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Der Mond ins rechte Licht gerückt

Von Alexandra Grass

Wissen

Am Sonntag, dem 13. Oktober, ist wieder Vollmond. Doch über ihn wird nicht immer gut gesprochen. Er eignet sich hervorragend als Sündenbock für unliebsame Dinge. Der Versuch einer Versöhnung.


Houston, Tranquillity Base here. The Eagle has landed. - Mit diesen Worten verkündete der US-Astronaut Neil Armstrong am 20. Juli 1969 die erfolgreiche Landung der Apollo 11 auf dem Erdtrabanten. Noch nie war der Mond der Menschheit so nahe - und umgekehrt. Oder doch? Denn in den Köpfen vieler Menschen ist er wohl seit Jahrhunderten in vielerlei Hinsicht omnipräsent. Ihm wird ein großer Einfluss auf viele biologische Vorgänge nachgesagt. Zudem ranken sich unzählige Mythen um einzelne Mondphasen. Und dabei ist es wohl der Vollmond, der ganz besonders in Verruf geraten ist. So ist von erhöhten Suizidraten, mehr Unfällen, schlaflosen Nächten, erhitzten Gemütern oder schief hängenden Haussegen die Rede. Also höchste Zeit, diesen beeindruckenden Himmelskörper wieder ins rechte Licht zu rücken. Immerhin steht der nächste Vollmond unmittelbar vor der Tür.

Doch vorerst zum Steckbrief - Alter: 4,4 Milliarden Jahre. Durchmesser: 3476 Kilometer - und damit ein Viertel der Erde. Bestandteile der Exosphäre: Helium, Neon, Wasserstoff, Argon. Temperatur: plus 130 Grad bis minus 160 Grad Celsius. Masse: 7,349 mal 1022 kg - und damit ein 80stel der Erdmasse. Dauer des Mondphasenzyklus: 29,5 Tage.

"Für die Erde selbst hat der Mond eine große Bedeutung", erklärt der österreichische Astrophysiker Arnold Hanslmeier vom Institut für Physik der Karl-Franzens-Universität Graz im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". So stabilisiert er etwa ihre Rotationsachse, wodurch die Neigung unseres Heimatplaneten bei ungefähr 23,5 Grad erhalten bleibt. Wäre die Sonne die einzige Ursache für Präzession, würde sich die Neigung der Erdachse innerhalb von Millionen Jahren in weiten Bereichen ändern. Das hätte ungünstige Umweltbedingungen für das Leben auf dem Blauen Planeten zur Folge. Es würde zu sehr starken Wetter- beziehungsweise klimatischen Veränderungen kommen, beschreibt der Experte.

Die Geburtsstunde

Für solche Einflüsse kennen die Astrophysiker und Astronomen ein praktisches Beispiel im Sonnensystem - nämlich unseren Nachbarplaneten, den Mars. Zwar besitzt er gleich zwei Monde - Phobos und Deimos -, doch sind diese mit 22 und 12 Kilometern winzig klein. Aufgrund der dadurch fehlenden Einwirkung auf ihren Heimatplaneten schwankt die Rotationsachse des Mars sehr stark. Aus diesem Grund ist es auf dem Roten Planeten in der Vergangenheit zu starken klimatischen Veränderungen gekommen. So zeugen etwa ausgetrocknete Flusstäler von Wasser in flüssiger Form, wie es vor einigen hundert Jahren noch vorhanden gewesen sein dürfte.

Der Mond sei aber noch in weiterer Hinsicht spannend, betont der Experte. Denn auf seiner Oberfläche finden wir Material vor, das sich seit der Entstehung des Sonnensystems nicht verändert hat. "Der Mond hat ja keine Atmosphäre, es gibt keine Lufthülle, keine Winde, keine Verwitterung, kein Wasser." Lange Zeit wurde auch darüber gerätselt, wie der Erdentrabant überhaupt entstanden sei. Man habe geglaubt, Erde und Mond seien etwa zeitgleich auf der Bildfläche erschienen und unser Heimatplanet habe sich diesen Himmelskörper regelrecht einverleibt.

"Heute gehen wir - wie auch die bemannten Apollo-Missionen bereits gezeigt haben - davon aus, dass der Trabant vor ungefähr 4,4 Milliarden Jahren durch die Kollision unserer Erde mit einem anderen Planeten geboren wurde. Aus jenem Material, das aus der Erde herausgeschlagen wurde und jenem dieses besagten Planeten hat sich schließlich unser Mond geformt", erklärt Arnold Hanslmeier.

Dem wahren Herkunftsort des Himmelskörpers scheint allerdings der deutsche Lyriker und Schriftsteller Christian Morgenstein auf die Schliche gekommen zu sein. In einem seiner zahlreichen Gedichte finden sich dazu recht deutliche Hinweise. So heißt es in "Der Mond":

"Als Gott den lieben Mond erschuf, gab er ihm folgenden Beruf:Beim Zu- sowohl wie beim Abnehmen sich deutschen Lesern zu bequemen,ein a formierend und ein z - daß keiner groß zu denken hätt’.Befolgend dies ward der Trabant ein völlig deutscher Gegenstand."

Wiewohl diese Schlussfolgerung natürlich mehr als fragwürdig ist, begleiten die Details wohl jeden - zumindest deutschsprachigen - Erdenbürger schon seit Kindheitstagen. Wann der Mond abnimmt beziehungsweise zunimmt, könnte man mit den Buchstaben a und z durchsichtiger kaum darstellen. Beim Z sollte man allerdings noch der alten Schreibweise mächtig sein.

Doch existiert auch eine lateinische Merkregel mit der Bezeichnung "luna mentitur" (übersetzt: "der Mond lügt") ebenso mit Bezug auf Buchstabenformen, die da lautet: Die Mondsichel zeigt uns beim Abnehmen ein C wie crescens für zunehmend, und sie zeigt uns beim Zunehmen ein D wie decrescens für abnehmend. Und weil damit der Verwirrung nicht genug, gelten diese Merkregeln in dieser Form nur in mittleren bis hohen nördlichen Breiten. In südlichen mittleren bis hohen Breiten gilt hingegen ihre Umkehrung. Zwischen den Wendekreisen sind sie aufgrund der annähernd horizontalen Lage einer Mondsichel beim Auf- und Untergang gar nur schwer und jahreszeitenabhängig anwendbar.

Wiederkehrend erstreckt sich dieser Jojo-Effekt der konsequenten Zu- und Abnahme über 29,5 Tage. Die Diversität der Kalenderrechnungen bringt es mit sich, dass auf einen Monat auch gleich zwei Vollmonde oder Neumonde fallen können. Der zweite Vollmond in einem Monat sowie der dritte in einer Jahreszeit mit vier Vollmonden wird als "Blue Moon" bezeichnet. Beim Neumond ist es der "Black Moon". Und nicht zu vergessen der Supermond. Er ist ein 1979 vom Astrologen Richard Nolle geprägter Ausdruck für einen Voll- oder Neumond, der sich im oder nahe beim erdnächsten Punkt seiner Erdumlaufbahn befindet.

Der Mond wird fast ununterbrochen von der Sonne beleuchtet. Da er selbst kein Licht ausstrahlt, ist somit stets nur seine von der Sonne beschienene Hälfte hell. Abhängig von der Position des Mondes auf seiner Umlaufbahn um die Erde, sieht der Beobachter unterschiedlich viel von dieser beleuchteten Hälfte. Bei Vollmond und Neumond steht der Mond in einer Linie mit der Sonne und der Erde. Bei Ersterem hinter der Erde, bei Zweiterem zwischen Stern und Planet.

Die Anziehungskraft

Im Übrigen sehen wir immer dieselbe Seite des Trabanten - jenes hübsche Mondgesicht, das sich durch riesige Lavaebenen zu erkennen gibt. Das wiederum ergibt sich aus dem Umstand, dass der Mond für eine Drehung um die eigene Achse genau so lange braucht wie für die Umrundung der Erde.

Die Gravitation des Himmelskörpers treibt auf der Erde die Gezeiten an. Das sind nicht nur Ebbe und Flut in den Meeren, sondern auch Hebungen und Senkungen des Erdmantels. Angesichts der Tatsache, dass der Mond in der Lage ist, solch starke Kräfte auszuüben, muss er ja auch gezwungener Maßen biologische Systeme und anderes beeinflussen, so die landläufige Ansicht.

"Dem ist nicht so", betont der Experte. Bei biologischen Systemen seien ganz andere bedeutendere Kräfte im Spiel wie etwa der osmotische Druck auf Pflanzen und Bäume. Die Gezeitenkräfte wirken nur auf sehr große Massen wie etwa Wasser. Rein wissenschaftlich lasse sich nicht belegen, dass der Mond einen Einfluss auf das Wachstum oder sonst etwas hat.

Manche Menschen achten dennoch darauf, bestimmte Arbeiten oder Vorhaben in der "richtigen" Mondphase zu erledigen. Mit Erfolg, wie es oft heißt. Doch vor allem der Vollmond scheint sich hervorragend als Sündenbock für unliebsame Dinge zu eignen. Und wehe, es ist gar "Super Moon".

Dabei lässt er unseren Himmel in den Nächten seines Erscheinens ganz besonders hell erstrahlen. Er präsentiert sich anmutig und in atemberaubender Vollkommenheit. Er lässt sich bestaunen und scheint uns einmal mehr, ganz selbstbewusst den Nachthimmel zierend, beweisen zu wollen, dass seine Anziehungskraft unangefochten bleibt.

Sachbuch

Der Mond

Arnold Hanslmeier

Vehling-Verlag, 2018