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Die mit dem Wolf tanzen

Von Alexandra Grass

Wissen

Verhaltensforscher liefern Erkenntnisse, die einem friedlichen Miteinander mit dem Menschen dienen.


Voller Anmut und Eleganz sitzt Chitto neben mir, achtet konzentriert auf die Anweisungen seiner Trainerin und legt schließlich seine mächtige Pfote auf meine Hand. Ich sitze verzückt da und bewundere die imposante Gestalt meines Sitznachbarn. Chitto ist ein Wolf, lebt seit seiner Geburt im WolfScienceCenter (WSC) im niederösterreichischen Ernstbrunn und ist Teil eines Forschungsprogramms der Veterinärmedizinischen Universität Wien, in dem die Gemeinsamkeiten zwischen Wolf, Hund und Mensch erkundet werden. Derer gibt es gar nicht so wenige, wie wir beim Rundgang gemeinsam mit Wissenschaftsminister Heinz Faßmann durch die Anlage erfahren. Eine der wohl wichtigsten Antworten des Tages: Ein friedliches Miteinander ist möglich.

Liest man Berichte über Schafsrisse, verärgerte Bauern und die Diskussion rund um Abschussgenehmigungen, erhält man ein anderes Bild. Galt der Wolf in Österreich ab 1882 als "ausgestorben", kehrt er etwa seit dem Jahr 2009 wieder verstärkt aus den Nachbarländern zurück. 2016 hat es nach mehr als 100 Jahren auf dem Bundesgebiet erstmals wieder Nachwuchs gegeben. Mittlerweile leben laut WWF um die 30 Wölfe in Österreich. Für die Beutegreifer sind Schafe zum Ärgernis der Betroffenen ein besonders leicht gefundenes Fressen.

Wölfe kooperieren miteinander

"Wir haben Schafe so gezüchtet, dass sie nicht weglaufen. Das bringt den Wolf völlig durcheinander, wenn er ein Tier gerissen hat und die anderen immer noch herumstehen", beschreibt die deutsche Verhaltensforscherin Friederike Range von der Vetmed Wien, Mitbegründerin des WSC. Um über das Zusammenleben mit dem Freilandwolf aufklären zu können, soll an dem Standort ein gesamtösterreichisches Informationszentrum entstehen.

Voraussetzung für diese Aufklärungsarbeit ist Grundlagenforschung am Tier selbst. Nämlich am Wolf und am Hund. Beide werden im WSC ab einem Alter von etwa zwölf Tagen ausschließlich vom Menschen mit der Hand aufgezogen. Dabei werden sechs bis acht Tiere von verschiedenen Würfen zusammengefasst. Sie erfahren dieselbe Sozialisation und sammeln dieselben Erfahrungen mit Menschen und Artgenossen. Erst dann lässt sich der Vergleich ziehen und feststellen, welche Verhaltensmuster in der Genetik liegen.

So etwa in einem Testgehege. Auf einem Tisch liegen Futterstücke. An diese können die Tiere allerdings nur dann gelangen, wenn sie zu zweit zeitgleich an zwei Seilenden ziehen und somit den Tisch an sich heran. Um die Ressource zu erreichen, müssen die Tiere relativ nah aneinander kommen, erklärt Range. Für Hunde stellt das auch aufgrund der Ranghierarchie ein Problem dar. Zudem sind sie weniger kooperationsbereit als Wölfe und teilen ihr Futter grundsätzlich nicht. Während der Versuch bei den Hunden also regelrecht danebengeht, zeigt das aufgeforderte Wolfspaar die für diese Spezies übliche Kooperationsbereitschaft. Beide Tiere ziehen an den Schnurenden und nehmen sich je ein Stück Fleisch vom Tisch.

Es gibt bereits Vermutungen für dieses Verhalten, erklärt die Verhaltensforscherin. Wölfe sind nämlich auf Kooperation angewiesen. Sie gehen gemeinsam auf die Jagd, wiederum bleibt immer ein Tier beim Nachwuchs zurück, den sie als monogames Paar gemeinsam aufziehen. Dieses ist darauf angewiesen, dass die anderen Rudelmitglieder Futter heimbringen.

Hunde von Beruf hörig

Für den Hund ist das hingegen nicht mehr nötig. Er hat im Zuge der Domestikation, die mit der neolithischen Revolution Einzug genommen hat - also jenem Zeitraum, in dem die einstmaligen Jäger und Sammler sesshafte Bauern wurden -, eine neue Nische gefunden. "Das sind unsere Überreste", erklärt Range. Die gilt es zu verteidigen. Auch sind Hunde nicht mehr monogam.

In oben beschriebenem Versuch sind unsere häuslichen Vierbeiner erst dann kooperativ, wenn sie mit einem Menschen zusammenarbeiten, betont die Forscherin. Hunde sind hörig. Dieser Wesenszug dürfte im Laufe der Domestikation entstanden sein und ist für den Menschen heute nicht nur im alltäglichen Leben mit dem Tier von großem Vorteil.

Dennoch führt nichts an der Tatsache vorbei, dass alle Hunde vom Wolf abstammen, der sich ganz offensichtlich Gebiet zurückerobern will. Doch: "Sobald irgendwo ein Wolf auftaucht, schreit man sofort nach der Flinte", zeigt sich WSC-Gründer und Verhaltensforscher Kurt Kotrschal verärgert. "Die Tiere waren immer hier beheimatet und haben ein Recht, hier zu leben", betont Range. In anderen Ländern funktioniere das sehr gut. Und: "Wir verlangen es in Afrika von den Menschen, mit Elefanten zusammenzuleben, warum sollte es hier anders ein?"

Um eine dauerhafte Rückkehr des Wolfes ermöglichen zu können, setzen sich Forscher und Artenschützer für ein gutes Wolfsmanagement ein. Dieses soll Voraussetzungen für ein reibungsloses Zusammenleben zwischen Wolf und Mensch schaffen. Dafür brauche es Aufklärungsarbeit, Finanzierungsmodelle für den Herdenschutz und eine bessere Schadensabgeltung.

EU-Projekt soll Abhilfe schaffen

In einigen Bundesländern ist man schon darum bemüht. So ist man etwa in der Steiermark bereits auf der Suche nach Lösungen. Eine Arbeitsgruppe widmet sich derzeit der Materie, um Empfehlungen für den Herdenschutz festzulegen, aber auch, ab wann von einem "Problemwolf" gesprochen werden kann. In Oberösterreich und Tirol fordern hingegen Bauernvertreter eine Senkung des Wolf-Schutzstatus und damit Ausnahmeregelungen für einen legalen Abschuss. Das Land Tirol plante wiederum, einen sogenannten Problemwolf mit einem Sender auszustatten.

Das EU-Projekt "LIFE EuroLargeCarnivores", das von 16 Ländern unterstützt wird, bemüht sich um eine Verbesserung des Zusammenlebens mit den großen Beutegreifern. Dabei soll ein europäisches Netzwerk entstehen, in dem sich verschiedene Interessensgruppen grenzübergreifend austauschen können. Im Mittelpunkt stehen die Vermeidung und der Umgang mit Konflikten zwischen Menschen und Wildtieren wie Wolf, Luchs und Bär.

Als Basis für Entscheidungen kann die Arbeit am WSC dienen, die mit Lehre, Forschung und Öffentlichkeitsarbeit immer wieder Neues hervorbringt. Vielleicht wird das Heulen der Wölfe eines Tages wieder normal sein - sofern sie in Regionen leben können, wo sie ausreichend Nahrung und ungestörte Gebiete finden, aber vor allem geduldet werden.