den Mars, zu dem es sich lohnen würde, hinzufliegen. Umgekehrt ist zu sagen, dass das Leben viel flexibler und erscheinungsprächtiger ist, als wir es uns vielleicht vorstellten. Unter der Erde gibt es mehr Biomasse als über der Oberfläche. Bärtierchen überleben im Gletschereis und seit dem Crashder israelischen Raumsonde wohl auch auf dem Mond. Ich erwarte, dass einfachste Lebensformen überall existieren.

ESA-Missionen von Weltrang wurden vor zwei Jahrzehnten vorbereitet, als eine bessere Finanzierung zur Verfügung stand als nach 2008. Bei der ESA-Ministerratskonferenz im November wird das Budget beschlossen. Ihre Forderung?

Wir brauchen eine Budgeterhöhung von 20 Prozent, um wieder auf die Kaufkraft zu kommen, mit der wir ein komplettes Programm umsetzen können, denn die ökonomische Stärke der Mitgliedsländer ist um den Faktor zwei gewachsen und die Zahl der Mitglieder ist gestiegen.