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Sars-CoV-2 war noch nicht alles

Von Cathren Landsgesell

Wissen

Mit jedem Quadratmeter zerstörter Natur rückt die nächste Pandemie ein Stück näher. Dabei wäre Prävention möglich.


Mindestens fünfmal im Jahr bricht irgendwo eine neue ansteckende Erkrankung aus, weil ein neuer Erreger es geschafft hat, den Menschen zu infizieren und innerhalb dieser für ihn neuen Spezies übertragen zu werden, zwei davon sind Viren. Dass es daher nicht bereits früher zu einer Pandemie kam, ist aus Sicht der Wissenschafter und Naturschutzorganisationen, die sich unter dem Dach "Preventing Pandemics at the Source" ("Pandemien an ihrem Ursprung verhindern") zusammengetan haben, mehr Glück als Verstand. "Spillover-Events passieren nicht einmal in einhundert Jahren", warnen sie. "Aufgrund unserer zerbrochenen Beziehung zur Natur kommt es weit häufiger dazu: Mehr als 335 Ausbrüche von aufkommenden Infektionskrankheiten wurden zwischen 1940 und 2004 berichtet, über 50 in einer Dekade."

Unter diesen neuen Erkrankungen sind Pandemien wie Aids sowie Epidemien wie Ebola und Infektionen mit dem Nipah-Virus, die in mindestens der Hälfte der Fälle tödlich verlaufen. HIV, Ebola und Nipah sind wie Sars-CoV-1 und Sars-CoV-2 Viren, die einmal in einer früheren Form auf bestimmte Wildtiere oder auf Haustiere beschränkt waren, es aber dank geeigneter Umstände geschafft haben, auch den Menschen infizieren zu können. Es sind Zoonosen und die Wissenschafter argumentieren, dass solches Überspringen auf den Menschen (Spillover) häufiger wird, je mehr Natur und damit Lebensraum von Wildtieren durch den Menschen zerstört wird.

Glück im Unglück

"Spillovers passieren permanent und in 99 Prozent aller Fälle passiert gar nichts", sagt Chris Walzer. Der Veterinärmediziner der Vetmed-Uni Wien ist Direktor der Wildlife Conservation Society (WCS), die auch Teil des Zusammenschlusses ist. "Aber hin und wieder gibt es so etwas wie ein Coronavirus, das genau die richtigen Fähigkeiten entwickelt: Es kann in eine menschliche Zelle eindringen und dann auch noch leicht übertragen werden. Das führt dann zu einer Pandemie." Das Glück im Unglück besteht im Fall der aktuellen Pandemie darin, dass Sars-CoV-2 zwar relativ leicht über die Atemluft übertragen wird, aber im Vergleich zu anderen möglichen Pandemien - etwa mit dem Nipah-Virus - eine relativ geringe Sterblichkeit hat. Es hätte auch anders kommen können.

75 Prozent aller potenziell von Tieren auf Menschen übetragbaren Viren stammen von Nagetieren, Fledermäusen und Primaten; allesamt Säugetiere, die in engem Kontakt mit dem Menschen leben (müssen), weil dieser immer weiter in ihre Lebensräume vordringt und diese zerstört oder verändert, so eine australische Studie. Die Wissenschafter von Preventing Pandemics at the Source rechnen vor, dass es rund 6.911 Virenarten mit zoonotischem Potenzial gibt.

"Als Menschen haben wir nun das Problem, dass nicht nur die Weltbevölkerung zunimmt, sondern mit ihr auch das BIP pro Kopf", so Walzer. Das heißt, der Ressourcenverbrauch steigt: Regenwald wird zu Weideland oder zu Palmölplantagen. Wo Weiden und Plantagen entstehen und Wald gerodet wird, entstehen Straßen und damit "große natürliche Kontaktflächen" zu den Wildtieren. Neue Krankheitserreger bilden sich leichter. Das ist nicht erst seit Sars-CoV-1 oder Sars-CoV-2 so. Bei der Entstehung von Aids - zwischen 1908 und 1933 - etwa spielte der Abbau von Kautschuk im heutigen Kamerun eine wesentliche Rolle: Der neue Erreger entwickelte über viele Jahre die Fähigkeit, den Menschen zu infizieren, und reiste dann als HIV-1 M mit dem internationalen Kautschukhandel um die Welt - der Kautschuk wurde unter anderem für Autoreifen verwendet.

Die Eingriffe des Menschen haben nicht nur unmittelbar die Vergrößerung der Kontaktflächen zur Folge. Der Mensch verändert auch die Zusammensetzung der Arten und reduziert in der Regel die Artenvielfalt deutlich. Biodiversität ist aber ein natürlicher Schutz vor Zoonosen: Wildtierbiologen sprechen auch von einem Verdünnungseffekt bei den Pathogenen. Wenn sich Überträger nicht überschießend vermehren können, gelingt es auch den Erregern nicht, sich ausreichend zu verbreiten. Die Gefahr eines Spillovers ist dort am größten, wo die Artenvielfalt am geringsten ist. Auch die Lyme-Borreliose konnte sich in den 1970er Jahren so stark ausbreiten, weil die neuen Siedlungen in Connecticut, wo die Borreliose entstand, von den Nagetieren nur noch den Borreliose-Überträger, die Whitetail Deer Mice, übrig gelassen hatte. "Jeder Eingriff verändert etwas in einer Form, die unkontrollierbar ist", so Walzer.

Die aktuelle Pandemie wird nach Schätzungen der Zeitung "Guardian" 20 Billionen Dollar kosten - ihre Prävention nicht einmal 2 Prozent davon.