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Die hohe Kunst des Überlebens

Von Alexandra Grass

Wissen

26 Stunden Survival-Training im Wald. Eine Reportage.


"Du musst es füttern", lautet die Anweisung des Überlebenstrainers. Holzlöckchen für Holzlöckchen, Ästchen für Ästchen werden dem zum ersten Mal mit Feuerstahl entzündeten Miniaturflämmchen behutsam zugeführt. Aber zu spät, der lange ersehnte Funken hat die Nagelprobe nicht bestanden. Oder doch ich, die zu wenig Geschicklichkeit fürs Feuermachen mitgebracht hat? Das sollte sich ändern. 26 Stunden Überlebenstraining im Wald haben eine wertvolle, lebensbereichernde Sammlung ergeben. Mit im Gepäck nach Hause: ein Mehr an Erfahrung, Erlebnis, Geduld, Mut und Erschöpfung. Ein Bericht über die hohe Kunst des Überlebens.

Die Einpackliste für uns vier angereisten Abenteurer ist die kürzeste meines Lebens: Freizeitkleidung mit Nässeschutzjacke, Gürtel, Kopfbedeckung, eingegangene Wanderschuhe, eventuell Reservewäsche für die Heimreise. "Alles Weitere (für die Ausbildung) wird von mir leihweise zur Verfügung gestellt", heißt es in der Teilnehmerinformation für die Überlebensausbildung. Heinz Eichinger, Co-Gründer der Edelweiss Adventure GmbH und Überlebenstrainer, hat auch eines klar gemacht: "Was nicht draufsteht, kommt nicht mit." Also kein Schlafsack, keine Isomatte, kein Zelt - es erwarten uns etwa zehn Grad Nachttemperatur. "Sind doch eh Plusgrade", meint der Profi lapidar. Die Bedeutung von Kälte sollte spürbar werden - doch dazu später.

Das Ziel ist ein privates Waldgebiet bei Schwarzenbach an der Pielach in Niederösterreich. Der Eigentümer Fritz Hardegg hat ein Refugium des Rückzugs in den Wald geschaffen (www.waldurlaub.at) und ermöglicht Naturfreunden und Erlebnissuchenden optimale Bedingungen. Uns vier Überlebenskünstlern, die wir zumindest dann sein sollen, steht für unsere Lagerplätze viel Raum und Zeit zur Verfügung. Das Training ist wohlgemerkt keine Teamarbeit, jeder ist - unter Anleitung - auf sich selbst angewiesen.

Step 1: Prioritätenliste

Am Lagerplatz angekommen, sucht sich jeder Einzelne auf dem mit Wurzeln, Gehölz und Steinen bestückten Waldboden seine spätere Schlafstatt aus. Die Voraussetzungen müssen schon zuvor bedacht sein. Zwei nahe stehende Bäume erleichtern den Lagerbau, halbwegs lockeres Erdreich das Graben einer Feuerstelle. Doch womit beginnen? "Es gilt zu beurteilen, was einen zuerst umbringt, um eine Prioritätenliste erstellen zu können", erklärt Heinz. Ein allgemeingültiges Rezept gibt es nicht. Wetterlage und Gefahrensituation stehen im Fokus.

Heute ist es trocken und warm. Ums Eck lauert kein gefährlicher Waldbewohner. Der Lagerbau kann also warten. Angesichts der - noch - warmen Temperaturen benötigen wir auf jeden Fall Wasser. Da man jedoch nicht davon ausgehen kann, dass das Flusswasser auch tatsächlich genießbar ist, muss es abgekocht werden. Feuermachen ist angesagt. Nichts leichter als das. Zahlreiche Grillereien, Lagerfeuer und kleine Feuerstellen im Garten waren ja auch schon reibungslos gelungen. Die gedachte Geschicklichkeit dafür sollte auf eine harte Probe gestellt werden.

Step 2: Feuermachen

Welchen Inhalt hat eigentlich der geliehene Rucksack zu bieten? Neugierig öffne ich die grüne Kordel. Ein Feldmesser mit Scheide wird flugs an den Gürtel geschnallt. In dem Transportbehältnis finden sich weiters zwei offene Aludosen, ein kleiner Kunststoffbehälter mit Verschluss, Draht, ein Seil, eine Rettungsdecke und einiges an Kleinmaterial, das noch nützlich werden sollte.

Der erste Auftrag ist klar: Geschnitzte Holzlöckchen und feinste Ästchen der umliegenden Nadelbäume sollen als Zunder dienen. Säuberlich sortiert ziert das Material nach etwa einer Stunde die Feuergrube, die zuvor mittels selbst zurecht geschnitztem Holzstock gegraben wurde. Es folgt die Challenge. Ein einziges Streichholz hat uns Heinz zugedacht. Also ein einziger Versuch dafür, ein Flämmchen zu erzeugen - und dieses auch zu halten.

Nichts leichter, als mit einem Zündholz ein Feuer zu entfachen. Der Zunder beginnt auch tatsächlich zu brennen. Dann Hektik. "Du musst es füttern", wird Heinz ungeduldig. Schnell ein Holzlöckchen zuführen - doch zu spät. Das Flämmchen ist erloschen.

Nun muss der Feuerstahl her. Etwa eine Stunde sitze ich vor meiner Feuerstelle und reibe Funken in Richtung Zunder. Mittlerweile sind die Daumen wund und die Geduld am Ende. Trickreiche Feuerwolle als Nothelfer führt dann endlich zum lang ersehnten Ergebnis. Nun die Aludosen mit einem Drahthenkel versehen, Wasser holen und die Behältnisse mit einem Holzstock als Halterung über das Feuer hängen, bis der Inhalt kocht. Die erste Hürde ist geschafft.

Step 3: Lagerbau

Der Lagerbau kann beginnen. Zuerst noch eine kleine Knotenkunde als optimale Grundlage. Die Rettungsdecke soll als Dach und Unterlage gleichzeitig dienen. Zwei Enden werden in geringer Höhe mit Schnüren an zwei Bäume gebunden. Schließlich wird die Folie derart am Boden befestigt, dass ein schräges Dach entsteht und der letzte Teil, nach innen eingeklappt, als Schlafunterlage dienen kann. Gemütlich ist was anderes, aber eine Nacht lang wird es sich aushalten lassen.

Der Abend bricht herein. Bevor es dunkel wird, sollten alle Vorbereitungen getroffen sein. In Notsituationen, wie wir sie hier experimentell durchspielen, ist derjenige im Vorteil, der schon mitgedacht hat. "Die drei Vs sind die Grundregel für alles", betont Heinz. Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung. "Was nützt es mir, wenn ich es schaffe, ein Feuer zu entzünden, es aber nicht halten kann? Dann ist definitiv ein V zu wenig", versucht uns der Survival-Profi einzutrichtern. "Dieses Beispiel ist umlegbar auf alles im Leben."

Step 4: Durchhalten

Wir werden mit Knicklichtern ausgestattet, um nächtens nicht gänzlich im Dunkeln zu sitzen. Im Wald ist es tatsächlich stockdunkel. Alleine schon seine Notdurft zu verrichten, ist angesichts des unwegsamen Geländes ohne Beleuchtung absolut undenkbar. Mein Knicklicht, wie so vieles das einzige im Gepäck, bricht entzwei. Zudem ist meine wärmende Feuerstelle schon erloschen - sie wäre allerdings sowieso viel zu weit von der Lagerstätte entfernt gewesen, um für Wärme sorgen zu können. Apropos drei Vs.

Doch in der Ferne brennt ein Lagerfeuer. Richtig groß noch dazu und direkt neben einem Bau. Einer meiner Survival-Kollegen hat offenbar mehr Vs als ich bedacht. Noch ist der Boden unter den Füßen ansatzweise erkennbar. Vorsichtig taste ich mich über den Waldboden und den mich von der heimelig wirkenden Lagerstätte trennenden Fluss. Ich dränge mich ob der Aussichten auf der gegenüberliegenden Flussseite als Übernachtungsgast auf. Gewünscht oder nicht, ist nebensächlich.

Es wird Nacht. Die Uhrzeit lässt sich nun ohne Sonne, Uhr und Handy nicht einschätzen. Auch die Temperatur - angekündigt waren knapp unter zehn Grad - nicht. Die Kälte kriecht derweil schon bis tief in die Knochen. Drei Schichten Kleidung sind definitiv zu wenig. Eng zusammengerückt sitzen wir zu zweit an der Feuerstelle und wenden uns wie Grillhühner, aber dennoch bibbernd, vor der Flamme, die wir dank genügend Holz in unmittelbarer Umgebung wach halten können. Einige Zeit später leuchtet auch am gegenüberliegenden Flussufer ein weiteres Feuer auf, an dem sich die anderen zwei Survival-Neulinge - ebenso trotz Teamarbeitsverbots - versuchen zu wärmen. An Schlaf ist ob der Kälte, die nicht nur die Luft bringt, sondern auch der Waldboden freigibt, nicht zu denken.

Der Tag bricht an. Die Kälte sitzt noch in den Knochen, doch die ersten Sonnenstrahlen versprechen Gutes. Wir rösten Gerstenkörner und brauen damit Kaffee - kein Geschmacksfeuerwerk, aber nach 20 Stunden ohne Nahrung ein wenig Energie. Kraft benötigen wir noch, um im Wald unser Orientierungsgeschick auf die Probe zu stellen - in Teamarbeit. Die GPS-Zellen in meinem Gehirn scheinen, wie befürchtet, nicht die ausgereiftesten zu sein. Mein Survival-Kollege hat mir dankenswerterweise nicht nur die Nacht gerettet, sondern mich schließlich auch davor bewahrt, als Gretel zu enden. Ich lerne: Entweder viele Vs an der Hand oder einen gewieften Hänsel. Beides wär noch besser.