Eis überall, der Pickelstiel ein Eiszapfen, die Windjacke ein Eismantel, die Sturmhaube eine Eismaske. Emilio drängt zum Aufbruch. Der Sturm wird noch stärker werden, schreit er gegen den Wind. Wir haben es ganz hinauf geschafft, Chimborazo, 6000 Meter plus, 6.30 Uhr, den Gipfel nach neun Stunden Atemlosigkeit auf Schotterhängen, Felsgraten, Eisflanken erreicht, sein Bergführerehrgeiz ist erfüllt. Es wird hell, Sturmböen, Schneetreiben, Nebelfetzen sorgen dafür, dass die Aussicht bei null bleibt. Aber eine Einsicht wächst mit jedem Moment auf dem Gipfelplateau des höchsten Bergs von Ecuador, der lange als der höchste Berg der Welt galt und es in gewisser Weise immer noch ist: Chapeau, Herr Alexander von Humboldt!
Gratulation! Sie sind ein, entschuldigen Sie den Ausdruck, aber er entspringt höchster Bewunderung, "wilder Hund", ein Berg-Berserker, ein Forschungs-Tausendsassa! Der Respekt vor dem Willen dieses Mannes, seiner Leistung, seinem Zug nach ganz hinauf wächst in dem Moment, in dem man selber spürt, wie weit das ist, wie steil das ist, wie gefährlich und anstrengend das sein kann, weit über die Gipfelmarke hinaus.
Am 23. Juni 1802 drehte Alexander von Humboldt mit ein paar beherzten Gefährten wenige hundert Meter unter dem Gipfel des Chimborazo um. Eine Gletscherspalte versperrte ihnen den Weg. An eine Umgehung war nicht zu denken. Es war 13 Uhr, die Sonne stand hoch und hatte den Schnee aufgeweicht. Carlos Montúfar, einer von Humboldts liebsten Begleitern, versuchte es und sank bis zum Scheitel in den Tiefschnee ein.
Höhen-Weltrekord!
Humboldt packte seine Instrumente aus, drehte mit erfrorenen Händen an den Stellschrauben der eiskalten Messinggeräte, grub das Thermometer in den Boden ein, nahm Luftproben und las das Barometer ab: 5917 Meter. Höhen-Weltrekord! Weiter hinauf als je ein Mensch zuvor gestiegen war, 20 Jahre wird die Marke halten. Nur Ballonfahrer können ihn in seinem Höhendrang überbieten.
So historisch bedeutsam der Moment gewesen sein mag, der kleinen Schar in der Chimborazo-Gipfelflanke war im Moment ihres größten Erfolgs jegliche Freude fremd. Die Strapazen des Aufstiegs und die Lebensgefahr beim Überklettern eines Felsgrats, den die Spanier cuchilla - "Rasierklinge" bezeichneten, forderten ihren Tribut: Die von Fels und Eis aufgerissenen Hände bluteten, so wie die Lippen und das Zahnfleisch, das Atmen fiel schwer "und noch unangenehmer war, dass alle Übelkeit, einen Drang sich zu erbrechen verspürten".
