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Gepanzertes Insel-Hopping

Von Roland Knauer

Wissen

Schildkröten wechselten auf überraschendem Weg zwischen Inseln im Indischen Ozean: Sie wurden angeschwemmt.


Mobilität ist alles. Das gilt sogar für Riesenschildkröten. Sogar eine vor 200 Jahren ausgestorbene Gattung bewegte sich auf überraschende Weise zwischen den Maskarenen-Inseln Réunion, Mauritius und Rodrigues im Indischen Ozean hin und her. Damals hatte sie bereits 40 Millionen Jahre Entwicklungsgeschichte auf dem Panzer.

Obendrein spaltete sich diese Gruppe vor 28 Millionen Jahren in verschiedene Arten auf. Das schließen Christian Kehlmaier und Uwe Fritz vom Museum für Tierkunde der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden in der Zeitschrift "Scientific Reports" aus Erbgut-Analysen aus den Überresten von 19 Tieren. Eine Überraschung, schließlich entstanden die Maskarenen bei Vulkan-Ausbrüchen und sind mit ihrem Alter von zehn Millionen Jahren viel jünger als die Wurzeln der Schildkröten-Gattung Cylindraspis, die einst dort lebte.

Bisher hatten Forscher angenommen, dass die Cylindraspis-Maskarenen-Riesenschildkröten die Inseln erst vor wenigen Millionen Jahren aus Madagaskar, Afrika oder Asien erreicht hatten. Es gab sogar Vermutungen, dass die Tiere von arabischen Kaufleuten mitgebracht wurden. Als später die ersten Holländer dort siedelten, lebten bereits fünf Arten dieser Schildkröten auf den Inseln.

Hotspot vor 66 Millionen Jahren

So schnell aber arbeitet die Evolution normalerweise nicht. Das bestätigten Uwe Fritz und seine Kollegen, nachdem sie das Erbgut aus 10 Knochen und dem Panzer einer kurz vor dem Aussterben gefangenen Schildkröte untersucht hatten. Demnach unterscheiden sich die Maskarenen-Arten stark von allen anderen Landschildkröten. Sie müssen daher eine uralte Gattung sein, die laut Erbgut-Vergleichen seit 40 Millionen Jahren getrennte Wege gehen. Wo aber lag die ursprüngliche Heimat dieser Tiere, wenn doch die älteste Maskarenen-Insel Mauritius erst vor zehn Millionen Jahren und Réunion und Rodrigues erst vor drei Millionen Jahren aus dem Meer auftauchten?

Der Verdacht der Forscher um Uwe Fritz fällt auf einen Hotspot. So nennen Geophysiker eine bestimmte Form von Vulkanismus. Aus einigen 1000 Kilometern Tiefe steigen mächtige Säulen aus zähflüssigem Gestein von etwa 100 Kilometer Durchmesser mit Geschwindigkeiten von wenigen Zentimetern pro Jahr auf.

Erreichen diese Massen nach Jahrmillionen die Erdkruste, fressen sie sich wie überdimensionierte Schweißbrenner durch das Gestein, bis unter dem Meer riesige Lava-Mengen aus dem Vulkan fließen. "Ein solcher Hotspot brach offensichtlich vor rund 66 Millionen Jahren im heutigen Westen Indiens aus", erklärt Walter Joyce von der Universität Freiburg, der an der Studie beteiligt war. Die Mega-Eruption produzierte kilometerdicke Lavaschichten von je 1,5 Millionen Quadratkilometern Fläche.

Magma brennt sich durch den Meeresgrund

Während Indien weiter Richtung Asien trieb, bis es vor 40 Millionen Jahren mit diesem Kontinent zusammenprallte, blieb der Hotspot dort, wo er entstanden war. Über ihn schwappte jetzt der Indische Ozean. Das heiße Magma brannte sich seinen Weg durch das Gestein unter dem Meeresgrund und die Vulkane brachen unter Wasser aus. Dort türmte sich die Lava so lange auf, bis eine Insel aus dem Meer auftauchte. "Auf einer solchen Hotspot-Vulkaninsel könnte eine Landschildkröte angeschwemmt worden sein", erklärt Senckenberg-Forscher Uwe Fritz.

Die Panzerträger sind ziemlich hart im Nehmen und können lange ohne zu fressen oder zu trinken auskommen. Das beweist eine Aldabra-Riesenschildkröte, die am 14. Dezember 2004 an der Küste Tansanias an Land stapfte. An Beinen und Panzer hatten sich Seepocken angesiedelt. "Das abgemagerte, aber anscheinend gesunde Tier muss einige Monate im Indischen Ozean getrieben sein", sagt Fritz.

Vermutlich war die Riesenschildkröte also vom Aldabra-Atoll mit der Meeresströmung 740 Kilometer weit ohne Nahrung und Süßwasser bis an die afrikanische Küste geschwemmt worden. Damit hatte das Tier die umgekehrte Richtung wie die Urahnen der Maskarenen-Schildkröten eingeschlagen. Nach den Erbgut-Analysen von Senckenberg-Forscher Kehlmaier sollte diese Gattung nämlich aus Afrika stammen.

Sollten die Meeresströmungen vor 40 Millionen Jahren anders als heute verlaufen sein, könnten sie damals ein Weibchen auf die Hotspot-Vulkan-Insel im Indischen Ozean geschwemmt haben. Das reicht bereits, um eine neue Population zu gründen. "Schildkröten-Weibchen speichern häufig die Samen mehrerer Männchen und befruchten ihre Eier lange nach der Paarung", berichtet Fritz. Später schlüpfen etliche Mini-Schildkröten aus den Eiern, die zwar die selbe Mutter, aber verschiedene Väter haben und so auch eine gewisse Vielfalt auf die Insel bringen.

Säugetiere sind weniger hart im Nehmen

Damit wird auch klar, weshalb auf vielen Inseln in den Weltmeeren zwar Riesenschildkröten, aber keine Säugetiere auf vier Beinen lebten, die weniger hart im Nehmen sind. Allerdings existieren Hotspot-Vulkan-Inseln nur für einige Jahrmillionen. Danach hat sich die Ozean-Platte, auf der sie am Meeresgrund sitzen, um einige 100 Kilometer weiter bewegt und die Inseln mitgetragen. Die Verbindung mit dem ortsfesten Hotspot reißt ab und das Magma brennt sich an anderer Stelle durch den Meeresgrund.

Während dort ein neuer Vulkan entsteht, nagen die Wellen und Tropenstürme an der alten Insel und lassen diese langsam schrumpfen, bis nur noch ein Korallen-Atoll über die Wellen ragt, das irgendwann im Meer verschwindet. Aber vorher stürzt vermutlich ein Schildkröten-Weibchen mit den Samen mehrerer Männchen bei einem Wirbelsturm ins Meer und stapft am Ufer einer der jüngeren Vulkan-Inseln wieder an Land.